: Der Baumeister von Bagdad
aus Bagdad KARIM EL-GAWHARY
Alexander Christof gehört zu jenem Typ Mensch, der ein Stockwerk die Treppe hochgeht, dabei eine neue Idee entwickelt und, oben angekommen, zum Telefonhörer greift, um das Ganze zu organisieren. So hat er es gemacht, als er billig Häuser für Flüchtlinge im Balkankrieg baute, und so macht er es jetzt im Irak. Schon immer, sagt der 44-Jährige, habe er seinen Beruf weniger unter ästhetischen als unter sozialen Gesichtspunkten betrachtet.
Seit gut einem Jahr arbeitet Alexander Christof im Irak, zusammen mit seiner Frau Andrea Hilger, die ebenfalls Architektin ist. Mit der von ihnen in München gegründeten Organisation „Architekten für Menschen in Not“ helfen die beiden mit, die durch den Golfkrieg und zwölf Jahre UN-Sanktionen kaputte Wasserver- und Abwasserentsorgung des Landes zu erneuern. Das UN-Kinderhilfswerkes Unicef schätzt, dass die irakische Wasserinfrastruktur nur noch mit einer Effektivität von 60 Prozent arbeitet. Wegen des schmutzigen Wassers leiden viele Menschen an Infektionskrankheiten (siehe Kasten).
Alexander Christof will das Problem in den Griff bekommen. Sein Budget von weniger als einer halben Million Euro, das ihm die Europäische Kommission über ihr Büro für Humanitäre Hilfe ECHO zur Verfügung gestellt hat, ist dabei allerdings nicht hoch. „Wir versuchen unser Bestes im Rahmen unserer Möglichkeiten“, sagt der Architekt.
Er hat schon einiges vorzuweisen. In einem ersten Pilotprojekt hat er in al-Ghraib, einem südlichen Vorort von Bagdad, ein ehemaliges, zerfallenes Berufsausbildungszentrum zur Hälfte wieder aufgebaut. Dort werden jetzt 150 Lehrlinge in einem dreijährigen Lehrgang ausgebildet: als Schweißer und Metallverarbeiter mit Spezialisierung auf Wasserrohre. In Schnellkursen werden bereits in diesen Bereichen arbeitende Iraker auf den neusten Stand gebracht. Berufsausbildung im deutschen Sinne habe in den vergangenen zehn Jahren im Irak praktisch nicht stattgefunden, sagt Alexander Christof.
Das wenige Geld wollte der Architekt nicht durch den Import teurer Maschinen verschwenden, deren Einfuhr aufgrund des UN-Embargos ohnehin Monate gedauert hätte. Also schraubten Alexander Christof und seine irakischen Mitarbeiter mit viel Improvisationsgabe aus den Schrottteilen der alten, im ehemaligen Ausbildungszentrum noch vorhandenen Maschinen neue zusammen. Einige Maschinenteile kauften sie auf den örtlichen Schrottmärkten zurück, an die sie zuvor, im Rahmen der innerirakischen Überlebens-Sanktionsökonomie, verscherbelt worden waren. Sogar mehrere Dutzend Zeichentische des ehemaligen DDR-Betriebs Robotron besorgten sie für den Unterricht.
Am Eingangstor zum Ausbildungszentrum von al-Ghraib hängt das im Irak obligatorische „Ja zu unserem Führer Saddam Hussein“-Transparent. Auf dem Parkplatz wacht der überlebensgroße Präsident auf Pappe gespannt über die Geschehnisse in der Lehrlingswerkstatt. „Wir haben ein Ausbildungszentrum wieder zum Leben erweckt. Der steht da mit mir und ohne mich“, sagt Alexander Christof. Er verwahrt sich gegen den Vorwurf, durch seine Arbeit das Regime zu unterstützen. „Wir sind eine humanitäre Organisation und kein verlängerter Arm für eine politische Maßnahme. Wir zielen auf die Menschen in diesem Land ab. Das Umfeld ist mir egal“, erklärt der Bayer aufgebracht. „Wenn die Menschen durch die Sanktionen an den Rand der Erschöpfung getrieben werden und alle Zukunftsperspektiven grundsätzlich gefährdet sind, dann hat eine humanitäre Hilfsorganisation tätig zu werden, egal welche politischen Meinungen im Land und im Rest der Welt vertreten werden.“
Bevor die Arbeit im Irak beginnen konnte, musste Christof in Europa die Fährnisse der Bürokratie überwinden. Damit das Geld von der EU floss, musste er beispielsweise eine Bankgarantie vorlegen. Eine regionale Bank in dem Münchner Vorort, in er aufgewachsen ist, hatte ihm bereits bei seinen letzten Projekten in Jugoslawien eine Garantie ausgestellt. „Als ich in der Zweigstelle Herrn Oberbichler von meiner Idee mit dem Irak erzählt hatte, musste der zwar zunächst schlucken, am Ende war aber alles klar“, erzählt Christof. Man kennt sich und vertraut sich eben in der kleinen bayerischen Zweigstelle. Hätte er in den Korridoren der Deutschen Bank die Klinken geputzt, sagt der Architekt, säße er heute wohl nicht in Bagdad.
Herrn Oberbichler sei Dank, glauben die Lehrlinge Dia, Adel und Hassanein, die alle drei aus den südlichen Vororten Bagdads stammen, dass sie durch ihre Ausbildung wenigstens ihre Zukunft in der ungewissen Zukunft des Iraks gesichert haben. „Gute Schweißer sind in diesem Land gesuchte Leute“, sagt der 18-jährige Dia, während sich ein Dutzend seiner Mitschüler in der Halle unter Aufsicht der zuvor speziell unterwiesenen irakischen Meister am Schweißen von Rohren üben. Einer der drei Lehrlinge fügt lakonisch hinzu, das mit den Zukunftsaussichten gelte besonders, wenn die Amerikaner wieder die gesamte Infrastruktur kaputtbomben sollten. Dias, Adels und Hassaneins zukünftige Qualifikation ist krisensicher.
Inzwischen hat Alexanders Christofs Organisation das Projekt den irakischen Behörden übergeben. Der ruhelose Baumeister plant längst wieder sein nächstes Projekt in Baghdadi, 250 Kilometer südwestlich der irakischen Hauptstadt. Klappt Christofs neuster Projektvorschlag, dann werden dort in wenigen Monaten 17.000 Menschen erstmals Zugang zu sauberem Wasser haben.
Wie alle anderen Hilfsorganisationen im Land, führt auch Christof seine Projekte fort, als gebe es im fernen Washington niemanden, der vom „irakischen Bösen“ spricht, als stehe kein amerikanischer Militärschlag bevor. Aber ein Teil der Gedanken des Bayern beschäftigt sich dennoch mit dem Ernstfall Krieg. Natürlich existierten Evakuierungspläne der Deutschen Botschaft in Bagdad, erzählt er. Ungefähr 80 Deutsche halten sich zurzeit im Irak auf, darunter neben Firmenvertretern auch Mitarbeiter von Hilfsorganisationen wie Alexander Christof und seine Frau. In der Botschaft, erzählt der Architekt, lägen auch Gasmasken, ABC-Waffen-Anzüge und Handschuhe für den schlimmsten Fall bereit. Helme und schusssichere Westen hat seine Hilfsorganisation vorfinanziert. „Ich werde versuchen, so lange wie möglich hier zu bleiben, und Spendenaufrufe in Deutschland organisieren.“
Immer wieder bekommt Alexander Christof Anrufe von Freunden aus Deutschland. „Lebst du noch?“, lautet meist die Eingangsfrage. „Dann erzähle ich, dass ich mich relativ frei bewegen kann, dass von einem Krieg noch nichts zu spüren ist und dass es hier normale Menschen gibt, die Gedichte schreiben, Bilder malen oder sich mit Literatur beschäftigen und ansonsten ihr Überleben organisieren.“ Das, sagt Alexander Christof, „verwundert dann meist“.
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