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Wenn Neinsager Ja sagen

Der Grüne Markus Kurth ist ein Kriegsgegner. Trotzdem stimmt er für die Verlängerung des Einsatzes „Enduring Freedom“

aus Berlin JENS KÖNIG

Gerhard Schröder hat keine Ahnung, wer Markus Kurth ist. Er wird auch heute nichts über ihn erfahren. Es wird alles glatt gehen. Der Kanzler wird sich nicht mit grünen Hinterbänklern herumschlagen müssen, und es gibt schon gar keinen Grund, sich ihre Namen zu merken.

Natürlich weiß Markus Kurth, wer Gerhard Schröder ist. Man kann nicht gerade sagen, dass er mit dem Kanzler politisch auf einer Linie liegt. Aber er rettet ihm heute die Mehrheit. Wenn das Parlament über die Verlängerung des Antiterroreinsatzes der Bundeswehr entscheidet, wird der grüne Abgeordnete Kurth, der seit zwei Wochen im Bundestag sitzt, mit Ja stimmen. Obwohl Kurth das ist, was man landläufig einen Kriegsgegner nennt.

Aber manchmal liegen die Dinge eben etwas komplizierter, als man sie mit solchen Etiketten beschreibt. „Joschka Fischer ist kein Kriegstreiber“, sagt Markus Kurth, „und ich lasse mich ungern darauf reduzieren, ein Kriegsgegner zu sein.“

Aber der 36-jährige Abgeordnete weiß, dass die Journalisten ihn bereits jetzt in der „Abteilung Ströbele“ ablegen. Als Linken. Als scharfen Kritiker von Militäreinsätzen der Bundeswehr. Als einen von den grünen Abgeordneten, die bei jeder außenpolitischen Abstimmung die knappe Kanzler-Mehrheit gefährden. Christian Ströbele hat mit dieser Rolle kein Problem, im Gegenteil. Die erfahrenen Parlamentarier Winfried Hermann und Irmgard Schewe-Gerigk auch nicht. Aber die neuen Abgeordneten, die sich zu der kleinen Gruppe der parlamentarischen Linken bei den Grünen hingezogen fühlen, Markus Kurth, Jutta Dümpe-Krüger und Peter Hettlich – sie haben etwas dagegen, abgestempelt zu werden. „Wir sind nicht Teil eines alten Rebellenhaufens“, sagt Kurth.

Dass einige bei Markus Kurth das fälschlicherweise annehmen, hat mit seinem bisher einzigen großen Auftritt zu tun. Vor einem Jahr hat Gerhard Schröder seine Regierung nur retten können, weil er die Zustimmung von SPD und Grünen zum Krieg in Afghanistan mit der Vertrauensfrage zu seiner Person verband. Die Grünen haben diese Entscheidung auf einem turbulenten Parteitag in Rostock zwei Wochen später bestätigt. Und einer der Wortführer der Kriegsgegner in Rostock war – Markus Kurth. Er begründete den Antrag derjenigen, die die Bundeswehr nicht in den Kampf gegen den Terror schicken wollten, weil sie das Militär für die prinzipiell falsche Antwort auf einen ort- und gesichtslosen Terrorismus halten. Kurth sieht das heute immer noch so, aber er räumt eben auch ein, dass die Militäraktion „Enduring Freedom“ etwas gebracht habe. Das Taliban-Regime in Afghanistan sei beseitigt, und es gebe eine halbwegs geregelte, wenn auch sehr fragile politische Ordnung, sagt er. Dazu habe die deutsche Außenpolitik mit dem Anstoß eines Verfassungsprozesses in Afghanistan einen positiven Beitrag geleistet. Trotzdem bleiben für Kurth offene Fragen: Bin Laden sei nicht gefasst, weitere Terroranschläge seien nicht verhindert worden, und der Nährboden sei dem Terrorismus nicht entzogen worden. Man spürt, dass Markus Kurth in sich zerrissen ist. Am besten kommt das in einem Satz zum Ausdruck, der eine Zusammenfassung seiner Überlegungen sein soll. „Enduring Freedom“, sagt er, „ist nicht ganz die richtige Antwort.“

Und trotzdem stimmt er einer Verlängerung des Mandats heute zu. „Wegen Irak“, sagt er. Kurth nennt das eine „übergeordnete Überlegung“. Deutschland könne als Widerpart der USA gegen einen Irakkrieg nur dann etwas ausrichten, wenn die Bundeswehr sich weiterhin am internationalen Antiterrorkampf beteilige. Das klingt ein bisschen wie Verrat an der eigenen Position. „Das ist kein Verrat“, sagt Kurth, „das ist ein realpolitisches Argument.“

So wie Kurth denken die meisten Kritiker des Militäreinsatzes bei den Grünen. Sie haben Fragen, Bedenken, Bauchschmerzen – aber sie werden zustimmen. Zumindest bei Schewe-Gerigk, Hettlich und Dümpe-Krüger nimmt das die Fraktionsführung an. Ströbele und Hermann wollen sich erst heute erklären. Alle rechnen bei ihnen mit einem Nein. Aber selbst ein so überzeugter Pazifist wie Winfried Hermann räumt ein, dass er den Bundeswehreinsatz in Afghanistan heute differenzierter und realistischer sieht als noch vor einem Jahr. „Die Debatte jetzt wird ruhiger und fairer geführt“, sagt er. „Ich denke mehr nach.“ Seine prinzipiellen Einwände seien aber nicht ausgeräumt. Trotzdem schickt er noch einen beziehungsreichen Satz hinterher: „Ich habe großes Interesse daran, dass Rot-Grün weiter regiert, gerade wegen ihrer Außenpolitik.“ Vielleicht gibt es im Bundestag heute ja sogar gar keine grüne Gegenstimme.

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