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Die Farbenlehre gerät ins Wanken

SPD und PDS stellen sich im Abgeordnetenhaus nach Scheitern des Solidarpakts hinter die einseitigen Maßnahmen des Senats. Auch die Grünen fordern von den Gewerkschaften neue Gespräche. Die CDU hingegen gibt den Arbeiterführer

Der Mann am Mikro des Plenarsaals spricht von Solidarität, von „miteinander reden“, von „Gemeinsamkeit“, von Arroganz des Senats gegenüber den Gewerkschaften. Es geht um den gescheiterten Solidarpakt und die einseitigen Maßnahmen des Senats, die an diesem Nachmittag Rückendeckung des Parlaments erhalten. Da muss man ein zweites Mal auf die Anzeigetafel schauen, um sicherzugehen, dass der Redner tatsächlich Nicolas Zimmer ist, der sonst wenig emotional argumentierende Haushaltsexperte der CDU.

Die von der rot-roten Parlamentsmehrheit wegen der Bundestagswahl lange vermiedene Debatte weicht die politische Farbenlehre auf. „Fünfte Kolonne der Gewerkschaften“, witzelt Grünen-Fraktionschefin Sibyll Klotz über die Christdemokraten. PDS-Mann Stefan Liebich ist geneigt, an Zimmer spöttisch den Titel eines Arbeiterführers zu vergeben, und „Klientelpolitik“ wirft FDP-Fraktionschef Martin Lindler der Union vor. Der Spott über die CDU lenkt ein Stück weit von der Kritik ab, die die Oppositionsfraktionen an diesem Nachmittag am von Rot-Rot angestrebten Solidarpakt und seinem Scheitern üben. Um eine halbe Milliarde Euro sollte der Pakt die Personalkosten im öffentlichen Dienst senken, die Hälfte davon bereits nächstes Jahr erreichen. Zimmer hält schon die Summe für nicht durchgerechnet und vermisst eine Strukturreform, die solchen Kürzungen vorangehen müsste.

Grünen-Fraktionschefin Klotz mag das Angebot des Senats an die Gewerkschaften – Beschäftigungssicherung gegen mehrjähriges Einfrieren der Gehälter und Einschnitte bei Weihnachts- udn Urlaubsgeld – zwar nicht komplett von der Hand weisen, hält Verhandlungen für lohnenswert. Das müssten auch die Gewerkschaften erkennen, die ihrer Verantwortung nicht gerecht würden, wenn sie allein ihre Verbandsinteressen zum Maßstab der Dinge machen würden. Strikt lehnt Klotz jedoch pauschale Öffnungsklauseln im Flächentarifvertrag ab.

FDP-Mann Lindner lobt gerade für diese Öffnungsklausel den Senat, den er ansonsten „vor dem Scherbenhaufen seines eigenen Dilettantismus“ sieht. Beschäftigungssicherung, wie vom Senat angeboten, hält er hingegen für hemmend: Viel weiter müsste nach seinen Vorstellungen der Abbau im öffentlichen Dienst gehen, bis zu 50.000 statt 12.000 Stellen sollten weg.

Im Kern ist es ein symbolischer Schlagabtausch im Plenum. Erste der so genannten einseitigen Maßnahmen als Reaktion auf das Scheitern – Ausstieg aus dem kommunalen Arbeitgeberverband – sind beschlossen, weitere sollen folgen, das Parlament bleibt dabei außen vor.

Dass SPD- und PDS-Fraktion einen Entschließungsantrag zur „Wiederaufnahme der Solidarpaktgespräche“ vorlegen, soll nach außen zeigen: Seht her, unsere Fraktionen stehen bis zum Hinterbänkler voll hinter der Strategie des Senats. „Die PDS wird alle notwendigen Maßnahmen, auch die einseitigen, mittragen ohne zu wackeln“, verspricht Liebich, auch Landeschef seiner Partei. Und das wären: Einstellungsstopp, Wegfall des Kündigungsschutzes, längere Arbeitszeiten, keine Weitergabe von Tariferhöhungen.

Ganz so glatt mit der einmütigen Rückendeckung von SPD und PDS läuft es doch nicht, als der Antrag zur Abstimmung kommt. Die Opposition kündigt Ablehnung an, der Deutsche Gewerkschaftsbund hat schon vorher von einem „eindeutigen Erpressungsversuch“ gesprochen. Ausladend winkend ruft Christian Gaebler als parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion seine Leute zusammen, um die Mehrheit zu sichern. Einige erwischt der Ruf nicht: 69 zu 61 geht der Antrag durch. 77 Abgeordnete haben SPD und PDS – krankgemeldet sind nur 2. STA

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