: Litauen on my mind
Buchmessern (1): Ach ja, das Gastland, wird einem wieder zwischen zwei Standbesuchen in Halle sieben einfallen, wo war noch mal das Gastland? Gedanken einer Frankfurtfahrerin, kurz bevor die Buchmessenhallen die Tore öffnen
Ja, ja, wir wissen es ja, in diesem Jahr droht die Buchmesse mit weniger Ausstellern als im Vorjahr – aber wem wird das schon auffallen bei nach wie vor 6.400 Ausstellern aus 110 Ländern? Statt 300.000 Besuchern, die man im Vorjahr erwartet hatte, erwartet man jetzt nur noch 250.000 – aber was für einen Unterschied wird das schon machen?
Wie in den Jahren zuvor wird man sich durch die Gänge der Messehallen zwängen, man wird sich von einer überbesuchten Lesung zur nächsten durchschlagen und sich schon am späten Nachmittag den Kopf zermartern, wie man noch die Zeit überbrücken soll bis zum Abend, an dem die nächste Lesung stattfindet.
Man wird also von Messehalle zu Messehalle wackeln, und wenn man es nicht wüsste, dann würde es einem völlig entgehen, welches Land in diesem Jahr Gastland ist. Ach ja, das Gastland, wird einem wieder zwischen zwei Standbesuchen in Halle sieben einfallen, wo war noch mal das Gastland? Und dann, am letzten Tag, wird man doch rein zufällig in einem abseitigen Winkel der Messe auftauchen, sagen wir, in Halle acht, huch, wird man denken, was ist denn hier? Russische Wochen bei Karstadt? Ach nein, es ist ja das Gastland, Litauen diesmal.
Kleines Land, davon hat man ja gelesen in den letzten Tagen. Und hier sein so genannter Nationalstand. Au ja, warum nicht mal ein litauisches Buch aussuchen und später irgendwann lesen.
Aber dann wird man sich an die griechischen Gäste im letzten Jahr erinnern und an die zwei griechischen Bücher im heimischen Regal, die noch lange darauf warten können, gelesen zu werden. Oder an die vielen roten Kreuze, die die Nationalhalle vor vier Jahren zierten. Warum eigentlich die Schweiz, fragt man sich heute wieder. Kennt doch jeder, Dürrenmatt, Frisch und so. Und außerdem: Haben die nicht genug Geld? Warum also die Schweiz und warum heute Litauen, denkt man so vor sich hin, während man litauische Bücher vorüberziehen lässt und hoppla, plötzlich schon in Halle neun gelandet ist, bei den Comics zum Beispiel, und Litauen – Litauen ist aus den Augen, aus dem Kopf.
Keine Frage, mit Litauen ein wirtschaftlich schwächeres Land mit einzubeziehen, ein Land mit so vielen Einwohnern wie Berlin – das ist schon ein hehrer Gedanke. Aber ist das Konzept des Schwerpunktlandes nicht irgendwie auch so erzieherisch wertvoll wie ein Schulbuch aus den Siebzigern? Gerinnt nicht alles zwangsläufig zur Folklore, wenn ein Land mal so richtig seine Federn spreizen soll? Wundert es jemanden, dass sich Litauens höchste Repräsentanten – wenn auch erfolglos – gegen die Thematisierung der kommunistischen oder der jüdischen Vergangenheit des Landes auf der Buchmesse gesträubt haben, dass man Leidiges einfach vom Tisch haben wollte?
Seit Jahren herrschte Einigkeit darüber, dass sich das Konzept des Länderschwerpunkts erledigt hat und eigentlich nach dem Gastauftritt Russlands im nächsten Jahr damit Schluss sein soll. Dass vielleicht alle mehr davon haben, statt eines teuren Gastlandauftritts zum Beispiel Preise und Stipendien für Übersetzer einzurichten. Doch nun ließ vor ein paar Wochen der neue Buchmessenchef Volker Neumann verlauten, er wolle weitermachen mit Länderschwerpunkten, wenn auch anders. Neumann denkt zurzeit an reformierte Länderschwerpunkte, an Regionenschwerpunkt wie den arabischen oder den Mittelmeerraum, Asien oder Afrika. Fragt sich nur, was nach fünf Jahren kommen soll, wenn die Kontinente abgeklappert sind. SUSANNE MESSMER
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