: Der Mann ohne Leidenschaften
Der Angeklagte räumt ein, den Todespiloten Atta gut gekannt zu haben, bestreitet aber, von den Plänen der „Harburger Zelle“ Kenntnis gehabt zu haben
aus Hamburg ELKE SPANNER
Mohammed Atta kannte er gut, aber wer er wirklich war, will auch Mounir El Motassadeq erst nach dem 11. September 2001 erfahren haben. Regelmäßig hatten sie zusammen gebetet und diskutiert. Terroranschläge, beteuerte Mounir El Motassadeq gestern vor dem Hamburgischen Oberlandesgericht, seien aber niemals zur Sprache gekommen. „Dass Atta so etwas macht, habe ich nicht von ihm erwartet“, sagte der Angeklagte, dem von der Bundesanwaltschaft (BAW) vorgeworfen wird, die Anschläge auf das New Yorker World Trade Center und das Pentagon in der US-Haupstadt Washington mit vorbereitet zu haben. Und: „Ich kann es bis heute nicht glauben.“
Der Mann, der über 3.000 Menschenleben mit auf dem Gewissen haben soll, ist schmächtig und blass. Er spricht so besonnen und unaufgeregt, dass am ersten Verhandlungstag vor Gericht ein anderes Bild des 28-Jährigen entsteht, als es in der Anklageschrift der BAW gezeichnet ist. Darin ist viel von Aggressivität die Rede. Von ausgeprägtem Hass auf den Westen, von einem radikalen Islamismus, für den El Motassadeq sogar seine Familie opfern würde und der ihn schließlich zur Vorbereitung der Terroranschläge vom 11. September veranlasst haben soll.
Spätestens im Sommer 1999, so Bundesanwalt Walter Hemberger, habe sich die Gruppe rund um Atta zusammengeschlossen, um „durch Terrorakte den heiligen Krieg im Westen umzusetzen“. Die radikalen Islamisten hätten mit der so genannten Harburger Zelle eine „nach außen abgeschottete, konspirativ arbeitende Organisationseinheit“ gebildet, in die auch der Angeklagte von vornherein mit eingebunden gewesen sei. Als die Todespiloten zur Flugausbildung in den USA waren, sei er „Statthalter“ in Hamburg und insbesondere für die finanzielle Ausstattung der Attentäter zuständig gewesen. Über seine Mitgliedschaft in der „terroristischen Vereinigung“ habe El Motassadeq Beihilfe zum Mord in 3.045 Fällen geleistet.
Motassadeq beteuert, von den Plänen der Harburger Zelle nicht gewusst zu haben. Er ist bestrebt, sich dem Gericht gegenüber kooperativ zu zeigen und alle Fragen ausführlich zu beantworten. Der Student spricht in fast fließendem Deutsch und lacht jedes Mal verschämt auf, wenn er den Dolmetscher dann doch um die Übersetzung eines Wortes bitten muss.
Bereitwillig berichtet er, dass er den Hauptattentäter Atta 1996 an der Technischen Universität in Hamburg-Harburg kennen gelernt hatte. Zunächst habe Atta ihm bei der Suche nach einer Wohnung geholfen, dann hätten sie sich immer öfter mit anderen Muslimen in der Moschee oder auch privat getroffen. Dabei sei auch viel über Religion und Politik gesprochen worden. Über den Krieg in Palästina habe die Meinung vorgeherrscht, dass man „das Problem lösen müsse“. Als Maßnahme gegen die Politik der US-Regierung habe beispielsweise der Vorschlag die Runde gemacht, „man solle die Lebensmittel aus Amerika boykottieren“. Der Vorsitzende Richter aber macht keinen Hehl aus seinen Zweifeln an dieser Darstellung. Inzwischen sei bekannt, dass Atta eines der Todesflugzeuge in das World Trade Center gesteuert habe. „Dass Sie so leidenschaftlos zusammen diskutiert haben wollen, nehme ich Ihnen nicht ab.“
Motassadeq bemüht sich, die gegen ihn vorgebrachten Indizien mit dem Koran zu widerlegen. So hält die BAW ihm vor, 1996 das Testament Attas unterschrieben zu haben. Das belege seine Nähe zum Attentäter und seine Kenntnis davon, dass der in absehbarer Zeit in den Tod gehen wollte. Motassadeq verkehrt das Indiz ins Gegenteil: Jenes Testament habe nur muslimische Bestattungsrituale festgelegt und sei gerade nicht geeignet für einen „Märtyrer“, weil die nach anderen Regeln bestattet würden.
Auch die Aussage eines ehemaligen Kommilitonen vor der BAW, dass Motassadeq nach eigenem Bekunden notfalls mit Gewalt Menschen zum Islam bekehren wollte, könne nur Unsinn sein: „Es gibt keinen Zwang im Islam.“ Andererseits räumt er im Laufe der Verhandlung ein, selbst im Mai vorigen Jahres in einem Ausbildungslager für Islamisten in Afghanistan gewesen zu sein. Und Atta, so El Motassadeq in dem Zusammenhang, habe ihm erzählt, zum Kämpfen nach Tschetschenien aufbrechen zu wollen.
Dennoch habe sein Glaube ihn nicht zu Terroranschlägen veranlasst, sondern im Gegenteil zur Überzeugung geführt, dass „Gewalt keine Probleme lösen kann“. Die Motassadeq zugeschriebene Gesinnung, so sein Verteidiger Hartmut Jacobi, werde „von 80 Prozent der Menschen in der islamischen Welt geteilt. Sie ist nicht geeignet, daraus terroristische Bestrebungen abzuleiten“.
Der Prozess wird heute fortgesetzt.
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