: „Es gibt kapitale Meinungsverschiedenheiten“
Dass es im deutsch-amerikanischen Verhältnis kriselt, ist keine Überraschung. Endlich wird darüber offen diskutiert, findet Claus Leggewie
taz: US-Präsident Bush hat Schröder nicht zum Wahlsieg gratuliert, Rumsfeld will beim Nato-Gipfel nicht mit Struck reden. Was soll, was kann Rot-Grün nun tun?
Claus Leggewie: Das Retourkutschen der Amerikaner wirkt genauso unreif und plump wie die großmäuligen Statements im deutschen Wahlkampf. Die Hegemonialmacht kann sich übrigens einen Kanzler Stoiber nicht wirklich gewünscht haben, der in seiner Hilflosigkeit sogar die US-Militärbasen und die Überflugrechte verbal zur Disposition gestellt hat. Und dass sie für ihre Pläne die Bundeswehr nicht benötigt, wussten wir schon vorher.
Offenbar dreht sich dieser Zwist nicht nur um den Wahlkampf, auch nicht nur um den Irak. Es geht doch auch um die Frage, ob und wie weit sich Deutschland von den USA entfernen kann.
Ja, aber auch wie weit sich Amerika von den Grundlagen transatlantischer Kooperation und Werte verabschiedet. „Vergiftet“ hat auch die andere Seite. Der Riss ist seit langem da, und er hat sich seit 1990 ständig erweitert, seit in Washington eine andere Sicherheitsphilosophie regiert und Deutschland als Bollwerk und Puffer gegen die Sowjetunion überflüssig geworden ist. Wir haben heute in so gut wie allen Fragen – globale Klimapolitik, Welthandelsfragen, internationale Rechtsordnung, Sicherheitskonzepte – kapitale Meinungsverschiedenheiten, und es gibt keinen Grund, diese politische Kritik nicht auf den Tisch zu legen und zur Debatte zu stellen. Falsch war der hochfahrende Tonfall und das unverhohlene Spekulieren Schröders auf einen kulturellen Antiamerikanismus.
Schröder hat aber nur ein einziges Mal vom „deutschen Weg“ geredet – und es danach zum Glück vermieden. Ist das schon „kultureller Antiamerikanismus“?
Schröder wusste aber, was er sagte und welche Ressentiments er weckte. Deutschland hat das falsche Signal gesendet, indem es sich auch vom UN- System distanzierte und die EU-Partner nicht konsultiert hat, mit dem Effekt, dass Blair, Berlusconi und Aznar den Ton angeben.
Kann Deutschland es sich leisten, auf Konfrontation zur Bush-Regierung zu bleiben? Zumal in der Irakkriegsfrage die US-Demokraten eine echte Enttäuschung sind?
Es gibt in den USA mehr Leute, die der Irakpolitik und der neuen Sicherheitsstrategie Bushs skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen, als in den amerikanischen und europäischen Medien sichtbar wird. Die deutsche Seite, auch Politikberater, Wissenschaftler und Intellektuelle, sollte sich ein genaues Bild davon machen, zur Diskussion nach drüben fahren und den Gesprächsfaden zur US-Administration wieder aufnehmen. Eine Hegemonialmacht kann sich ein schroffes und erpresserisches Benehmen eine Zeit lang erlauben, ein militärischer Zwerg eben nicht. Europa kann sich nicht erlauben, militärisch derart aufzurüsten, wie es Amerika in den vergangenen Jahrzehnten getan hat. Also müssen wir als EU und in enger Kooperation mit den UN die Tür zu einer multilateralen, diplomatischen Konfliktlösung offen halten. Die Amerikaner könnten das im Falle einer auch von ihnen nicht mehr kontrollierten Eskalation früher in Anspruch nehmen müssen, als ihnen und uns selbst lieb ist.
Die Bush-Regierung scheint sich auf Präventivkriege gegen den Terror einzustellen – inklusive der Staaten, die den Terror nach US-Sicht unterstützen. Sind die derzeitigen Spannungen zwischen Berlin und Washington ein nervöses Intermezzo – oder der Prolog kommender Konflikte?
Die Umstellung auf ein Präventivkriegsszenario und die von Bush skizzierte Sicherheitsstrategie zeigen, wie dramatisch sich die Welt seit 1990 verändert hat. Sollte dieses Vorgehen auf Kosten der Verbündeten gehen, werden Konflikte unumgänglich sein, und erst recht, wenn die USA damit nicht mehr die Sicherheit ihrer Verbündeten garantieren können, also nicht mehr der „benevolente Hegemon“ sind, sondern imperiale Macht ausüben.
US-Außenminister Powell hat gestern gesagt, dass das „deutsch-amerikanische Verhältnis in Zukunft noch enger“ wird. Offenbar sind nur noch die Falken und Bush selbst sauer auf Schröder. Werden sich also die Beziehungen zwischen Berlin und Washington ganz pragmatisch und undramatisch entspannen? Oder muss, wie manche meinen, Fischer vorher nach Washington – gleich dem Gang nach Canossa König Heinrichs IV.?
Canossagänge muss niemand in Europa veranstalten. Die Differenzen in der Bush-Administration sind groß, aber einfach zur Tagesordnung übergehen kann man nicht mehr. Es bleibt Musik im deutsch-amerikanischen Verhältnis, und jetzt ist professionelle Führung und transatlantische Debatte notwendig. Ich bin eigentlich ganz froh, dass die Dinge auf dem Tisch liegen.
INTERVIEW: STEFAN REINECKE
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