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Israel braucht eine KSZE

Die Spirale der Gewalt im Nahen Osten muss unterbrochen werden. Ein Vorbild für diesen Prozess könnte die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa sein

Der Slogan „Schwerter zu Pflugscharen“ erhielte in diesem Friedensprozess neue Aktualität

Der Arzt Eyad As Sarraj, prominenter palästinensischer Bürgerrechtler aus Gasa, hat jüngst an die vernünftigen Kräfte in der Bush-Administration appelliert, die angesichts der Kriegsgefahr im Nahen Osten das schlimmste verhüten möchten. Er fordert, dass das von Präsident Bush unterzeichnete Gesetz eingefroren wird, mit dem die Vereinigten Staaten erstmals Jerusalem einseitig als Hauptstadt Israels anerkennen. As Sarraj hingegen wünscht sich Jerusalem als Symbol für Frieden und Harmonie (siehe www.miftah.org). Das US-Gesetz macht deutlich, dass die Bush-Administration nicht nur maßlos, sondern auch widersprüchlich agiert.

Die Maßlosigkeit zeigte sich zum Beispiel an der Drohung des Präsidenten, die USA würden die UNO verlassen, wenn diese in Sachen Irak nicht pariere. Und die Widersprüchlichkeit wird erkennbar, wenn man bedenkt, dass die USA im März diesen Jahres selbst eine Resolution in den Weltsicherheitsrat eingebracht haben, die sich klar für die friedensstiftende Perspektive „zwei Staaten für zwei Völker“, Israel und Palästina aussprach. Heute segelt die US-Administration im Schlepptau der israelischen Rechten. Der derzeitige israelische Ministerpräsident will den Palästinensern keine Heimat, sondern nur Homelands zugestehen. In einer Erklärung warnen 125 israelische Wissenschaftler und Intellektuelle davor, dass ultranationalistische, extremistische Kräfte mit Einfluss in der israelischen Armeeführung versuchen könnten, im Windschatten eines Irakkrieges die Palästinenser aus dem Westjordanland und dem Gasastreifen zu vertreiben – gegen den Willen der Mehrheit der israelischen Bevölkerung. Aber neben den Warnungen ist es heute auch notwendig, den Radikalen auf allen Seiten eine positive Perspektive entgegenzusetzen.

Eine internationale kritische Öffentlichkeit sollte sich dafür einsetzen, dass für die beiden aktuellen Unruheherde – den israelisch-palästinensischen und den Irakkonflikt – so schnell wie möglich politische Lösungen gefunden werden. Diplomatischer Druck auf den Irak, um den Inspektoren maximale Kontrollrechte zu verschaffen bei gleichzeitiger Aufhebung der Sanktionen, die die Zivilbevölkerung treffen – das würde die Diktatur wirklich schwächen. Vor allem aber muss es um eine Befriedung des israelisch-palästinensischen Konfliktes gehen, da hier sonst ein Vakuum entsteht, das zu einer Eskalation unkontrollierbaren Ausmaßes führen kann. Politische Perspektiven jenseits von Besatzung, Siedlungspolitik und Gewalt dürfen nicht auf den Nimmerleinstag verschoben werden. Dabei sollte die Initiative Saudi-Arabiens nicht vergessen werden, die Israel für den Abzug aus den 1967 besetzten Gebieten Frieden mit der arabischen Welt anbietet.

Eine Perspektive für den Nahen Osten könnte eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit bieten – ähnlich der KSZE, die in Europa von den Siebzigerjahren an einen wesentlichen Beitrag zur Überwindung der Blockkonfrontation geleistet hat. Die Idee selbst ist nicht neu. Heute oder morgen hat eine solche Konferenz natürlich keine Chance, einberufen zu werden. Und dennoch: Politik braucht konkrete Utopien und Ziele, auf die zu hoffen und für die zu arbeiten sich lohnt, um zu zeigen, dass mit Vernunft und Augenmaß eine andere Welt möglich ist, auch im Nahen Osten. Insofern taugt eine solche Initiative heute vor allem für eine demokratische, internationale Debatte. Eine Debatte, die Zug um Zug den Krieg aus den Köpfen vertreiben hilft. Selbstverständlich ist sie in Demokratien wesentlich leichter zu führen als in Diktaturen. Aber auch Diktaturen lassen sich beeinflussen.

Die vier Grundideen der alten KSZE waren erstens Gewaltverzicht als bindendes Prinzip; zweitens Rüstungskontrolle; drittens wirtschaftliche Zusammenarbeit und viertens Förderung von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten. Die Verpflichtung zum Verzicht auf Gewalt beispielsweise wäre für Staaten und nichtstaatliche Gruppen bindend. Wirtschaftliche Zusammenarbeit buchstabiert sich im Nahen Osten vor allem als Überwindung existenzieller Armut und Not, nicht nur, aber nicht zuletzt der Palästinenser in den wieder besetzten oder belagerten Gebieten. Das bedeutet auch, das Wasserproblem, das allen Bewohnern dieser Region gemeinsam ist, einer gerechten Lösung näher zu bringen. Rüstungskontrolle als Ziel zu formulieren, heißt, ein ziviles Schutzschild gegen die tödliche Gefahr durch Massenvernichtungsmittel aufzurichten, denen sich jetzt wieder viele Menschen im Nahen Osten – nicht zuletzt in Israel – ausgesetzt sehen. Das Schutzschild müsste auf der Form gegenseitig bindender Vereinbarungen beruhen. Die Förderung von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit gibt Reformkräften an der Basis der jeweiligen Gesellschaften wie auch innerhalb der staatlichen Institutionen neuen Spielraum. Ein nahöstlicher KSZE-Prozess würde sich also gleichzeitig auf die Regierenden stützen und sie unter Druck setzen – zugunsten der Zivilgesellschaften und zugunsten einer Entfeindung zwischen den Menschen. Wie sehr Basisinitiativen von einem solchen Projekt profitieren können, hat die KSZE in Europa gezeigt.

Politik braucht konkrete Utopien und Ziele, auf die zu hoffen und für die zu arbeiten sich lohnt

Der etwas aus der Mode geratene Slogan der Friedensbewegung „Schwerter zu Pflugscharen“ erhielte in einem solchen Friedensprozess die Aktualität, die er dringend wieder braucht. Denn das Gegenteil – Pflugscharen zu Schwertern – scheint in der US-Administration mächtige Anhänger zu haben. Diese Umkehrung des Bibelwortes gibt es übrigens wortwörtlich aus dem Munde christlicher Fundamentalisten, die Israel in einen „Heiligen Krieg“ gegen Muslime drängen wollen. Zum Glück gibt es auch andere Stimmen: Der Bundesverband Jüdischer Studenten in Deutschland etwa hat sich davon distanziert und spricht sich für ein „friedliches und tolerantes Miteinander aller Religionen und Kulturen in Deutschland, Israel und weltweit“ aus. Das alte System von Gewalt und Gegengewalt, der Götzendienst gegenüber allem Militärischen hat versagt – und jeder weiß es eigentlich. Daher ist es dringend erforderlich, Konturen einer neuen Friedensordnung zu entwickeln, die auch diejenigen an Bord nimmt, die bislang noch den alten Feindbildern anhängen. Auf der Tagesordnung steht die Konversion, die Umwandlung der Rüstung und der politischen Systeme in Richtung Frieden und Demokratie. Was natürlich auch bedeuten muss, dass eine kritische internationale Öffentlichkeit Rüstungsexporte in den ganzen Nahen Osten (und auch aus dem Nahen Osten heraus) in Frage stellen, erschweren oder gar verhindern sollte. „Ab einem bestimmten Punkt der Gewalt ist es egal, von wem sie ausgeht, sie soll nur aufhören“, sagte eine anonym gebliebene Frau im Deutschen Herbst des Jahres 1977. Dieser Satz gilt heute für den Nahen Osten. Man würde sich vielleicht wundern, wie viele auch derjenigen Akteure, die heute Gewalt befehlen oder anwenden, ganz froh darüber wären, wenn sie davon abgehalten würden.

MARTIN FORBERG

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