: Das Schaf im Wolfspelz
Kurz vor der Wahl kleidet die Union ihren Kandidaten neu ein. Aber die Hoffnung ist nicht weit verbreitet, dass dieses Umsteuern die Havarie verhindert
aus Berlin BETTINA GAUS
Es kommt nicht gerade häufig vor, dass Politiker im Wahlkampf ihre Vorstellungen erläutern möchten – und zugleich auf der eigens dafür einberufenen Pressekonferenz mehrfach betonen, die Journalisten sollten das Thema doch bloß nicht allzu wichtig nehmen. Ausgerechnet um die Vermittlung dieser eigenartigen Botschaft aber bemühten sich der bayerische Innenminister Günther Beckstein und der saarländische Ministerpräsident Peter Müller tapfer, als sie der Öffentlichkeit gestern ein weiteres Mal mitteilten, dass die Unionsparteien das rot-grüne Zuwanderungsgesetz für falsch halten.
Es handele sich bei dieser Frage um ein „Eins-b-Thema“, erklärte Beckstein. Die Zuwanderung sei „nicht das Zentralthema“ des Wahlkampfes, „und das wird’s auch nicht werden“. Mit einem mancherorts unterstellten Strategiewechsel habe die Pressekonferenz nichts zu tun, assistierte Müller. „Zentrales Thema ist das Thema Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik.“ Manche Journalisten ließ die ungewöhnliche Veranstaltung etwas ratlos zurück. „Was hat Sie beide eigentlich heute zu uns geführt?“, fragte einer. „Was war neu an dem, was Sie uns hier mitgeteilt haben?“
Gar nichts war neu. Außer der berechtigten Sorge, die Medien könnten die unvermutete Renaissance des Themas Zuwanderung für das halten, was es ist: ein ziemlich zerzaustes Kaninchen, das mit allen Anzeichen der Panik aus dem letzten Hut hoppelt, der noch in der Garderobe der Wahlstrategen von Edmund Stoiber hängt. Der steile Absturz der Unionsparteien in den Umfragen sämtlicher Institute – einschließlich der Allensbach-Getreuen – hat für Endzeitstimmung im konservativen Lager gesorgt.
Offiziell können die professionellen Führungsspitzen natürlich nicht zugeben, dass sie in einem neuerlichen, radikalen Imagewechsel des Kandidaten – weg von glatt, zurück nach kantig! Gehen Sie nicht über Los! – ihre letzte Chance sehen. Die Spitzenpolitiker müssen den ungeschriebenen Gesetzen des Wahlkampfs folgen und unbeirrt Zuversicht verbreiten. So darf Edmund Stoiber die Schlacht denn auch weiterhin nicht verloren geben und muss morgen in Nordrhein-Westfalen gleich vier Auftritte absolvieren: In Essen, Lünen, Werne und Hamm.
Auf einige – wenige – gute Nachrichten wird er sich dort immerhin beziehen können. Die Financial Times Deutschland hat ein bislang noch ganz ungewöhnliches journalistisches Selbstverständnis an den Tag gelegt und eine offizielle Wahlempfehlung für die Union ausgesprochen. Nun ist das zwar innerhalb der Redaktion nicht unwidersprochen geblieben, und darüber hinaus galt die FTD – nix für ungut – auch schon vorher nicht gerade als sozialdemokratisches Kampfblatt. Aber was soll’s? Man nimmt, was man kriegen kann, und deshalb hat Günther Beckstein gestern auch ganz lieb gelächelt, als ein Kollege von der Financial Times sich mit einer Frage zu Wort meldete. Bis der sich, kühl distanziert, als Mitarbeiter des unparteiischen britischen Mutterblattes zu erkennen gab. Das ließ das Lächeln ersterben. Dumm gelaufen.
Es läuft in diesen Tagen manches dumm für die Union. Zum Beispiel, dass nicht ganz so professionelle Führungskräfte bereits offen die Möglichkeit einer Niederlage einräumen. Der niedersächsische CDU-Landesvorsitzende Christian Wulff erklärte in einem Interview mit der Berliner Zeitung, dass es dazu kommen könne, „wenn unverantwortlich Emotionen geschürt werden“. Wulff bezog sich damit allerdings nicht auf den Versuch seiner Parteifreunde, mit dem Schüren von Ressentiments gegenüber Minderheiten auf Stimmenfang im rechten Spektrum der SPD zu gehen, sondern auf den „subtilen Antiamerikanismus“, mit dem seiner Ansicht nach derzeit Gerhard Schröder spielt und der „gerade in Ostdeutschland verfängt“. Im Gegensatz zum Zündeln mit ausländerfeindlichen Stimmungen?
Politische Beobachter haben wenig Zweifel am Kern der Botschaft, die im neuen, alten Zuwanderungsthema steckt: Der Kandidat soll neu eingekleidet werden. Vom Wolf im Schafspelz zum Wolf im Wolfspelz. Wer so etwas wenige Tage vor der Wahl versucht, läuft allerdings Gefahr, dass der eigene Mann am Schluss als Schaf im Wolfspelz erscheint.
Ohnehin scheint die Hoffnung in der Union nicht besonders weit verbreitet zu sein, dass ein Umsteuern in letzter Minute die drohende Havarie noch verhindern kann. Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel zeigte sich dem Vernehmen nach bereits in der letzten Woche hocherfreut darüber, dass es der Union nur zweieinhalb Jahre nach der Spendenaffäre gelungen sei, mit der SPD einen Wahlkampf auf Augenhöhe zu führen. So werden Niederlagen erklärt.
Die Fehlerquote der Meinungsforscher ist derzeit die ertragreichste Quelle, aus der sich noch Zuversicht schöpfen lässt. Und wenn auch die versiegt? Dann werden die Karten neu gemischt. Manche mögen dann auf ein besseres Blatt hoffen. Angela Merkel zeigt sich ganz unbeirrt gut gelaunt, und auch der hessische Ministerpräsident Roland Koch ist gewiss kein Kind von Traurigkeit.
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