: Beleidigung des Islam
Vier kurzzeitig verhaftete Führer der iranischen Studentenbewegung werden jetzt vor Gericht gestellt
BERLIN taz ■ Das iranische Regime schlägt wieder einmal zurück: Vier führende Mitglieder der größten Studentenorganisation Irans, „Tahkim Vahdat“, müssen sich am kommenden Sonnabend vor Gericht verantworten, nachdem sie am Dienstag in Teheran festgenommen und gestern wieder auf freien Fuß gesetzt worden waren. Nach Angaben der iranischen Nachrichtenagentur Irna wird ihnen die Beleidigung der Werte des Islam und ein Verstoß gegen die nationale Sicherheit vorgeworfen.
Die kurzzeitigen Festnahmen sollen, so glauben Studentensprecher in Teheran, Studenten abschrecken, die bereits zwei Wochen an nahezu allen Universitäten des Landes protestieren. In der vergangenen Woche war es in Teheran zwischen Kundgebungsteilnehmern und Schlägertrupps zu blutigen Auseinandersetzungen gekommen. Die konservative Tagezeitung Keyhan hatte am Donnerstag in einem Leitartikel 20 studentische „Rädelsführer“ für die Proteste verantwortlich gemacht und deren Festnahme und Bestrafung verlangt.
Die Studenten hatten, den Empfehlungen der von Präsident Chatami geführten Regierung folgend, sich bereit erklärt, die Kundgebungen und Streiks zum Wochenbeginn vorläufig einzustellen und in den Universitätsräumen Versammlungen abzuhalten. Auch diese Versammlungen wurden auf Anordnung des Kultusministeriums ausgesetzt, was die Studenten scharf kritisierten. „Das Kultusministerium hat vor dem Druck der Konservativen kapituliert“, sagte ein Sprecher von „Tahkim Vahdat“. Anlass zu den landesweiten Protesten war das Todesurteil gegen den Universitätsprofessor Haschem Aghadjari, der sich bei einem Vortrag im vergangenen August kritisch über den traditionellen Islam und die konservative Geistlichkeit geäußert hatte.
Die Forderungen der Studenten gehen weit über die Aufhebung des Todesurteils hinaus. „Das Todesurteil gegen Aghadjari ist ein Todesurteil gegen das freie Denken“, skandierten sie und verlangten das Ende der Willkürurteile der Justiz, die Freilassung aller politischen Gefangenen und eine Volksbefragung über die Zukunft des Landes. Auch zahlreiche Parlamentsabgeordnete der Reformfraktion sowie hunderte von Hochschullehrern forderten die Aufhebung des Todesurteils. Revolutionsführer Chamenei hatte zunächst dem Druck der Protestierenden nachgegeben und laut Agenturmeldungen die Überprüfung des Urteils angeordnet. Doch diese Nachricht wurde am folgenden Tag vom Justizchef Haschemi Schahrudi dementiert. Eine Anweisung des Revolutionsführers habe es nicht gegeben, sagte er. „Selbstverständlich wird auch dieses Urteil seinen juristischen Gang nehmen und von einem Revisionsgericht überprüft werden.“ Schahrudi bedankte sich bei allen Richtern, die „mutig und den Gesetzen folgend bemüht sind, Gerechtigkeit walten zu lassen.“
Die Äußerungen des Justizchefs deuten politische Beobachter in Teheran als Ausdruck von Differenzen und Unstimmigkeiten im Lager der Konservativen. „Wenn ein Richter sein Urteil gesprochen hat, ist dieses Urteil juristisch entscheidend, und niemand wird sich erlauben, das Urteil zu schwächen, geschweige denn die ehrwürdige Rechtsprechung zu beleidigen“, sagte Schahrudi. Die Staatsanwaltschaft ging noch einen Schritt weiter und erklärte, das Urteil sei rechtskräftig, der Angeklagte habe jedoch die Möglichkeit, Widerspruch einzulegen. Aghadjari ließ unterdessen verlautbaren, er werde keinen Widerspruch einlegen. Er könne das Gericht nicht akzeptieren, denn er sei öffentlich denunziert worden, während der Prozess hinter verschlossenen Türen stattgefunden habe. Die Frist für den Widerspruch läuft am 3. Dezember ab. BAHMAN NIRUMAND
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