: Autonome in Uromas Stube
Kurz bevor der Castor kommt: Das Konzept „Region Aktiv“ bringt Atom-GegnerInnen aus der Stadt bei den Landwirten im Wendland unter. In Scheunen und Gästezimmern ist Platz für mehr als 500 DemonstrantInnen
von HEIKE DIERBACH
Dass das klappt, hätte Annette Althans* nicht gedacht. Die Autonome aus Münster hätte es wie immer bei Fahrzeugkontrollen der Polizei gemacht – die Fahrzeugpapiere zeigen, aber möglichst nicht mit den „Bullen“ reden. Aber die Landwirte nebenan im Wagen, „die fingen plötzlich an, die vollzutexten“. Dass dies ihr Dorf sei und warum die Polizei ihre Gäste belästigen würde. Am Ende zeigte niemand seine Papiere: Das Konzept „Region Aktiv“ bringt in der wendländischen Göhrde städtische Castor-GegnerInnen bei Landwirten unter – und beiden Seiten erstaunliche Erfahrungen.
Obwohl, für Edmund Gerhard Bätge aus Bredenbock ist es eigentlich nicht erstaunlich. Bedenken gegen die „jungen Leute“ – „nein, wieso hätte ich die haben sollen? Die sind doch gar nicht so anders.“ Und vor allem sind die Städter „im Widerstand“, das reicht dem 49-jährigen Landwirt. Seit er im vorigen November mit angesehen hat, wie die Camps geräumt wurden, war ihm klar: „Wir müssen unseren Gästen etwas anbieten.“ Deshalb hat er in diesem Jahr seine Scheune geöffnet, und auch in Uromas Stube haben schon für eine Nacht Autonome geschlafen.
Die „Region Aktiv“ umfasst die vier Wendlanddörfer Metzingen, Schmessau, Tollendorf und Bredenbock zwischen Dahlenburg und Dannenberg. 23 Familien stellen hier Unterkunft in Scheunen und Gästezimmern zur Verfügung: Für 500 BesucherInnen wurde Platz geschaffen, 150 sind bisher gekommen. Annette Althans ist schon seit Donnerstag mit drei FreundInnen auf dem Bätge-Hof. Sie preist zuerst den taktischen Vorteil: „Die Polizei hat gar keinen Überblick mehr über die Leute.“ Aber auch ansonsten sei es eine ganz neue Erfahrung, „mal nicht als Reisechaoten hier einzufallen, sondern mit der Bevölkerung etwas zusammen zu machen“.
Am Sonntagabend hat man die erste gemeinsame Aktion unternommen – „mal im Wald an der Schiene spazieren gehen“, erzählt Bätge. Maren Timme aus dem Nachbardorf hat das gefallen: „Das war lustig, Schwarze, Landwirte, Kinder, alle durcheinander. Die Polizei wusste gar nicht, was sie davon halten sollte.“ Wie die Autonomen ist die Landwirtsfrau inzwischen auf der Hut vor Spitzeln, „und dass unser Telefon abgehört wird, ist ja auch ein offenes Geheimnis“.
Annette hat vor allem die Episode mit den Fahrzeugpapieren beeindruckt: „Das ist eine ganz eigene Art von Radikalität hier.“ An anderen Punkten hat es die 27-Jährige aber schon irritiert, „dass die Landwirte sich natürlich nicht an den autonomen Verhaltenscode halten“: Während Annette und ihre FreundInnen beispielsweise im Wendland nicht mal Bier trinken, „holen die Leute hier abends am Feuer gern mal die Flasche Korn raus“. Und wie viel Gemeinsamkeit noch wäre, wenn es hier nicht gegen Castor gehen würde, sondern gegen Nazis, „da bin ich mir nicht sicher. Aber die Frage muss man sich jetzt auch nicht unbedingt stellen“.
Sondern kann die warme Backstube genießen, die Bätge für seine Gäste besonders eingeheizt hat, „damit sie ihre nassen Sachen aufhängen können“. In der Scheune hat er den alten Kachelofen angeschlossen und eine elektrische Herdplatte, „dann können sich die jungen Leute einen Tee kochen“. Obwohl sie dazu auch in seine Küche kommen können. Für Althans ist der Bätge-Hof ein „schöner, sicherer Rahmen“, um sich gegen den Castor quer zu stellen.
Die Familie Timme im Nachbardorf Metzingen hat zwar keine Schlafgäste, aber sie hat ihre Hofeinfahrt für den zentralen Info-Punkt von „Region Aktiv“ zur Verfügung gestellt. Und den ist Peter-Wilhelm Timme bereit, zu verteidigen. Am Freitag wollte die Polizei zwei Schilder konfiszieren. Ein Demonstrant floh damit auf den Timme-Hof, sechs Polizisten im Transporter hinterher. Als sie sich weigern, Peter Timme ihre Personalien zu geben, fährt der 44-Jährige seinen Trecker vor die Einfahrt. Die Polizisten wüten, drohen mit Festnahme und fordern Verstärkung an – „aber ich auch“, berichtet Timme: Nach kurzer Zeit versperren sechs Traktoren dem Polizeibus die Ausfahrt.
Erst als er wenigstens die Personalien des Einsatzleiters hat, gibt Timme den Weg frei. Im Fortgehen habe ihm der Einsatzleiter noch zugerufen: „Wir lenken eben auch mal ein. Das ist halt der Unterschied, wenn man ein paar Semester studiert hat.“ Timme hat ihm nicht geantwortet, dass er einen Meistertitel hat: „Wer sich an so was festhält, hats doch nötig.“
„Tür und Tor offen für den Widerstand“, das haben Peter und Maren Timme von ihren Eltern geerbt und an ihre drei Kinder weitergegeben. In der Wohnküche des Hofs streut Oma Ingrid Timme Paniermehl auf ein Backblech. „Butterkuchen“, lacht die 71-Jährige, „für die Demonstranten!“ * Name geändert.
weitere Berichte SEITE 8
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen