: Nicht im Namen aller Amerikaner
Warum kann ich mich nicht im Fernsehen sehen, wenn ich als US-Bürger gegen George W. Bushs Irakpläne protestiere? In den USA formiert sich eine Gegenöffentlichkeit, die eine breite Koalition von Kriegsgegnern umfasst. In den großen TV-Sendern und Tageszeitungen kommt sie aber nicht vor
von TOBIAS RAPP
Es war eine Voraussage, die eintreffen sollte. „Schaut euch gut um, damit ihr nicht vergesst, wie viele wir sind“, rief einer der Organisatoren des Pledge For Resistance, der großen Antikriegsdemonstration, am vergangenen Sonntag den ungefähr 15.000 Menschen zu, die sich im New Yorker Central Park versammelt hatten. „Schaut euch gut um – denn heute Abend im Fernsehen werdet ihr es nicht sehen können.“ Tatsächlich übergingen die abendlichen Nachrichtensendungen die Proteste geflissentlich, und selbst die New York Times, die sonst jeden Müllsack vermeldet, der in Nord-Queens umstürzt, widmete der Veranstaltung gerade einmal einen kleinen Artikel auf der dritten Seite ihres Lokalteils.
Nun sind 15.000 Demonstranten eine für amerikanische Verhältnisse unerhört hohe Zahl. Doch das Schweigen überrascht nicht nur, wenn man sich die schiere Größe der Demonstration und die Vielfalt derjenigen anschaut, die sich da zusammenfanden, um gegen den drohenden Irakkrieg zu protestieren. In allen größeren amerikanischen Städten fanden parallel ähnliche Veranstaltungen statt, und die Bandbreite derjenigen, die sich auf der Bühne im Central Park das Mikrofon in die Hand gaben, war groß. Sie reichte von Vertretern aller Konfessionen über diverse Künstler, Intellektuelle und Bürgerechtler bis zu Betroffenen jeglicher Couleur – wie einigen Sanitätern von Ground Zero oder einer New Yorkerin, deren libanesischer Ehemann von den US-Behörden nach dem 11. September erst interniert und schließlich deportiert wurde, ohne dass er sich etwas hätte zu Schulden kommen lassen.
Es überrascht vor allem deshalb, weil die Kriegspläne der US-Administration das beherrschende Thema auf allen Kanälen sind. Und obwohl die Mehrheit der Bevölkerung den Kriegskurs unterstützt, wird die Zahl der Kriegsgegner von Umfrage zu Umfrage größer. In einer am Montag von CNN und USA Today veröffentlichten Umfrage sprachen sich nur noch 53 Prozent der Befragten für eine Invasion des Iraks aus; im Juni waren es noch 61 Prozent gewesen.
Doch wenn in den USA über den Irakkrieg diskutiert wird, so scheint es zwei Amerikas zu geben. Das der Politiker und Journalisten auf der einen Seite: ein Amerika, das den Krieg vor allem als eine Frage des Wann und Wie diskutiert. Und auf der anderen Seite das der Kriegsgegner. Obwohl sich beide Lager auf die amerikanischen Grundwerte von Freiheit und Demokratie berufen, haben sie sich erstaunlich wenig zu sagen.
Nun ist Kriegsgegner nicht gleich Kriegsgegner. Die 1.200 Historiker etwa, die vor zwei Wochen eine Anzeige in der New York Times schalteten, sorgten sich vor allem darum, dass die amerikanische Verfassung zu Schaden kommen könnte, sollte George W. Bush es unterlassen, den Kongress über einen Krieg entscheiden zu lassen.
Die Unterzeichner des „Not In Our Name“-Aufrufs dagegen, der im britischen Guardian sowie in der New York Times und L. A. Times als ganzseitige Anzeige veröffentlicht wurde, sind nicht nur gegen einen Krieg gegen den Irak. Sie wenden sich gegen weite Teile des so genannten war on terror: gegen die Einschränkungen der Bürgerrechte etwa, aber auch gegen die groß angelegte Internierung von Muslimen, die seit dem 11. September viele hundert Menschen für Monate hinter Gitter gebracht hat – auf den bloßen Verdacht hin, sie könnten etwas mit den Anschlägen zu tun haben.
Hunderte von Prominenten unterzeichneten. Von Angela Davis und Martin Luther King III und Noam Chomsky über Hollywood-Größen wie Robert Altman, Terry Gilliam und Oliver Stone bis zu Musikern wie Laurie Anderson, dem Rapper Mos Def oder dem U 2-Produzenten Brian Eno. Auch Schriftsteller wie Gore Vidal und Kurt Vonnegut stehen auf der Liste. Über 15.000 Namen sind es insgesamt.
Der Ton dieses Aufrufs ist dezidiert patriotisch: „Wir berufen uns auf die Geschichte der Vereinigten Staaten, angefangen bei denen, die gegen die Sklaverei revoltiert haben, bis hin zu jenen, die gegen den Vietnamkrieg kämpften“, hieß es dort, und die Spenden für „Not In Our Name“ gehen direkt an die Bill Of Rights Foundation.
Doch auch wenn nur wenige der prominenten Unterzeichner am Sonntag ihren Weg in den Central Park fanden: Die Forderungen des „Not In Our Name“-Aufrufs und die des Pledge For Resistance liegen nicht weit auseinander. Es waren wohl mehr Fragen des Stils, die Oliver Stone davon abhielten, sich in eine Reihe mit der 16-jährigen Vertreterin der New Yorker Revolutionary Communist Youth Brigade zu stellen, die – in Kampfstiefeln und mit Palästinensertuch um den Kopf – verkündete, ihr sei es „fuckin’ serious“ mit dem Widerstand, wer Krieg führen wolle, müsse erst einmal an ihr und ihren comrades vorbeikommen.
Es ist eine Gegenöffentlichkeit, die sich da formiert: Sie umfasst die verschiedensten Gruppen und Communities, und sie eint mehr als nur die gemeinsame Antwort auf die Frage, ob es richtig sei, Saddam Hussein wegzubomben oder nicht. Zwar sammelt sie sich um ihr Nein zu einem Krieg gegen den Irak, aber doch nur, weil sich hier viele Fragen bündeln, die sich bis weit ins weiße Suburbia hinein viele Amerikaner stellen und auf die das Mainstream-Amerika keine wirklichen Antworten hat: Warum muss man für den war on terror die Bürgerrechte einschränken? Warum sollen in einer Situation, wo viele tausend Amerikaner im Zuge des Börsencrashs und der zahllosen Firmenpleiten ihre Ersparnisse und Rentenansprüche verloren haben, dutzende von Milliarden Dollar für einen Krieg ausgegeben werden? Warum kann ich mich nicht im Fernsehen sehen, wenn ich dagegen demonstriere?
Der Blick, den die amerikanische Mehrheitsgesellschaft auf diese Gegenöffentlichkeit hat, fand sich wohl nirgendwo so schön eingefangen wie in einer Karikatur, die die Pittsburg Post Gazette vergangene Woche veröffentlichte: Im Wahlkampf-Hauptquartier der Demokraten sitzen ein Mann und eine Frau und schauen Umfrageergebnisse durch. Der Mann fragt: „Gibt es irgendwelche Wähler, die an unserer Antikriegs-Message Interesse haben?“ Die Frau antwortet: „Ja – aber unglücklicherweise leben sie alle in Deutschland.“
Auch wenn Deutschland am vergangenen Sonntag beim New Yorker Pledge For Resistance kein Thema war – von einem Transparent abgesehen, auf dem „For once … Germany did the right thing“ geschrieben stand –, für die US-amerikanische Öffentlichkeit scheint die Antikriegsbewegung im eigenen Land noch ungefähr genauso weit weg zu sein wie die Bundesrepublik. Sollte der Krieg tatsächlich irgendwann beginnen, könnte sich das aber ziemlich schnell ändern.
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