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Kurdisches Mädchen angebrannt

Drei heranwachsende Deutsche drangsalierten und quälten ein kurdisches Mädchen. Der Fall ist fünf Monate her. Er zeigt, wie wenig Hilfe Opfer zu erwarten haben, wenn sie erst wenig deutsch sprechen

Christi Himmelfahrt war für die 11-jährige Leyla (Name geändert) ein schlimmer Tag. Dass er viel schlimmer hätte enden können, ist weder ihr noch ihren Elten ein Trost. Seit drei Kinder Leyla im Mai dieses Jahres auf dem Schulhof der Schule Alter Postweg festgehalten haben, ihr eine Zigarette ins Gesicht drückten und ihre langen Haare mit einem Feuerzeug anbrannten, herrscht in Leylas Familie verzweifelte Hilflosigkeit. Trotz der Erholungszeit in den Sommerferien ist Leyla still geblieben. Sie schläft schlecht, kann sich nicht konzentrieren – und hat immer noch Angst davor, in die Schule zu gehen. Denn von dort kennt sie die Kinder, die ihr das Schlimme angetan haben: ein 14- und ein 12-jähriges Mädchen und einen 12-jährigen Jungen.

„Das ältere Mädchen macht meiner Tochter bis heute Angst. Sie geht zu ihr und sagt, warum hast du mich angezeigt?“, berichtet der Vater besorgt. Das müsse aufhören. Fast fünf Monate seien nun vergangen – langsam verliert der anerkannte kurdische Flüchtling den Glauben an den deutschen Rechtsstaat.

„Wir haben reagiert“, sagt unterdessen der Sprecher der Bremer Staatsanwaltschaft, Thorsten Prange. Der Fall sei bekannt und ermittelt. Der zuständige Dezernent habe zur härtesten Maßnahme gegriffen, die gegen eine 14-Jährige, die bislang noch nicht in Erscheinung getreten ist, überhaupt ergriffen werden kann. Das deutsche Mädchen sei wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt. Jetzt liege die Sache beim Jugendrichter. „Erst bei Gericht kann man ja Täter-Opfer-Ausgleich oder ähnliches anstoßen“, sagte Prange weiter. Dass die Ermittlung von Körperverletzungsdelikten fünf Monate dauerte, sei auch nach Einrichtung eines eigenen Jugenddezernats bei der Bremer Staatsanwaltschaft nicht ungewöhnlich. „Ermittlungen bei Minderjährigen sind immer komplizierter.“ Es hätten mehrere Kinder als Zeugen befragt werden müssen, darunter die siebenjährige Schwester des Opfers, ebenso die strafunmündigen Tatbeteiligten. Grundsätzlich sei es nicht vorgesehen, die Eltern von Opfern über den Verlauf der Verfahren zu informieren.

Davon versteht die kurdische Familie bisher nichts. Erst seit einem Jahr leben die drei Kinder bei ihren Eltern in Bremen. Noch sind sie ein bisschen fremd hier – und fast hätten sie nicht einmal Anzeige erstattet. Erst als die Eltern am Tatabend des 11. Mai den Vorfall einem deutschsprachigen Freund schilderten, brachte der die Familie zur Polizei. „Da war auch ein türkischer Polizist, der uns verstanden hat“, sagt der Vater des traumatisierten Mädchens fast dankbar. Später habe seine Tochter die Täterin identifizieren müssen. „Sie hat gleich geweint, obwohl sie mit mir im Polizeiauto saß.“ Doch danach habe er auch über seine Anwältin keine Auskunft über das weitere Verfahren bekommen. Tatsächlich hatte die Staatsanwaltschaft der Juristin versehentlich eine falsche Akte zur Einsichtnahme geschickt. Auch darauf, dass die Tochter endlich eine Kinderpsychologin sieht, wie die Kinderärztin empfahl, hat die Familie lange gewartet. Heute ist es soweit.

An der Schule „Alter Postweg“ ist der Vorfall bislang offenbar nicht bekannt. Mit den kurdischen Eltern hat jedenfalls niemand gesprochen. Der Vater seinerseits fragt erstaunt: „Was hätte ich dort sagen sollen?“ Deutsch fällt ihm mehr als schwer. Und Himmelfahrt war doch auch kein Schultag, sagt er. Seine beiden Töchter hatten nur zusammen auf dem Schulhof gespielt, als das Trio die älteste Schwester angriff – die seitdem aus Angst kurze Haare trägt. Die Ärztin will jetzt endlich die Schule informieren.

„Wir sind für die Strafverfolgung zuständig“, sagt Prange. „Nur wenn wir Verfahren einstellen, dann machen wir eine Mitteilung.“ Er gehe davon aus, dass die Staatsanwaltschaft das Jugendamt über die Beteiligung der strafunmündigen Kinder an dem Vorfall benachrichtigt habe. „Dort wird dann über weitere Maßnahmen für die Jüngeren entschieden“, sagt er. Die Hauptbeschuldigte müsse bald vor den Jugendrichter. ede

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