: Wie wähle ich taktisch klug?
von KLAUS HILLENBRAND
Glaubt man den Umfragen, haben sechs Parteien eine realistische Chance, an diesem Sonntag in den 15. Deutschen Bundestag einzuziehen – SPD, CDU, CSU, Grüne, FDP und PDS. Keine wird eine absolute Mehrheit erhalten – woraus sich verwirrend viele Möglichkeiten ergeben.
Sie können natürlich einfach der Partei Ihre Stimme geben, die Ihnen am meisten behagt. Aber wenn Ihre Wahl dazu beiträgt, dass Mehrheitsverhältnisse entstehen, die Koalitionen begünstigen, denen Sie den Teufel an den Hals wünschen? Genau das wird nämlich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit passieren. Damit sich aber Ihre wertvolle Stimme nicht in das Gegenteil dessen verkehrt, was Ihnen am Herzen liegt: Wählen Sie taktisch. Die taz zeigt Ihnen, wie.
1. Die große Koalition. Ist es die große Koalition, die Ihren Wünschen am ehesten entspricht? Immerhin acht Prozent der Bundesbürger teilen laut einer Dimap-Umfrage Ihre Überzeugung. Doch für Sie wäre es dennoch ganz falsch, am Sonntag SPD oder die Union anzukreuzen. Denn damit erhöht sich die Gefahr, dass eine dieser Parteien einen so hohen Stimmenanteil erhält, dass sie eine Koalition mit einer kleineren Partei eingehen kann – was schließlich der eingestandene Wunsch der beiden „Großen“ ist.
Umgekehrt erhöht sich dagegen die Wahrscheinlichkeit einer großen Koalition, je geringer der Stimmenanteil von SPD und CDU/CSU ausfällt. Kommen beide Parteien beispielsweise nur auf jeweils 35 Prozent, müssten ihre Wunschpartner – also Grüne bzw. FDP – schon gewaltig zulegen, um Rot-Grün oder ein konservativ-liberales Bündnis zu ermöglichen.
Deshalb gilt es für Feunde der großen Koalition, diejenige Partei zu unterstützen, mit denen weder Sozialdemokraten noch Union ein Bündnis eingehen wollen. Wählen Sie also die PDS – auch wenn Sie den Kommunismus hassen und Brie höchstens zum Frühstück genießen möchten.
Aber: Je stärker die PDS im Bundestag vertreten ist, desto geringer wird die rechnerische Chance auf eine „kleine Koalition“. Bei fünf Prozent PDS benötigt Rot-Grün für eine Mehrheit im Bundestag mehr Sitze als CDU, FDP und PDS zusammen. Gleiches gilt umgekehrt für Schwarz-Gelb. Mit der PDS über fünf Prozent benötigt eine kleine Koalition also etwa 48 Prozent aller Stimmen für eine Mehrheit.
Fehlt die PDS im Bundestag, dürften rund 46 Prozent zur Gründung einer kleinen Koalition genügen – auch deshalb, weil voraussichtlich rund vier Prozent an weitere Parteien fallen werden, die den Einzug in den Bundestag verpassen. Ergo: Ohne die PDS im Bundestag kommt es garantiert zu einer kleinen Koalition.
2. Rot-Grün. Soll Bundeskanzler Schröder eine zweite Chance erhalten? Eine relative Mehrheit der Deutschen will Rot-Grün weiter regieren sehen: 36 Prozent.
Wenn Sie es sich einfach machen wollen, können Sie SPD oder Grüne wählen. Für optimistische Taktiker empfiehlt es sich, die Grünen zu begünstigen. Sollte nämlich ihr Stimmenanteil den der FDP übersteigen, dürfte der Druck auf Gerhard Schröder wachsen, einem denkbaren Bündnis mit der FDP eine Absage zu erteilen. Dadurch erhöht sich zwar die Wahrscheinlichkeit, dass die Union zur stärksten Partei avanciert. Das aber ist kein Hindernisgrund zur rot-grünen Koalitionsbildung: 1969, 1976 und 1980 wurde die SPD zur Regierungspartei, obwohl die Union mehr Stimmen und Mandate erhalten hatte.
Pessimisten sollten dagegen gleich die PDS wählen. Denn die Demoskopen von Allensbach waren sich zuletzt sicher, dass Rot-Grün ohnehin keine Chance hat. Zwar sieht Allensbach SPD und Union fast gleichauf bei 37 Prozent, die Differenz zwischen FDP (10,1) und Grünen (7,2) dürfte jedoch kaum zu überbrücken sein. Also gilt es, eine Koalition von Stoiber und Westerwelle zu verhindern – um jeden Preis! Der Einzug der PDS in den Bundestag macht es Union und FDP viel schwerer, eine eigene Mehrheit zu erhalten. Was dann zumindest die Chance erhöht, dass Schröder Kanzler in einer großen Koalition bleibt.
3. Rot-Gelb. Sozialliberal ist Ihre Lieblingskonstellation, die von neun Prozent aller Bundesbürger geteilt wird? Dann lassen Sie als Optimist die Finger von der SPD! Bundeskanzler Schröder wird sich nur dann zum Wechsel der Koalition erweichen lassen, wenn die FDP ganz deutlich vor den Grünen rangiert. Wer Westerwelle und Schröder will, muss Westerwelle wählen.
Pessimistisch eingestellte Sozialliberale können dagegen gerne die Union bevorzugen – dann kommt es wenigstens zu einer Koalition aus Union und FDP.
4. Schwarz-Gelb. Das Lieblingsprojekt von Ihnen, Edmund Stoiber und 22 Prozent der Deutschen ist in Gefahr! Nach den neuesten Daten der „Forschungsgruppe Wahlen“ haben SPD und Grüne (47 Prozent) Schwarz-Gelb (44,5 Prozent) deutlich überholt. Deshalb gilt es jetzt für Pessimisten, die rot-grüne Chaostruppe zu verhindern. So schwer es Ihnen auch fallen mag: Wählen Sie deshalb lieber die Sozialisten von der PDS. Dank des Einzugs der SED-Nachfolger in den Bundestag kommt es wenigstens noch zur großen Koalition – wenn Sie ganz viel Glück haben, unter einem Bundeskanzler Edmund Stoiber. Nur ganz große Optimisten glauben Allensbach und setzen weiter auf eine konservativ-liberale Koalition. Aber Obacht! Eine Stimme für die Union könnte schlussendlich auch zur großen Koalition führen. Setzen Sie besser auf Westerwelle!
5. Rot-Rot-Grün. Ein Bündnis von Sozialdemokraten, Grünen und PDS hat Gerhard Schröder zwar mehrfach ausgeschlossen, und auch nur jeder hundertste Deutsche präferiert diese Koalition. Aber wenn es um die Macht geht, wird der Kanzler gewiss über seinen eigenen Schatten springen. Ihr Lieblingsbündnis kommt nur dann zustande, wenn es weder für Rot-Grün noch für eine sozialliberale Koalition reicht.
Zudem müssten Verhandlungen über eine große Koalition oder ein Ampelbündnis aus SPD, FDP und Grünen scheitern. Also sollten Sie Ihre Stimme bei der PDS abgeben, damit diese wenigstens die Fünfprozenthürde übersteigt.
Allerdings erhöhen Sie damit auch die Chancen für eine große Koalition, was wohl kaum in Ihrem Sinn sein dürfte. Deshalb bietet sich als Alternative die Wahl der Union an. Denn damit verringern Sie die Chance, dass es für Rot-Grün ohne die PDS reicht!
6. Die Ampel. Guido Westerwelle hat sie ausgeschlossen, Joschka Fischer mag sie nicht, Gerhard Schröder hat keine Lust dazu und nur ein Prozent der Deutschen finden Gefallen daran. Aber die Ampel könnte sich dennoch als Alternative zur großen Koalition durchsetzen, wenn alle anderen Konstellationen rechnerisch unmöglich sind. Dazu dürfen also weder SPD und Grüne noch SPD und FDP, schon gar nicht Union und FDP, aber auch nicht SPD, Grüne und PDS genügend Stimmen einsammeln. Da hilft nur eins: Bleiben Sie zu Hause!
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