piwik no script img

An unsere lieben Kreuzberger!

Wie lang erduldet ihr noch den Wrangelkiez? Vor 125 Jahren starb sein Namensgeber: General von Wrangel, Unterdrücker der Revolution von 1848

von PHILIPP GESSLER

Kreuzbergerinnen, Kreuzberger! Erfraut, ermannt euch! Wie lange wollt ihr noch zulassen, dass euer schönster Kiez um die Wrangelstraße, wo euer links-alternativ-pazifistisches Milieu am schönsten schillert, den Namen eines – pfui! – Kommisskopfes, Antidemokraten und Zynikers trägt?!

Wie? Was? Ihr wisst von nix?

W R A N G E L, Mensch! Es geht um Friedrich Heinrich Ernst Freiherr von Wrangel, den preußischen Generalfeldmarschall, der heute vor 125 Jahren starb. Nach ihm ist die Wrangelstraße nun schon seit mehr als 150 Jahren benannt. Höchste Zeit, sie umzubenennen!

Denn Graf Wrangel war ein schlimmer Zeitgenosse, von Anfang an: Geboren am 13. April 1784 in Stettin, war sein Weg als Spross eines uralten Adelsgeschlechts und Sohn eines preußischen Generals vorgezeichnet. Nach Besuch eines Gymnasiums in Neustettin trat er schon mit 12 Jahren als Junker in ein Königsberger Dragonerregiment ein. Bereits im zarten Alter von 14 war er Leutnant und kämpfte bald als Kavallerieoffizier 1806/7 in den Kriegen gegen Napoleon. In mehreren Schlachten zeichnete er sich durch Mut und Umsicht aus – schon mit 23 Jahren erhielt er den Orden „Pour le mérite“.

Während der Befreiungskriege 1813/14 nahm er an allen Feldzügen teil, die die französischen Truppen vom deutschen Boden vertrieben. Seine Skrupellosigkeit bewies er bei einem Durchbruch durch französische Linien bei Etoges: Er schoss einen französischen Parlamentär nieder, der Wrangel zur Übergabe aufgefordert hatte – eine Tat, die ihn unter den national aufgehetzten Deutschen populär machte.

Danach ging es mit seiner Kommisskarriere weiter bergauf: Schon 1823, mit 39 Jahren, wurde er Generalmajor und damit zum jüngsten General der preußischen Armee. Wes Geistes Kind er war, bewies er 1837, als er in Münster gegen katholische Gymnasiasten und Studenten militärisch vorging. Auch bei Hungerunruhen 1847 in seiner Heimatstadt Stettin sorgte er mit Bajonetten für Friedhofsruhe.

In den Augen des schwächlichen Königs Friedrich Wilhelm IV. hatte er sich damit für seine schändlichste Tat ausreichend qualifiziert: die Niederschlagung der Revolution von 1848 in Berlin. Wie in fast ganz Europa hatte es im März jenes Jahres eine erste demokratische Volkserhebung für die bürgerlichen Freiheiten wie Versammlungs- und Pressefreiheit gegeben. An der Spree war der Aufstand ein Erfolg – sieht man von den 183 Revolutionären ab, die bei Barrikadenkämpfen starben. Sie wurden im Friedrichshain beerdigt, wo sie noch heute liegen.

Wie in der Frankfurter Paulskirche für den ganzen Deutschen Bund trat am 20. Mai 1848 auch in Berlin die „Preußische Nationalversammlung“ zusammen, um eine Verfassung für diesen Staat zu erarbeiten. Eine revolutionäre „Bürgerwehr“ hatte sich gebildet, die regulären preußischen Truppen mussten außerhalb der Stadt bleiben.

Zunächst schien es, als unterstütze der König („An meine lieben Berliner“) die Bewegung für einen freiheitlichen deutschen Gesamtstaat. De facto aber arbeitete er vom Potsdamer Schloss Sanssouci aus gezielt gegen das Ende seiner absolutistischen Regentschaft. Als die Preußische Nationalversammlung versuchte, Macht über das Militär zu erlangen, und die Unruhe innerhalb der revolutionären Bewegung in Berlin zunahm, ergriff der König („Was Not tut, ist die Zähmung Berlins“) seine Chance: General von Wrangel, nach populären Kämpfen gegen Dänemark am 13. September zum Oberkommandierenden „in den Marken“ ernannt, ließ er gegen Berlin marschieren.

Ohne nennenswerte Gegenwehr der Bürgerwehr und mit klingendem Spiel zog der General mit 13.000 Mann am 10. November in die preußische Hauptstadt ein. Wrangels Pickelhauben besetzten das Schauspielhaus am Gendarmenmarkt, wo die Nationalversammlung tagte.

Überliefert ist ein Dialog zwischen dem Kommandeur der Bürgerwehr, Major Rimpler, und von Wrangel in dieser entscheidenden Situation: Rimpler erklärte, er habe den Befehl, die Nationalversammlung zu verteidigen, und werde nur der Gewalt weichen. Zynisch soll der General geantwortet haben: „Dann sollten Se jetzt weichen, Herr Major, de Jewalt is da.“ Ein Offizier dichtete damals Spottverse. Eines endete so: „Gegen Demokraten / Helfen nur – Soldaten!“

Der General, der von einer konstitutionellen Monarchie nichts hielt, exekutierte den konterrevolutionären Staatsstreich seines Königs so exakt wie clever: Er verhängte den Belagerungszustand über die Stadt, dann das Kriegsrecht. Die Bürgerwehr wurde aufgelöst, alle politischen Vereine verboten, die Versammlungs- und Pressefreiheit eingeschränkt. Um den Anschein von Normalität aufrechtzuerhalten, erlaubte von Wrangel jedoch zugleich den Weihnachtsmarkt sowie alle Ausstellungen in den Konditoreien und öffentlichen Sälen.

Die Nationalversammlung, auf königliches Geheiß nach Brandenburg an der Havel verlegt, wurde dort nach wenigen Tagen Ende November aufgelöst. Ihr Appell an die Bürger zur Steuerverweigerung verhallte weitgehend ungehört. Der König in Sanssouci jubelte intern: „Nun bin ich wieder ehrlich.“ Damit war, wie in Wien schon im Spätsommer, auch die Revolution im deutschen Kernland Preußen gestorben – und von Wrangel war ihr Totengräber.

Umso erstaunlicher, dass der General in der Berliner Bürgerschaft dennoch eine gewisse Popularität genoss: Nach Aufhebung des Belagerungszustands am 28. Juli 1849 beschloss die bürgerlich geprägte Stadtverordnetenversammlung von Berlin eine Dankadresse an ihn: wegen seiner angeblichen Milde in der Zeit der Belagerung der Hauptstadt. Machtbewusst hatte er in der Stadt schrullig-sympathische Anekdoten über sich streuen lassen – im Kreise seiner Soldaten erfreute er sich einiger Beliebtheit. Von der Berliner Schnauze erhielt er den Spitznamen „Papa Wrangel“. Und es kam noch schlimmer: Dem General, der ab 1849 eine Privatwohnung am Pariser Platz 3 bezog, verlieh der Magistrat am 24. September 1850 die Ehrenbürgerwürde – und niemand hat sie ihm seitdem aberkannt.

Schon 1849 wurde in der damaligen Luisenstadt, heute: Kreuzberg, eine Straße nach ihm benannt. Zu seinem 60-jährigen Dienstjubiläum wurde von Wrangel 1856 zum Generalfeldmarschall ernannt. Dennoch begann sein Stern zu sinken: Beim deutsch-dänischen Krieg 1864 um das Herzogtum Schleswig hatte er den Oberbefehl inne. Doch der fast 80-Jährige war überfordert. Sein Unvermögen kostete an den Düppeler Schanzen am 18. April 1864 etwa 6.000 Soldaten das Leben. Graf Wrangel wurde abgelöst.

Über 50 Jahre war von Wrangel General. In 80 Jahren gehorchte er vier preußischen Königen – kein anderer Soldat hat jemals länger in einer deutschen Armee gedient. Noch mit 82 Jahren meldete er sich beim preußisch-österreichischen Krieg von 1866 im Kürassierregiment seines Names zum Dienst (das Regiment wurde jedoch nicht eingesetzt).

Am 1. November 1877 schließlich starb der General in seiner Wohnung am Brandenburger Tor. In seiner Heimatstadt Stettin wurde von Wrangel beigesetzt. Auf dem Leipziger Platz stand von 1880 bis 1945 ein Denkmal zu seinen Ehren. Ein Gutshaus in Steglitz, wo der General ab 1850 häufiger den Sommer verbrachte, wurde im Volksmund „Wrangelschlösschen“ genannt. Deshalb gibt es auch in Steglitz eine Wrangelstraße.

Am 18. März 1849, zum einjährigen Jubiläum der längst gescheiterten Revolution, schrieb die satirische Zeitung Kladderadatsch: „Seid ihr verrückt geworden, Berliner? Lasst die Toten ruhen! … Geht zu Klausing und trinkt eure Weiße! … studiert im Kladderadatsch die Feldzüge des großen Generals Wrangel und singt dazu das schöne Lied ‚Nun ruhen alle Wälder!‘ Aber lasst die Toten ruhen! Aber geht nicht nach dem Friedrichshain!“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen