: Überflüssige starke Worte
Der Kanzler will keine Soldaten gen Bagdad schicken. Schön. Aber das hat auch keiner erwartet. In der internationalen Politik dagegen nutzt er seine Spielräume nicht
150.000 Menschen demonstrierten Ende September in London gegen die Irakpolitik des britischen Premierministers Tony Blair. In Frankfurt am Main versammelten sich am Donnerstag vor dem militärischen Teil des Flughafens etwa 500 Demonstranten zu einer Protestkundgebung gegen die Kriegspläne der USA. 500! Jede halbwegs gut organisierte Bürgerinitiative mit überzeugendem kommunalem Anliegen bringt in einer beliebigen Kleinstadt mehr Leute auf die Beine.
Die geringe Bereitschaft zum Engagement für den Frieden mutet zunächst erstaunlich an, zumal die Ansicht inzwischen weit verbeitet ist, dass Kriegsangst der rot-grünen Koalition zum Wahlsieg verholfen habe. Andererseits: Warum sollten diejenigen, die einen Militärschlag auf Bagdad ablehnen, nun persönlich auf die Straße gehen? Ihr Anliegen ist doch beim Bundeskanzler in besten Händen. Schließlich hat Gerhard Schröder vor den Wahlen versichert, Deutschland werde sich an einem Angriff auf den Irak nicht militärisch beteiligen, und er hat danach auch mehrfach betont, dass er bei seiner Haltung bleiben werde. Ein Mann, ein Wort.
Allerdings leider ein – jedenfalls in militärischer Hinsicht – ziemlich überflüssiges Wort. Wenn der Kanzler versichert, er wolle keine deutschen Soldaten gen Bagdad ziehen lassen, dann hat das für einen möglichen konkreten Kriegsverlauf etwa dieselbe Bedeutung wie eine etwaige Mitteilung, der zufolge die Bundeswehr nicht zur Weinlese nach Bulgarien beordert werden wird. Beides hat niemand erbeten, beides wird von niemandem erwartet, und beides ist nicht erforderlich, um die jeweiligen Ziele zu erreichen. Mag sein, dass man sich in Washington über eine symbolische Geste aus Berlin wie etwa die Bereitstellung einiger so genannter Elitesoldaten freuen würde. Kriegsentscheidend wäre das nicht.
Um einen wirklich substanziellen Beitrag zu einem neuen Krieg leisten zu können, fehlt es der Bundeswehr an den dafür notwendigen Ressourcen. Über Jahrzehnte hinweg waren die deutschen Streitkräfte auf die Aufgabe der territorialen Verteidigung hin ausgerichtet. Für jeden einzelnen Einsatz out of area wird Fachpersonal gebraucht, das in der Personalplanung der Vergangenheit eine weit geringere Rolle spielte als heute: Logistiker, Fernmelder, Sanitäter. Synergieeffekte mit den Streitkräften anderer Länder sind nur in begrenztem Umfang möglich. Für einen neuen Kriegsschauplatz fehlen demzufolge die Spezialisten. Die USA klagen nicht grundlos über den ihrer Ansicht nach zu geringen Wehretat der Bundesrepublik.
Der Männermut des Kanzlers vor dem Herrscherthron in Washington ist also in militärischer Hinsicht herzlich egal. Aber wie steht es um die politische Bedeutung seiner Haltung? Die hätte groß sein können, ja. Der offene Widerspruch des Regierungschefs einer europäischen Mittelmacht zum Kurs der USA wäre vielleicht nicht einmal dieser letzten verbliebenen Weltmacht ganz gleichgültig gewesen – wenn denn über die Themen geredet worden wäre, um die es wirklich geht. Das war jedoch nicht der Fall.
Gerhard Schröder ist persönlich durchaus glaubwürdig, wenn er sich gegen einen Angriffskrieg auf den Irak wendet. Vor militärischen Abenteuern hat er bereits unmittelbar nach dem 11. September 2001 gewarnt, und zugleich hat er niemals einen Zweifel daran gelassen, dass er einen Militärschlag auf Bagdad dazu zählt. Aber in seiner Begründung ist er unklar – allzu unklar! – geblieben. Zwar wandte er sich nachdrücklich gegen das Kriegsziel eines Regimewechsels im Irak. Aber indem er fast zeitgleich betonte, dass auch eine UN-Resolution an seiner Entscheidung nichts ändern könne, hat er dieses Argument selbst entwertet. Denn ganz unabhängig davon, wie scharf ein Beschluss der Vereinten Nationen auch immer ausfallen könnte: Einen Machtwechsel im Irak wird er nicht zum Ziel haben. Das widerspräche dem geltenden Völkerrecht allzu eindeutig. Die UNO dürfte sich kaum selbst überflüssig machen wollen.
Ginge es Schröder wirklich um die Sache, dann hätte er durchaus einen gewissen Handlungsspielraum. Es mag gute Gründe geben, den USA die Überflugrechte über deutsches Gebiet und die Nutzung ihrer Basen in der Bundesrepublik nicht zu verweigern: Ein derartiger Schritt könnte unkalkulierbar weit reichende politische Folgen haben, obwohl oder gerade weil er erheblich wirkungsvoller wäre als jede vollmundige Absage an eine direkte militärische Beteiligung an einem Krieg.
Wer die Militarisierung der Außenpolitik ablehnt, muss aber noch nicht gleich einen endgültigen Bruch mit den USA wünschen. Eine Absage an die Nutzung von Ramstein – die rechtlich übrigens auf tönernen Füßen stünde – würde ein derartiges Risiko in sich bergen. Das gilt aber nicht für den längst überfälligen Abzug der deutschen Spürpanzer aus Kuwait. Was haben die dort eigentlich noch zu suchen? Wenn politische Symbolik irgendeine Bedeutung hat, dann dürfen diese Panzer dort nicht bleiben. Gegenwärtig sind sie lediglich Ausdruck eines ziemlich angestrengten Augenzwinkerns des deutschen Kanzlers: So ernst will er offenbar alles nicht verstanden wissen.
Die militärischen Folgen der neuen US-Doktrin stehen noch nicht fest. Diese legitimiert eine hegemoniale Vertretung der eigenen Interessen ohne Rücksicht auf die politischen Normen der westlichen Welt, die aus der Ethik der Aufklärung hervorgegangen sind. Oder das doch zumindest bislang für sich in Anspruch genommen haben. Ein „Präventivkrieg“ – vulgo: ein Angriffskrieg – gehört nicht zu diesen Normen. Der militärisch überlegene Westen gibt ohne Not die vermutete moralische Überlegenheit des eigenen Systems preis.
Dabei konnten die USA ihren vermutlich größten Erfolg im letzten Jahrzehnt an der Propagandafront verbuchen. Die Betonung der Bedeutung der Völkerrechts, jede grundsätzliche Absage an Krieg als Mittel zur Durchsetzung eigener Interessen und der Hinweis, dass die Kriege der Gegenwart – ungeachtet aller Menschenrechtsrhetorik – im Allgemeinen vor allem das Ziel einer Sicherung der Energieversorgung verfolgen: Wie wahr und banal diese Grundsätze auch sein mögen, sie stehen mittlerweile stets im Verdacht der rechthaberischen Nörgelei, des altlinken Querulantentums.
Seit einigen Jahren hat sich eine besonders schlichte Form der Perfidie als erfolgreich erwiesen, um Gegner des Zeitgeists mundtot zu machen. Diese werden pauschal als Pazifisten bezeichnet. Also als respektabel – und weltfremd. Dabei gibt es eine ganze Reihe von Leuten, die zwar Angriffskriege für verwerflich halten, nicht aber das Prinzip der Selbstverteidigung. Das scheint jedoch ein allzu komplizierter Standpunkt für die eher grobschlächtigen Debatten der Gegenwart zu sein. Schade eigentlich. Manches spricht nämlich dafür, dass dies die Position des Kanzlers wäre, wenn er nur das sagen dürfte, was er eigentlich gerne sagen möchte. Sich aber nicht zu wollen traut.
BETTINA GAUS
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