: Geschlossene Verkehrsgesellschaft
Dürfen öffentliche Verkehrsbetriebe um Fahrgäste konkurrieren? Nein, sagt das Gesetz, und deshalb darf die BVG vorerst auch keine billigere Jahreskarte mehr anbieten. Ohne Wettbewerb aber hat der Nahverkehr keine Zukunft
Wer bestimmt, wann Busse fahren? Wer erstellt den Fahrplan und wer setzt die Preise fest? Alles, was unter einer Stunde und weniger als 50 Kilometer unterwegs ist, unterliegt dem Personenbeförderungsgesetz (PBefG), muss beantragt und genehmigt werden. Der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) ist damit in Deutschland Teil der staatlichen Daseinsvorsorge. Ein Wettbewerb, bei dem verschiedene Anbieter um Fahrgäste konkurrieren, ist verboten. Vielmehr hat der Gesetzgeber den so genannten Aufgabenträger erfunden, der die Genehmigung für den Betrieb von Bussen und Bahnen erteilt. In Berlin hat diese Aufgabe der Verkehrssenator inne.
Der Gesetzgeber möchte so einen hohen Bedienungsstandard gewährleisten. Jeder Verkehrsunternehmer, der eine Konzession ergattert hat, bekommt, wenn die Finanzen nicht reichen, Geld dazu. Beispielsweise für billigere Schüler- und Ausbildungstickets, günstige Arbeitslosen- und Seniorenkarten. Die Anschaffung neuer Busse und U-Bahnen wird genauso bezuschusst wie neue Schienen. Das Geld kommt mehrheitlich von Bund und Ländern. Ein Verkehrsunternehmen im Nahverkehr hat damit praktisch kein wirtschaftliches Risiko.
Allerdings hat es auch nichts mehr zu sagen: Die Verkehrsunternehmen sind aller unternehmerischen Freiheiten bei der Produktgestaltung beraubt! Preise, Linienführung und Bedienungsgrad werden in Berlin vom Verkehrssenator bestimmt. Die BVG darf sich auch nicht mit der Berliner Zeitung verbünden und ihre Tickets in einem günstigen Paket anbieten. Weil die Tarife genau festgelegt sind, konnte die S-Bahn das viel versprechende Werbeangebot sofort gerichtlich stoppen lassen. Es roch nach Wettbewerb.
Bei solchen Zuständen nimmt es nicht wunder, dass die Kommunen in aller Regel gleich selbst als Betreiber des Verkehrs auftreten. Sie können so ihren eigenen Verkehr bestellen und alle Bundeszuweisungen in die eigenen Unternehmen fließen lassen. Alle sind zufrieden: der Städtetag, die Gewerkschaften und auch der Verband der Automobilindustrie, denn auf diese Weise ist der Absatz deutscher Busse garantiert. Selbst die Umweltverbände sind ein aktiver Teil dieser unheiligen Allianz, da sie nicht müde werden, die Förderung des öffentlichen Verkehrs immer wieder auf die Agenda zu setzen und immer mehr Geld für modernere Busse und Triebwagen zu fordern.
Das Magdeburger Urteil
Aber immer wenn Geld verteilt wird und nicht jeder zum Zuge kommt, droht Ärger: natürlich von solchen Busunternehmen, die sich in einzelnen Städten um die Belieferung des hoch subventionierten, „bestellten“ Verkehrs beworben hatten, aber vom Aufgabenträger bei der Erteilung nicht berücksichtigt worden waren. In Stendal hat ein Busunternehmen diesen Diskriminierungsvorwurf gerichtlich so weit treiben können, dass mit dem so genannten Magdeburger Urteil die Vergaberegeln für die Bestellung von Nahverkehrsleistungen demnächst sogar vor dem Europäischen Gerichtshof grundsätzlich geregelt werden.
Zu aller Unbill kommt noch dazu, dass die EU-Kommission dem deutschen ÖPNV bereits seit Jahren sehr kritisch gegenübersteht und im Sommer 2000 die Verabschiedung einer neuen Vergabeordnung angekündigt hatte: Immer dann, wenn eine Verkehrsdienstleistung mit öffentlichen Mittel bezuschusst wird, muss die hierfür vergebene Konzession ausgeschrieben werden.
Seit einiger Zeit herrscht daher beim Senat sowie bei S-Bahn und BVG große Unsicherheit darüber, wie denn der Verkehrsmarkt der Zukunft aussehen mag. Gemutmaßt wird, dass künftig ausländische Billiganbieter die lukrativen Buskonzessionen ergattern, weil polnische oder russische Busfahrer für 3 Euro die Stunde fahren.
Beim Verkehrssenator wird daher bereits heftig geplant. Große Sympathien hat zurzeit ein Vorschlag, den eine Beraterin aus Frankfurt am Main mitbrachte. Der Senat gründet eine eigene Regiegesellschaft, die alle zu erbringenden Nahverkehrsleistungen definiert, ausschreibt und die Erbringung überwacht. Linien, Tarife, Taktfrequenz, Haltestellendichte, Sitzplatzangebote und die Uniformen der Bediensteten werden genau festgelegt. Im zweiten Schritt erhält dann dieses Regieunternehmen eine eigene schicke Marke, um die Attraktivität des Nahverkehrs den noch unentschiedenen Bürgern richtig zu präsentieren. Unklar ist, wer die Kunden verwalten soll. Der Senat möchte die Kundenbeziehung bei der neuen Gesellschaft wissen. S-Bahn und BVG wären dann nur noch reine Lohnkutscher.
Absurder Planungswahn
Eine neue Nahverkehrsgesellschaft würde aber den Bürokratiedschungel im öffentlichen Verkehr nur noch dichter und unübersichtlicher machen – und die Absurdität des Planungswahns im Nahverkehr immer offensichtlicher. Den Verkehr der Berliner zu planen und zu organisieren und den Unternehmen bei der Abwicklung genaueste Vorschriften zu machen, ist Obrigkeitsstaat pur. Um mehr Menschen in U-Bahnen, Busse und Straßenbahnen zu bringen, ist aber kein Zwangskorsett vonnöten, sondern Fantasie, Mut und Kreativität. Denn die, die wählen können, wenden sich ohnehin vom geplanten Verkehr ab. Zuwächse gibt es nur, wenn die Schülerzahlen steigen, Schüler können nicht wählen.
In Berlin wurden früher einmal die Meilensteine moderner Verkehrspolitik vorgeben. Heute orientiert man sich an Frankfurt, statt die eigenen Unternehmen von allen unnötigen Vorschriften zu befreien und Räume für eigenverantwortliches Handeln zu schaffen. Wenn BVG und S-Bahn gefordert sind und ihre unternehmerische Existenz daran geknüpft wird, ob sie ihre Produkte auch tatsächlich verkaufen können, braucht keiner Angst vor dem Wettbewerb mit ausländischen Billiganbietern zu haben. ANDREAS KNIE
Der Autor ist Mitglied der Projektgruppe Mobilität am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung
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