piwik no script img

„Der mächtige dritte Koalitionspartner“

Ein Jahr nach dem Beginn der rot-roten Koalitionsgespräche ziehen die Vorsitzenden Peter Strieder (SPD) und Stefan Liebich (PDS) eine erstaunlich positive Bilanz. Wenn da nur nicht diese schlimme Finanzlage wäre

Strieder: „Die Vorstellung ist weg, Ostberlin würde ausgegrenzt“

von ROBIN ALEXANDERund STEFAN ALBERTI

taz: Herr Liebich, vor einem Jahr begannen die rot-roten Koalitionsverhandlungen. Sie waren damals erst wenige Tage PDS-Vorsitzender. Waren Sie vorbereitet?

Stefan Liebich: Meine erster Gedanke war: Gut für die Stadt. Schlecht für die Partei. Ich wurde gewählt, um die PDS in der Opposition gegen die Ampel zu führen. Das wäre bestimmt einfacher gewesen. Nun mussten wir es selber machen. Die PDS hatte einen entsprechenden Wahlkampf geführt, wir konnten nicht mehr anders. Aber die reine Freude war es nicht.

Peter Strieder: In Koalitionsverhandlungen kommt es darauf an, die Grundlage für eine Vernünftige Zusammenarbeit zu legen. In der Politik geht es nicht um das Wohlbefinden von Parteien, sondern um die Entscheidungen für Berlin. Anders als in der großen Koalition läuft die Zusammenarbeit im jetzigen Senat gut.

Liebich: Das Problem vor einem Jahr war doch nicht die PDS oder die SPD. Das Problem war der mächtige dritte Koalitionspartner: die Finanzlage. Strieder und ich hätten uns sonst bestimmt auf viele schöne Dinge für diese Stadt einigen können.

Strieder: Beide Parteien arbeiten die politischen Probleme sehr ernsthaft ab. Deshalb glaube ich übrigens nicht, dass der Senat durch den Ausstieg von Gregor Gysi geschwächt worden ist. Mit dessen Abgang ist die Ernsthaftigkeit gewachsen. So ernsthaft und so vertrauensvoll wie die Arbeit im Senat heute ist, war sie mit der CDU nie.

Welches konkrete Problem konnte im vergangenen Jahr nur dadurch gelöst werden, dass jetzt die lange geschnittene Nachfolgepartei der SED mitregiert?

Strieder: Gar keins, soweit Sie auf die Geschichte der PDS abstellen … Aber wir haben ein gemeinsames Verständnis von notwendiger Veränderung und sozialer Gerechtigkeit. In den Ideen einer solidarischen Gesellschafft ist die PDS der SPD näher, als uns FDP oder Grüne seien können. Wir können Themen gemeinsam angehen, ohne uns gegenseitig vorzuführen. Ein notwendiges, aber schwieriges Projekt wie der Solidarpakt wäre mit der CDU nicht machbar gewesen. Die führen sich noch in der Opposition wie der Gesamtbetriebsrat der Stadt auf. Außerdem leistet diese Koalition einen Beitrag zur Vollendung der Wiedervereinigung. Die Vorstellung ist weg, Ostberlin würde ausgegrenzt. Das sieht man übrigens auch daran, dass dort der Zuspruch zur SPD deutlich gestiegen ist.

Ein Jahr Rot-Rot, Herr Liebich, was hat die PDS erreicht?

Liebich: Berlin hat Abstand genommen von einer größenwahnsinnigen Politik und sich auf das Machbare und Mögliche besonnen. Dafür hat es Rot-Rot gebraucht. Erst jetzt gibt es eine Debatte, wie wir sozial gerechte Ressourcenverteilung vornehmen – mit den vorhandenen Mitteln. Zur Ost-West-Angleichung: Als wir die Koalition verhandelten, wurde noch der Untergang des Abendlandes prophezeit, wenn die SED-Nachfolger ins Rathaus einziehen. Heute gibt es Kritik an Sachentscheidungen, aber eine Großdemonstration gegen Kommunisten im Senat werden Sie in dieser Stadt nicht mehr finden. Darüber würde gelacht werden.

Westberlin hat gelernt, eine harmlose PDS nicht fürchten zu müssen?

Liebich: Bestimmte Milieus in Westberlin haben nicht ohne Schmerzen lernen müssen, dass einer Schriftstellerin wie Daniela Dahn eine Ehrung zuteil wird, die Luise-Schroeder-Medaille. Aber die PDS musste sich auch mit der Westberliner Geschichte auseinander setzen. Wir hätten nie gedacht, welche Empfindlichkeiten ein Besuch des amerikanischen Präsidenten auslöst. Beide Seiten der Stadt sind in diesem Jahr ein Stück weitergekommen. Jede andere Konstellation wäre nur eine Westregierung gewesen.

Strieder: Es geht darum, dass in der Tagespolitik die Werte sichtbar werden, die sich aus der Programmatik einer Partei ergeben. Dieser Senat gestaltet notwendige Veränderungen in sozialer Verantwortung, für die sowohl die SPD als auch die PDS stehen. Das gilt etwa für den öffentlichen Dienst, für die Anspruchshaltung des Einzelnen an den Staat, die Fortschreibung des Krankenhausplanes und für den Schulbereich, wo wir durch mehr Eigenständigkeit der einzelnen Schulen und das neue Schulgesetz riesige Schritte vorangekommen sind.

Liebich: Wir treffen Entscheidungen, die mit der CDU nie möglich gewesen wären: Wir setzen Abschiebungen aus, wo es aus humanitären Gründen möglich ist. Wir lösen Konflikte bei Demonstrationen nicht mehr durch Draufhauen, sondern durch Deeskalation. Wir werden auch Drogenkonsumräume ermöglichen.

Wann kommen sie denn endlich, die Druckräume? Und wann bekommen Flüchtlinge endlich wieder eigenes Geld statt Bezugsscheine oder Chipkarten?

Liebich: Die politischen Entscheidungen sind so weit vorbereitet: Im kommenden Jahr werden in Berlin Drogenkonsumräume eingerichtet. Was den Bezug von Bargeld statt Chipkarten betrifft: Eine Senatorin, die wie Heidi Knake-Werner neu im Amt ist, kann sich nicht sofort über alle Rechtsauffassungen in ihrer Verwaltung hinwegsetzen.

Strieder: Na ja: Nicht jeder Rat aus der Verwaltung ist immer ein gut gemeinter Rat oder das Ergebnis heftiger intellektueller Anstrengungen. Es kann auch noch andere Motive für diesen Rat geben. Dies zu lernen, muss man neuen Senatsmitgliedern zugestehen.

Liebich: Der Senat wird im kommenden Jahr auf das Barleistungsprinzip umsteigen.

Nach den aktuellen Umfragen liegt die SPD 4 Prozentpunkte unter dem Ergebnis der Abgeordnetenhauswahl, die PDS hat sogar über 10 Prozentpunkte verloren. So zufrieden wie Sie beide scheint der Bürger mit Rot-Rot nicht zu sein.

Strieder: Erstens, gewählt wird 2006. Zweitens, die SPD ist bundesweit in einer nicht zu leugnenden Schwäche, zum großen Teil durch mangelnde Professionalität selbst verursacht. Dadurch stürzten wir in den Umfragen von 39 auf 26 Prozent und liegen dennoch über dem Wert für Bundestagswahlen. Das hat also mit der Landespolitik nichts zu tun. Von Oktober 2001 bis 2002 stiegen wir Monat für Monat an.

Jetzt muss uns Stefan Liebich noch erklären, dass die Berliner PDS auch nichts für ihre Verluste kann.

Liebich: Wir haben 1990 in Berlin mit 9,9 Prozent begonnen. Mit realistischer Oppositionspolitik konnten wir uns bis 1999 auf 17,7 Prozent steigern. Dann hatten wir durch den Bankenskandal eine ganz besondere Situation in der Stadt, die wir auch durch die Nominierung von Gregor Gysi zum Bürgermeister beim Schopf ergriffen haben. So haben wir unseren besten Wert von 22,6 Prozent erreicht. Dies zu wiederholen, wird außerordentlich schwierig.

Strieder: Das waren gute Haltungsnoten für den Pirouettenkönig Gysi. Dazu kam die Kriegsangst nach dem 11. September und im Ostteil der Stadt die Ablehnung der Anti-Terror-Allianz. So kam das Ausnahmeergebnis für die PDS zustande.

Liebich: Richtig ist, wir haben in der Außenpolitik Differenzen. Zu den Umfragen: Im Moment stehen wir bei 10 Prozent deutlich unter Wert. Aber auch die PDS hat auf ihrer Bundesebene eine schwierige Situation, die uns in Berlin schadet.

Ist es nicht so, dass sich Berlin auch nach einem Jahr noch nicht mit seiner rot-roten Regierung anfreunden mag?

Strieder: Diesen Eindruck teile ich nicht. Unseren Solidarpakt finden Teile von Ver.di nicht richtig. Andere Teile von Ver.di sehen die Notwendigkeit ein. Die öffentliche Meinung ist auf Seiten des Senats. Man fragt sich eher, warum der Senat nicht schon am Anfang auf den Tisch gehauen hat und stattdessen so behutsam vorging.

Liebich: Behutsam ist der Senat nun wirklich nicht vorgegangen. Hätte der Senat mit einem Angebot von Geben und Nehmen begonnen, wäre alles viel einfacher gewesen.

Strieder: Glaube ich nicht. Es war notwendig, Ver.di an den Gedanken zu gewöhnen, dass der Senat es überhaupt ernst meint. Die Position des Senats ist in der Stadt absolut mehrheitsfähig.

Sie tragen Ihr Kräftemessen mit Ver.di auf dem Rücken von Lehrern und Polizisten aus. Denen haben Sie die Arbeitszeit erhöht.

Liebich: „In 2003 werden Drogen–konsumräume eingerichtet“

Strieder: Die Blockadehaltung der Gewerkschaften hat diese Maßnahme erzwungen. Selbst die Ver.di-Führung hat eingesehen, dass es sinnvoll wäre, zu verhandeln. Aber dann sind sie auf einer Funktionärskonferenz ausgebremst worden. Unser Angebot ist Arbeitszeitverkürzung für mehr Beschäftigung. Wenn die Gewerkschaften darauf nicht eingehen, ist es ein Problem der Gewerkschaften.

Liebich: Natürlich ist es auch unser Problem. Deshalb sind wir auch weiter im Gespräch mit den Gewerkschaften. Leider scheint Ver.di Druck zu brauchen, um sich zu bewegen.

Der Publizist Klaus Hartung schreibt: „Berlin ist am Ende. Die selbstzufriedene Erschöpfung kann nur von einem neuen Bürgertum überwunden werden.“ Da sind wir mit SPD und PDS wohl an die Falschen geraten.

Strieder: Hartung wohnt in Kreuzberg und ist ein gebildeter Urbanit. Sein Thema ist die Wiedererstarkung des Bürgertums im Sinne des Citoyens. Da hat er Recht. Die es können, müssen in unserer Gesellschaft mehr Verantwortung übernehmen. Wir brauchen Bürger, die sich für ihre Stadt engagieren, nicht nur ihr Geld, sondern auch ihr Know-how einbringen und ihre Zeit. Ein solches Bürgertum müssen wir in Berlin entstehen lassen. Für die SPD bedeutet das Umdenken. Vieles, was wir aus gutem Glauben an Vorschriften gemacht haben, um soziale Gerechtigkeit zu gewährleisten, ist ausgeartet in Bevormundung. Das müssen wir zurückdrängen.

Liebich: In der Frage gibt es zwischen der SPD und uns ein paar Differenzen …

bei der PDS heißt der Citoyen noch Bourgeois?

Liebich: Mit dem Begriff des neuen Bürgertums kann ich jedenfalls nicht viel anfangen. Aber auch die PDS hat ihren Glauben an den Staat aus schmerzhafter Erfahrung verloren. Das macht uns in vielen Diskussionen freier als manche Sozialdemokraten. Zu bürgerschaftlichem Engagement muss aber auch sozialer Ausgleich gehören. In der Mitte die Reichen und Schönen, am Rand der Rest – das wäre nicht unser Berlin. Aber in der schlimmen Finanzlage liegt auch eine Chance verborgen. Es gibt in Berlin eine Menge nützlicher Vereine, die alle am Staatstropf hängen. Wir müssen sagen: Wir wollen eure Initiative, aber der Staat kann das nicht länger bezahlen. Wir müssen um bürgerschaftliches Engagement werben.

Strieder: Genau. Die Finanzlage zwingt uns, diese Debatte zu führen. Aber auch ohne diesen Druck müssen wir, statt immer und überall auf staatliche Strukturen zu setzen, zivilgesellschaftliches Engagement einfordern.

Ist es nicht absurd, dass Ihre Parteien, die historisch immer auf den Staat gesetzt haben, jetzt in Berlin den Rückbau des Staates organisieren wollen?

Strieder: Nein. Nur den ehemals staatsgläubigen Parteien SPD und PDS nimmt man ab, die Entstaatlichung vorzunehmen, ohne auf den sozialen Schutz zu verzichten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen