piwik no script img

Ein herber Prestigeverlust

Der Tanker „Prestige“ ist gestern gesunken. 140 Kilometer vor der galicischen Küste treibt nun ein 1.200 Quadratkilometer großer Ölteppich

aus Madrid REINER WANDLER

Es kam, wie es kommen musste. Der Tanker „Prestige“ brach gestern Morgen um acht Uhr auseinander. Gegen 13 Uhr begann er im Atlantik zu versinken. Zunächst verschwand das Heck, der Bug hielt sich noch etwas über Wasser. Gegen 16.30 Uhr sank die Prestige vollständig. Das Schiff, oder was davon übrig war, befand sich da rund 250 Kilometer vor der spanisch-portugiesischen Küste. Die holländische Bergungsgesellschaft Smit, die der griechische Reeder des Tankers unter Vertrag genommen hatte, kappte kurz zuvor die Taue. „Mehr konnten wir nicht tun“, beschied ein Sprecher der Firma die Journalisten.

„Das Schiff hat beim Auseinanderbrechen große Mengen Schweröl verloren“, meldeten die Behörden der nordwestspanischen Region Galicien, vor deren Küste die „Prestige“ am Mittwoch in Seenot geraten war. An Bord des unter der Flagge der Bahamas fahrenden Tankers befanden sich zum Zeitpunkt des Auseinanderbrechens noch über 70.000 Tonnen hochgiftiges, schwefelhaltiges Schweröl. Spanische Schifffahrtexperten äußerten gestern gegenüber Radio Gallega gar den Verdacht, das Schiff könnte fast doppelt so viel geladen haben. Sie stützten sich dabei auf die Größe des Schiffes. „Auf den ersten Bildern vom letzten Mittwoch war zu sehen, dass die Prestige maximalen Tiefgang hatte, also unter voller Last fährt“, erklärte ein Universitätsprofessor in einer der unzähligen Sondersendungen.

Die Bergungsgesellschaft hatte in der Nacht vom Montag auf Dienstag immer wieder versucht, einen portugiesischen Hafen anzulaufen, um dort das Öl abzupumpen. Das war verweigert worden. „Das Schiff hat bereits eine Umweltkatastrophe verursacht“, erklärte der portugiesische Regierungschef José Durão Barroso die Ablehnung. Zuvor hatten bereits die Spanier ein Einlaufen verweigert. Das Bergungsunternehmen Smit versuchte daraufhin, den Tanker Richtung Süden zu schleppen – in der Hoffnung, in afrikanischen Gewässern einen Hafen zu finden, der es mit der Sicherheit nicht so genau nimmt.

Der Delegierte der spanischen Regierung in Galicien, Arsenio Fernández de Mesa, versuchte gestern die besorgte Bevölkerung zu beruhigen. Das beim Bruch ausgelaufene Öl werde nur bei sehr ungünstigen Windverhältnissen an die Küste geschwemmt. Und das Öl, dass sich beim Sinken noch in den Tanks befand, werde durch das kalte Wasser und den hohen Druck verfestigt. Der Atlantik ist an der Stelle, an der die „Prestige“ sank, über 4.000 Meter tief. In der Region befinden sich mehrere Bergungsschiffe (darunter eines aus Deutschland), die das ausgelaufene Öl eindicken und dann absaugen sollen.

„Die Behörden erzählen seit Tagen, dass nichts passiert, während wir an der Küste gegen die Ölpest kämpfen“, widerspricht der Sprecher der größten spanischen Umweltschutzvereinigung „Ecologistas en Acción“, Alberto Gil. „Auch was wir nicht unmittelbar sehen können, ist gefährlich“, gibt er zu bedenken. Auch in großen Tiefen gebe es Lebewesen, die für den Nahrungskreislauf der Meeresfauna von großer Bedeutung seien. Diese könnten geschädigt werden. Die Giftstoffe würden in die Nahrungskette kommen. Gil befürchtet, dass jetzt ein Massensterben unter den Vögeln der Region einsetzen wird. Bereits in den vergangenen Tagen wurden mehrere hundert tote Vögel aus dem verseuchten Wasser geborgen. „Die Katastrophe multipliziert sich“, sagt Gil. Ein Abpumpen aus über 4.000 Meter Tiefe ist nicht möglich, das bestätigte auch Bergungsfirma Smit.

„Ecologistas en Acción“ und acht weitere Umweltschutzorganisationen beschuldigten gestern die spanische Regierung, in den vergangenen Jahren die Ausrüstung der staatlichen Seerettung in einer so viel befahrenen Zone wie der galicischen Costa da Morte sträflich vernachlässigt zu haben. „Nur deshalb musste die ,Prestige‘ auf die offene See geschleppt werden“, ist sich Gil sicher. Zwar verfüge Spanien über Schiffe, die zum Abpumpen des Öls gerüstet seien, aber es fehle an Begleitfahrzeugen, die das dabei eventuell austretende Öl von der Wasseroberfläche absaugen könnten.

Mittlerweile sind 250 Kilometer Küste in Galicien verseucht. Die Region ist das fisch- und meeresfrüchtereichste Gebiet der iberischen Halbinsel. Auch ohne das Öl, das beim Auseinanderbrechen der „Prestige“ noch zusätzlich frei wurde, wird die marea negra (Schwarze Flut) in den nächsten Tagen nicht abreißen. 140 Kilometer vor der Küste befindet sich ein 1.200 Quadratkilometer großer Ölteppich. Kleinere Flecke treiben nur zehn Kilometer vom Ufer entfernt. 5.000 Familien sind von der Naturkatastrophe direkt betroffen. Die meisten von ihnen verdienen ihr Geld mit der Zucht von Muscheln und dem Sammeln von Krustentieren. Das Weihnachtsgeschäft wäre ihre Hochsaison gewesen, doch das Öl hat diese Hoffnung zerstört. Die spanische Regierung möchte auf einer Kabinettssitzung am Freitag Soforthilfen beschließen. Demnach sollen pro Tag Verdienstausfall 30 Euro erstattet werden. Mariano Rajoy, Vizepräsident der spanischen Regierung, traf gestern Mittag an der betroffenen Küste ein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen