Billige Bahn und teure Eigenheime

Die Grünen formulieren ihre Positionen für die Koalitionsverhandlungen. Die Verkehrspolitik rückt in den Mittelpunkt

BERLIN taz ■ Als gestern die neue Bundestagsfraktion der Grünen zusammentrat, herrschte ein Gedränge wie 1983 im Bonner Tulpenfeld. Die Menge der Journalisten reichte an das Aufgebot heran, das vor zwei Jahrzehnten den Einzug der ersten Ökos in den Deutschen Bundestag am Rhein verfolgte. Diesmal freilich war das Volk nicht zugelassen – und nur noch einer trug Sandalen: Hans-Christian Ströbele, Eroberer des ersten grünen Direktmandats.

Während die neuen Abgeordneten der 55-köpfigen Fraktion noch beeindruckt an den Graffiti entlangschritten, die sowjetische Soldaten 1945 im Reichstag hinterlassen hatten, hielten die alten Hasen bereits inhaltliche Eckpunkte für die bevorstehenden Koalitionsverhandlungen mit der SPD in Händen. Sie werden in den nächsten Tagen zwischen den grünen Bundes- und Landespolitikern abgestimmt, um bis zum Beginn der offiziellen Gespräche am Montag zu einer Verhandlungsposition zu gerinnen.

Weit gediehen ist die Arbeit im Bereich Umwelt- und Verkehrspolitik, der eine zentrale Rolle spielt. Nach Aussage des amtierenden umweltpolitischen Sprechers Reinhard Loske steht neben der Ökosteuer (siehe Seite 1) vor allem die „Verkehrswende“ auf der Tagesordnung. Als Forderungen für die Verhandlungen nennt Loske die Halbierung der Mehrwertsteuer für Bahntickets, um den Zug gegenüber dem Auto billiger zu machen. Außerdem soll die Kraftfahrzeugsteuer über 2004 hinaus so gestaltet werden, dass der Kauf schadstoffarmer Autos im Vergleich zu konventionellen Fahrzeugen deutlich günstiger wird.

Der Bundesverkehrswegeplan soll endgültig überarbeitet werden, wie es eigentlich schon 1998 bei der Regierungsbildung vereinbart worden war. Das Ziel: Annullierung von Straßenbauprojekten, Gleichgewicht zwischen Schiene und Straße, Ökoprüfung für alle Baumaßnahmen.

Weiterhin findet sich auf Loskes Liste der schonende Ausbau der Elbe. Die neue Bundesregierung solle sich auf die sanfte Variante festlegen. Für die klimaschützende Sanierung von Altbauten wollen die Grünen wesentlich mehr Geld ausgeben als die eine Milliarde Euro, die die Kreditanstalt für Wiederaufbau bislang zur Verfügung stellt. Im Rahmen der ökologischen Finanzreform will Loske umweltschädliche Subventionen für die Wirtschaft reduzieren. Weil dazu auch der Abbau der Bergbauförderung in Nordrhein-Westfalen gehört, ist an diesem Punkt eine massive Auseinandersetzung mit den Sozialdemokraten zu erwarten.

Um die Flächenversiegelung von heute 130 Hektar am Tag auf 30 Hektar zu reduzieren, wollen die Grünen das Baugesetz ändern: Neubauten sollen mit der Eigenheimzulage nicht mehr stärker unterstützt werden als der Kauf von Altbauten. Schließlich ist geplant, mit einem Fluglärmgesetz den Krach rund um die Airports zu verringern.

Statt eines vierten grünen Ministeriums scheint sich jetzt eine Vergrößerung der drei bestehenden Ressorts abzuzeichnen. Umweltminister Jürgen Trittin hätte gerne Kompetenzen vom Wirtschafts- und vom Verkehrsministerium. „Die Verkehrspolitik spielt für die Grünen in Zukunft eine besondere Rolle“, sagte Trittin der taz. „Bald werden Fahrzeuge mit solarproduziertem Wasserstoff fahren. Auf diese Entwicklung muss man sich heute schon einstellen, um sie nicht zu verpassen.“ Der Minister weiter: „Außerdem brauchen wir ein neues System der Verkehrslogistik und müssen mehr Güter auf die Schiene bringen.“

Außerdem wird bei den Grünen diskutiert, den Ministern nur noch Staatssekretäre aus der jeweils eigenen Partei zuzuordnen. Die Staatssekretäre Christoph Zöpel (SPD, Außenamt) und Gerald Thalheim (SPD, Verbraucher) müssten ihre Posten zugunsten von Grünen räumen, Margarete Wolf (Grüne, Wirtschaft) würde möglicherweise durch einen Sozialdemokraten ersetzt. Uschi Eid (Grüne, wirtschaftliche Zusammenarbeit) wäre wohl nicht betroffen. Als Afrikabeauftragte der Bundesregierung sitzt sie fest im Sattel.

HANNES KOCH