: Die Buße des Folterers
Der Bremer Filmemacher Wilfried Huismann erzählt in seinem neuen Film „Des Teufels Lehrling – Mickaels Geschichte“ zugleich einfühlsam und analytisch das Leben eines Mannes, der für die türkische Geheimpolizei folterte und schließlich desertierte
„Man kann aus jedem Menschen eine Bestie machen“ sagt Mickael Suphi gleich zum Beginn des Films. Eine beängstigende Vorstellung, die sich durch seine Lebensbeichte, die das Zentrum von Wilfried Huismanns neuer 45minütiger Fernsehdokumentation bildet, zu bestätigen scheint.
Als Kind türkischer Gastarbeiter wurde Suphi 1967 in Belgien geboren und wuchs dort auf. Als 20-jähriger ging er zum Wehrdienst in die Türkei, fiel auf, weil er vier Sprachen beherrschte und weil sein Held Sylvester Stallone war. Er gebärdete sich entsprechend. Suphi wurde für den Dienst in der Geheimpolizei ausgewählt, träumte zuerst von einem Leben wie James Bond, wurde dann aber für seine Ausbildung in den Keller eines mitten in der Stadt Eskisehir liegenden Hotels geschickt, wo er systematisch das Foltern lernen sollte.
Was er dort in den wenigen Tagen, die der Unterricht dauerte, getan hat, erzählt er in höchstens fünf Filmminuten, aber damit geht der Filmemacher schon an die Grenzen dessen, was erträglich ist. „Man kann nicht 45 Minuten lang über Foltermethoden reden“ sagt Huismann selbst. Mickael Suphi sollte damals systematisch von seinen Folterlehrern entmenschlicht werden.
Er fügte sich, bis er einen 12jährigen Jungen foltern sollte. Suphi verweigerte den Befehl, wurde grausam zusammengeschlagen, aber danach gelang ihm die Flucht aus der Türkei. Seitdem irrt er heimatlos durch die Welt, vom türkischen Geheimdienst gejagt, von seiner Familie, die ihm seine Geschichte nicht glaubt, verstoßen – vor allem aber von Gewissensbissen zerfressen: „Bei jeder brennenden Zigarette rieche ich noch das verbrannte Fleisch“. Sein Leben ist verpfuscht, er selber meint, dass er kein Recht mehr auf ein lebenswertes Dasein hat – Suphi ist vom Täter zum Opfer geworden.
Diese seelischen Qualen, diese Reue glaubt man dem Mann. Da redet ein Getriebener, Freudloser und Wilfried Huismann lässt ihn zuerst auch lange erzählen. Etwa für das erste Drittel folgt der Film nur Suphis Erinnerungen, dann wechselt er Stil und Tempo und zeigt auch Huismanns eigene Recherchen. Denn dieser versuchte die Angaben von Mickael durch Fakten zu belegen. In der Türkei traf er dabei auf eine Mauer des Schweigen: er wurde von Geheimdienstlern verfolgt und erhielt Drehverbot.
Einmal schlich sich Huismann selber mit einer Taschenlampe und der Videokamera bewaffnet in den Keller des Hotels, das gerade renoviert wurde, und suchte nach Überresten von den Folterkammern. Er fand dort aber nach all den Jahren nichts mehr, sodass diese Szenen nicht viel mehr als seine eigene Tolldreistigkeit belegen. Er fand keinen direkten Beweis, der die Geschichte von Mickeal bestätigte, aber die Art, wie in der Türkei seine Recherchen von allen Seiten behindert wurden, ist ja auch sehr aufschlussreich.
Für Wilfried Huismann ist dies die erste Arbeit nach seinem grossen, auch internationalen Erfolg mit „Lieber Fidel... - Maritas Geschichte“, und es fällt auf, dass sich nicht nur die Titel der beiden Filme gleichen. Wieder hat Huismann einen Protagonisten gefunden, der eine unglaubliche Geschichte erzählt, die sowohl menschlich wie auch politisch sehr komplex ist.
„Mickaels Geschichte“ ist nicht solch ein imposantes Welttheater wie „Maritas Geschichte“ es war. Aber Wilfried Huismann gelingt es auch hier wieder, zugleich einfühlsam, analytisch und filmisch überzeugend, eine menschlich und politisch brisante Lebensgeschichte zu erzählen. Man darf auf die Reaktionen aus der Türkei gespannt sein, wenn der Film im nächsten April von der ARD ausgestrahlt wird.
Wilfried Hippen
„Des Teufels Lehrling - Mickaels Geschichte“ hat am Mittwoch, 4.12., um 20.30 Uhr im Kino 46 Premiere. Bürgermeister Henning Scherf wird die Veranstaltung eröffnen
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