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Milchmädchenrechnung geht auf

Die „Weiberwirtschaft“ feiert Jubiläum: Vor zehn Jahren unterzeichnete die Genossenschaft den Kaufvertrag für das Gründerinnenzentrum. Heute ist der Gewerbehof für Frauen an der Anklamer Straße in Mitte zu rund 85 Prozent vermietet

von SUSANNE LANG

Ihr Fenster zum Hof weckt Erinnerungen. Wie zwischen den alten braunen Backsteinhäusern alles voller Matsch und Dreck und Bauarbeitern war. Wie sie ihren ersten Kunden empfohlen hat, Gummistiefel zu tragen, wenn sie in ihr Büro kommen. „Im Nachhinein war das ganz schön mutig“, sagt Gerda Plate und lächelt. Die 45-Jährige rückt die letzten Papiere zurecht. Langsam kehrt Feierabendstimmung ein in den Räumen von „Fair Ladies“, einem Maklerbüro für Versicherungen und Geldanlagen. Genau genommen einem „Maklerinnenbüro“, wie auf den Visitenkarten von Gerda Plate und ihrer Mitgesellschafterin zu lesen ist. Seit acht Jahren gibt es das Büro nun, gerade ist es in größere Räume gezogen. Die weiblichen Beratungsgeschäfte laufen gut. „Frauen haben spezielle Ansprüche und lassen sich gerne von Frauen beraten“, sagt Plate.

Ein Angebot von Frauen für Frauen – dies ist nicht nur das Motto des Büros, sondern des gesamten Geländes an der Anklamer Straße. Dort sitzt das Gewerbe- und Gründerinnenzentrum WeiberWirtschaft eG – das größte seiner Art in Europa. Heute vor genau zehn Jahren hat die Frauengenossenschaft, die Eigentümerin und Trägerin des Projekts, den Kaufvertrag für das Gelände unterzeichnet. Ein wichtiger Schritt, der den Grundstein für das von Bund und Land geförderte Projekt markierte, wie Geschäftsführerin Katja von der Bey auf einer kleinen Tour über das Gelände des ehemaligen VEB Berlin Kosmetik betont.

Nicht männerfeindlich, sondern frauenfreundlich – darum gehe es bei dem Projekt. Ziel ist es, mehr Frauen in die Wirtschaft zu bringen, ihren bundesweiten Unternehmeranteil von 30 Prozent auf 50 zu erhöhen. Ein Netzwerk zu schaffen, das Frauen materiell und finanziell unterstützt, aber auch den Austausch von Erfahrungen ermöglicht. „Frauen gründen anders“, erklärt von der Bey. „Sie gehen weniger Risiko ein, gründen aber auch wirtschaftlich stabiler.“ Das Gründerinnenzentrum versucht, diesen Ansprüchen entgegenzukommen. Mit der Größe der Büros zum Beispiel, die bereits ab 14 Quadratmetern zu mieten sind.

Mehr als 5.500 Quadratmeter Büro- und Produktionsfläche sanierte die Genossenschaft bis 1996, mit Investitionen von 18,4 Millionen Euro. Mittlerweile sind 160 Arbeitsplätze entstanden. In dem kleinen Café an der Straße, im Buchladen nebenan, in der Kita oder in der Glaserei, die erst in diesem Jahr eröffnet hat – in der Weiberwirtschaft lebt es sich fast wie in einem kleinen Dorf.

„Wir haben uns nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen für die Weiberwirtschaft entschieden“, sagt Plate. Mit wirtschaftlich meint sie die vielen Gründerinnen in unmittelbarer Nachbarschaft, die schließlich großes Interesse an Versicherungen hätten. „Man kann hier alles erledigen, wozu man sonst nicht kommt, wenn man berufstätig ist.“ Insgesamt 60 Unternehmerinnen nutzen inzwischen die Räume – zu sehr günstigen Mieten, wie von der Bey betont. „Besonders im ersten Jahr ist es für Gründerinnen wichtig, mit der Miete nicht zu sehr belastet zu werden, um sich am Markt etablieren zu können.“ Milchmädchenrechnung nennen die Genossinnen diese Förderung, die einen gestaffelte Miete beinhaltet: im ersten halben Jahr die Hälfte der Miete, im zweiten 75 Prozent, danach der vollen Preis.

Wie wichtig die Milchmädchenrechnung ist, merkt man zwischen den Kleiderstangen in der Werkstatt gegenüber von Gerda Plates Büro. Seit Mai bietet dort die Designerin Kaska Hass Brautmode an. „Traut euch“ heißt ihr Slogan, der nicht die unkonventionellen Kleider meint. Ein bisschen gilt dies auch für die Gründerin selbst. „Die Banken hatten mir den Kredit schon zugesagt, kurz nach der Unterschrift bei der Weiberwirtschaft haben sie ihn wieder zurückgezogen“, erzählt die 36-Jährige. Ohne die Staffelmiete gäbe es nun keine bunten, verspielten Hochzeitskleider, keine Brautmode auch für Mann-Mann- und Frau-Frau-Paare. „Das ungewöhnliche Konzept hat uns überzeugt“, sagt von der Bey.

Ein guter Business-Plan und keine potenzielle Konkurrenz für ansässige Mieterinnen – das ist die eine Voraussetzung, um bei der Weiberwirtschaft aufgenommen zu werden. Die andere ist ideeller: Hinter der feministischen Idee des Projekts müsse man schon stehen, meint von der Bey. Dazu gehört auch, dass jede Mieterin als Genossenschaftlerin zugleich Miteigentümerin der Immobilie ist. Zu Interessenskonflikten kann es bei diesem Modell durchaus kommen. Wenn zum Beispiel eine neue Sanierung ansteht und Mieterinnen umziehen müssen.

Bisher kam dies nur einmal vor, da aber besonders dicke. 1998, zwei Jahre nach den ersten Gründungen, waberte plötzlich beißender Geruch durch die frisch sanierten Räume. Im Tagungsbereich der Weiberwirtschaft holt ihn Katja von der Bey für einen kurzen Moment zurück. Sie dreht den Verschluss eines Einmachglases auf, und schnuppert kurz an einem schwarzen, verklebten Teerpappen-Stück. „Das hält kein Mensch aus“, sagt sie und rümpft die Nase. „Obwohl es angeblich nicht gesundheitsgefährdend ist.“ Die stinkende Teerpappe war bereits vor dem Zweiten Weltkrieg tief in die Geschossdecken eingebaut worden.

Voraussetzung für die öffentliche Förderung der zweiten Sanierung war die Erhöhung des Eigenkapitals. Die Alternative hieß Konkurs. 2.000 neue Genossenschaftsanteile innerhalb von drei Monaten konnten die Weiberwirtschaft aber retten. „Es war unser größter Erfolg, dass wir die Altlastenkrise überwunden haben“, sagt von der Bey und schließt das Einmachglas wieder. Kein anderes Unternehmen hätte diese Zeit so überleben können. Auf noch mehr Frauensolidarität hofft die Weiberwirtschaft in Zukunft dennoch. Mit „5.000 neuen Genossenschaftlerinnen in fünf Jahren“ soll das das Zentrum finanziell stabilisiert werden. Obwohl die Genossenschaft bisher nicht in Liquiditätsschwierigkeiten geraten ist, belasten die Zinsen für die hohen Bankkredite sehr.

Dem Gelände merkt man diese Last nicht an. Wenn Gerda Plate in den Hof blickt, ist von Matsch und Dreck nichts mehr zu sehen. Auf einer Bank hält eine Frau mit einem Mann ein Schwätzchen, die beiden silbernen Fässer neben dem Eingangstor erinnern eher an eine Skulptur als an Behälter mit giftigem Inhalt. Nur die Front des Hauses gegenüber macht ein bisschen Sorgen. „Das wird bald mal dran sein mit Sanieren“, sagt Gerda Plate und lächelt. Erinnerungen daran hat sie genügend.

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