: Bezirke im Kassensturz
Krach zwischen Land und den Bezirken. Diese sind pleite und können laufende Kosten nicht bezahlen, dramatisch ist es im Sozialbereich. SPD-Finanzsenator will Defizite nicht decken: „Effizienter arbeiten“
von THOMAS GOEBEL, BIANCA KOPSCH und JÜRGEN SCHULZ
Die Bezirksverwaltungen der Stadt stehen am finanziellen Abgrund. Angesichts leerer Kassen können sie aus ihrem Haushalt die laufenden Kosten für dieses Jahr nicht decken. Zugleich ist Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) – entgegen der bisher gängigen Praxis – nicht bereit, für die Mehrausgaben der Bezirke im Sozialbereich aufzukommen. In den vorigen Jahren hatte der Senat 90 Prozent dieser Kosten übernommen.
Die Bezirke seien bereits „dramatisch unterfinanziert“, sagt Ekkehard Band (SPD), Bürgermeister von Tempelhof-Schöneberg. Im Bereich Tiefbau beispielsweise benötige der Bezirk 6,2 Millionen Euro, habe aber nur 1,2 Millionen zur Verfügung. „Statt ein Schlagloch zu reparieren, können wir nur ein Warnschild aufstellen“, klagt Band. Wenn Sarrazin sich jetzt auch noch weigere, die zusätzlichen Sozialausgaben zu übernehmen, sei der Bezirk am Ende: „Dann können wir uns hier verabschieden und die Bude zumachen.“
„Wir können in vielen Bereichen gar nicht gegensteuern“, sagt Cornelia Reinauer (PDS), Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg. Ihr Bezirk hat den Haushalt bereits um etwa 15 Prozent überschritten. Mit vielen freien Trägern im Sozial- und Jugendbereich gebe es feste Verträge, die der Bezirk nicht ändern könne. Sarrazin übe Druck aus, ohne sich mit den Bezirken über deren Sparmöglichkeiten zu verständigen.
In Marzahn ist die Lage besonders dramatisch: „Wir stehen nicht mehr am Abgrund, wir sind schon einen Schritt weiter“, sagt Bürgermeister Uwe Klett (PDS). Marzahn sei seit August zahlungsunfähig. Für alle notwendigen Zahlungen muss Marzahn nun beim Senat Geld beantragen: für Straßenreinigung, Essen für die Kitas, Heizkosten der Schulen und Sozialhilfe.
„Wenn jede finanzielle Zuweisung zweckgebunden ist, verlieren die Bezirke ihren politischen Handlungsspielraum. Sie werden faktisch abgeschafft“, sagt der Stadtrat für Finanzen von Lichtenberg, Wolfram Friedersdorff (PDS). Das Sozialamt Neukölln zahlt schon seit dem 5. November nur noch die Leistungen, die gesetzlich vorgeschrieben sind, etwa die „normale“ Sozialhilfe. Rechnungen von freien Trägern, die sich zum Beispiel um Behinderte kümmern, wird der Bezirk erst wieder im Januar bezahlen.
In Mitte fehlten bereits Ende September 31 Millionen Euro. „Wenn wir das selbst tragen müssen, ist der Bezirk tot“, sagt Sozialstadtrat Christian Hanke (SPD).
Sarrazins Sprecher Claus Guggenberger hält dagegen: „Die Bezirke geben in diesem Jahr 200 bis 300 Millionen Euro für Sozialkosten aus, ohne dass sich die Fallzahlen erhöht haben.“ Nur wenn ein Bezirk nachweisen könne, dass sich beispielsweise die Zahl der Sozialhilfeempfänger deutlich erhöht habe, würden diese Kosten vom Land mitgetragen. Generell müssten die Bezirke effizienter arbeiten, Missbrauch vermeiden und ihre Ausgaben senken.
Der Konflikt zwischen den Bezirken und Sarrazin ist nun auch Thema innerhalb der rot-roten Koalition, fordert doch Roswitha Steinbrenner, Sprecherin von Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner: „Die Mehrausgaben der Bezirke im Sozialbereich muss auch in Zukunft das Land übernehmen.“
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