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Bildungschance Islamschule

Traditionelle islamische Bildungseinrichtungen wie Indonesiens Pesantren sind für viele Kinder auf dem Land die einzige Chance auf Bildung, doch die große Vielfalt und geringe staatliche Kontrolle ermöglichen auch islamistische Auswüchse

„Wir sind keine Terroristen. Wir sind Muslime und keine Störenfriede.“

von SVEN HANSEN

In der zentraljavanischen Stadt Solo haben am Montag indonesische Polizisten den 64-jährigen Muslimprediger Abu Bakar Bashir festgenommen. Gegen den Widerstand seiner Bewacher wurde der indonesische Islamist aus einem Krankenhaus geholt und per Flugzeug nach Jakarta gebracht. Dort soll er in einem Polizeikrankenhaus verhört werden. Während der Aktion in Solo lieferten sich hunderte von Bashirs Schülern, darunter 12-Jährige, eine Straßenschlacht mit der Polizei. Viele weinten. Sie wollen nicht wahrhaben, dass ihr Lehrer ein Terrorist sein soll.

Bashir, der 1971 die Koranschule Al-Mukmin im Ort Ngruki bei Solo gründete, genießt unter seinen 2.000 Schülern absolute Autorität. Al-Mukmin entwickelte sich zur Kaderschmiede für Islamisten. Der Lehrplan dort besteht darin, den Koran zu lesen und dabei zu lernen, den geistigen Führern zuzuhören und Selbstverteidigung zu trainieren. Bashir, den Gründer der Koranschule, beschuldigte Singapurs Regierung, Führer der Terrororganisation „Jemaah Islamiyah“ zu sein. Sie soll mit dem Terrornetzwerk al-Qaida verbunden sein. Bashir bestreitet das. Er bewundert Ussama Bin Laden und wirft den USA ihrerseits Terror vor. Bis in Regierungskreise hinein genießt er Unterstützung.

Im September beschuldigte ihn ein Gefangener, die Ermordung von Präsidentin Megawati Sukarnoputri geplant zu haben. Jetzt wird Bashir auch des Anschlags von Bali verdächtigt, bei dem über 180 Menschen starben. Beweise gibt es allerdings bisher nicht. Die angesehene „International Crisis Group“ spricht in einem Bericht über Verbindungen indonesischer Islamisten zu al-Qaida lieber von einem „Ngruki-Netzwerk“ – benannt nach dem Ort von Bashirs Koranschule, einem so genannten „Pesantren“.

Schon Afghanistans radikal-islamistische Taliban entstanden in Pakistans Koranschulen. Droht jetzt eine ähnliche Bewegung aus Indonesiens Pesantren? Leonhard C. Sebastian vom Institut für Verteidigungs- und strategische Studien der Technischen Universität Nanyang in Singapur sieht die Gefahr, dass Schüler an Indonesiens privaten Koranschulen anfällig für religiösen Fanatismus sind. Es fehle oft qualifizierter Unterricht. Die Schüler beteten eher Halbwissen nach als sich selbst Wissen anzueignen, schrieb Sebastian in Singapurs Straits Times.

Aber auch modern anmutende Koranschulen Indonesiens sind nicht vor islamistischen Tendenzen gefeit. Das Pesantren Al-Zaytun 150 Kilometer westlich von Jakarta zum Beispiel wurde in der Asienkrise 1997/98 aus dem Boden gestampft. Das von einer Stiftung getragene Pesantren, dessen vierstöckige Schul- und Wohnhäuser sich über die auf dem Campus gepflanzten Teak- und Eukalyptusplantagen erheben, weihte 1999 der damalige Staatspräsident B. J. Habibie ein. Inzwischen ist es wohl das modernste und mit 6.000 SchülerInnen größte des Landes. Es sollen noch doppelt so viele Schüler werden. Auch eine Universität soll hinzukommen.

„Disziplin ist der Weg zum Erfolg“, heißt es auf einem Schild in Al-Zaytun. Nichts wird dem Zufall überlassen, alles ist streng geregelt und kollektivem Ehrgeiz unterworfen. Der Tag beginnt um 4.30 Uhr mit dem Frühgebet. In den Klassen sind jeweils 36 Schüler oder Schülerinnen, eine Lehrkraft ist vorne, zwei hinten. In den Schlafsälen sind je 12 Schüler oder Schülerinnen und je eine Lehrkraft. Um 10 Uhr abends wird das Licht ausgemacht, Fernsehen gibt es nicht. Dafür wird zurzeit die größte Moschee des Landes gebaut, eine Krankenstation gibt es schon.

„Der Campus ist 200 Hektar groß, dazu kommen 1.200 Nutzland“, erklärt Mohammad Natsir vom Schulvorstand. Zum Pesantren gehören Rinder-, Ziegen- und Fischzucht und Plantagen. Aufgenommen werden Jungen und Mädchen ab 12 Jahren. Die Eltern zahlen 1.500 Euro Kaution, die sie nach sechs Jahren mit dem dann in landwirtschaftlichen Fächern ausgebildeten und inzwischen erwachsenen Kind zurückbekommen. „Die Kinder bekommen jährlich eine neue Uniform, pro Fach vier Bücher, drei Mahlzeiten am Tag und wohnen mietfrei im Schlafsaal“, erzählt Natsir. Gelehrt werden auch Arabisch und Englisch, bald noch Chinesisch. Sehr gute SchülerInnen werden an Unis ins Ausland vermittelt. Schon jetzt gibt es 250 Computer auf dem Campus, zu dem nicht einmal eine geteerte Straße führt. Das gepflasterte Gelände ist dagegen so sauber, dass man meint, vom Boden essen zu können.

Die mit modernsten Maschinen ausgestattete Großküche fertigt Mahlzeiten – und mischt Wachstumszusätze bei. Angestrebt werden Körpergrößen von 175 cm bei Frauen und 185 bei Männern. „Wir wollen, dass unsere Schüler Führer werden“, heißt es. Hier werden westliche Bildung, javanische Tradition, islamische Religion, Entwicklungsdiktatur und ostasiatischer Ehrgeiz verknüpft.

Der singapurische Islamschulen-Kritiker Sebastian räumt ein, dass der Unterricht in den Pesantren vom jeweils leitenden Geistlichen abhängt. Ursprünglich hätten die Islamschulen mehr Wert auf religiöse als auf weltliche Bildung gelegt. Diese Schwäche sah auch der 1999 verstorbene Berliner Pädagogikprofessor Wolfgang Karcher, der Pesantren intensiv erforschte. Karcher bezeichnete sie als „dezentrales, dorforientiertes Alternativmodell zum zentralistischen, auf den ‚modernen Sektor‘ – und damit einseitig urban – ausgerichteten staatlichen Schulsystem“.

In den Pesantren lernen die Schüler auch bei der täglichen Arbeit auf den Feldern, in Ställen, Küchen und Kooperativen. Karcher meinte, dies senke nicht nur die Bildungskosten, sondern biete eine Verbindung von Kopf- und Handarbeit. Durch die staatliche Unabhängigkeit könne flexibel auf die jeweilige Situation und Umgebung reagiert werden.

Das starke Gewicht des Gelehrten (Kyai) als religiöse Autorität, väterlicher Berater und persönliches Vorbild begünstigt nach Karcher identifikatorisches Lernen. Doch Widerspruch gegenüber dem Kyai werde meist sanktioniert, wie auch bei den religiösen Themen das Memorieren und eine dogmatische Wissensvermittlung dominieren.

Den großen Einfluss der Kyai und ihrer weiblichen Variante, der Nyai, hat jetzt auch die US-Regierung erkannt. Im September lud sie erstmals 25 von ihnen zum Besuch der USA ein, um Vorurteile abzubauen. Die indonesischen Geistlichen waren beeindruckt von ihren Treffen mit US-Muslimen, doch waren sie erschüttert von der als aufreizend empfundenen Kleidung amerikanischer Schülerinnen. In den Pesantren tragen Mädchen und Frauen eng ums Gesicht gesteckte Kopftücher und gibt es eine strikte Geschlechtertrennung.

Die Pesantren sind heute sehr ausdifferenziert, bleiben für Städter und Mittelschicht aber zweite Wahl. Sie gelten als Schulen für Arme, in die man allenfalls Problemkinder schickt, denen eine asketische Lebensweise helfen soll. Pesantren unternehmen jedoch große Anstrengungen, um Unterricht, Wirtschaftsbetriebe und Lerninhalte zu modernisieren. So verfügt etwa das Pesantren Daarut Tauhid bei Bandung über ein Touristenhotel, zwei Radiosender und einen Verlag mit VCD-Studio. Viele engagiert betriebene Pesantren können sich im Vergleich zu vernachlässigten und schlecht ausgestatteten öffentlichen Schulen durchaus sehen lassen.

Der Aufstieg des großen Pesantren Al-Zaytun beeindruckt viele Indonesier. Viele wundern sich aber auch, wie dies trotz Wirtschaftskrise möglich ist. Bei Fragen wird auf Spender verwiesen – was aber nicht erläutert wird. Ende 2001 erschienen erste negative Berichte in Indonesiens Presse. Von islamistischer Verschwörung, falscher Religionsausübung und Gehirnwäsche war die Rede. Ob Gerüchte aus Missgunst verbreitet wurden oder an den Vorwürfen etwas dran ist und Al-Zaytun politische Ziele verfolgt, blieb unklar. Die Behörden bemühten sich bisher vergeblich um Aufklärung. Im Internet erklärt Al-Zaytun: „Wir sind mit keiner internationalen terroristischen Organisation verbunden. Denn wir sind Muslime, und sie sind Störenfriede.“

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