: „Wir müssen das Geld umtopfen“
Verbraucherministerin Künast findet, Bauern erhielten bereits genügend Geld vom Staat. Das allerdings müsse man stärker als bisher in umwelttaugliche Maßnahmen stecken. Außerdem will sich die Grüne ab sofort mit der Lebensmittelbranche anlegen
Interview HANNA GERSMANNund REINER METZGER
taz: Frau Künast, bietet sich derzeit wieder mal ein altes Leidensbild in Grün – nach dem Wahlerfolg erst mal bekanntes Personal geschasst und zwei Parteichefs auf Abruf gewählt?
Renate Künast: Die beiden sind klar für zwei Jahre gewählt und werden daran gemessen, wie gut sie diesen Job machen. Und alle anderen in der Führungsetage werden daran gemessen, wie gut sie mit ihnen kooperieren. Mit den Neuen sind Profis an Bord, und sie werden auch Gefallen finden an ihrem Amt.
Aber die neue Bundesvorsitzende Angelika Beer erhielt doch gleich zum Anfang einen Rüffel vom Bundeskanzler, sie habe in der Irakfrage nichts zu melden. Müssen sich Rot und Grün wieder einmal zusammenraufen?
Im Augenblick haben offensichtlich alle ein Interesse daran, Unruhe zu stiften. Insbesondere von außen. Es kommt darauf an, dass wir eine Vorstellung von Politik haben und diese auch umsetzen – nämlich, dass wir uns nicht am Irakkrieg beteiligen. Dieses derzeitige Durchspielen von allen denkbaren Fallkonstellationen ist doch Irrsinn. Das verklebt allen das Gehirn.
Von einer einheitlichen Vorstellung kann doch bei diversen Sachthemen in der Bundesregierung nicht die Rede sein, vor allem nicht innerhalb der SPD. Warum stehen die früher als chaotische Fundis verschrieenen Grünen heute fast als die Einzigen da, die in der Regierung ihre Arbeit tun?
Die Grünen hatten immer eine langfristige Vorstellung davon, wo sie hinwollen. Sei es beim demografischen Wandel und der Rente, bei der Zuwanderung und so weiter. Die SPD tut sich schwerer mit einer Zeit, in der die Auseinandersetzung mit den Gewerkschaften einen neuen Stellenwert hat. Jetzt muss man das öffentliche Interesse neu definieren: Was ist eigentlich der Kern des Wohlfahrtsstaates, und welche lieb gewordenen Dinge müssen geändert werden?
Auch Sie als Ministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft wollten viel ändern. Was kommt?
Wir machen weiter mit dem sehr großen und bei weitem unterschätzten Problem der Ernährung von Kindern. Bis zu 40 Prozent der 10-Jährigen haben heute Übergewicht – das löst ein Bündel chronischer Erkrankungen aus. Und es hemmt die Kinder in ihrer Entwicklung. Da wollen wir in den Schulen mit den Kultusministern etwas auf die Beine stellen. Und mit der Lebensmittelindustrie.
Da gehen Sie aber gegen eine Branche an, die einen sehr großen Werbetopf hat.
Ja, sechs Milliarden Euro jährlich. Die Frage ist aber nicht, wie groß die anderen sind, sondern wie groß das Problem ist. Man darf die Eltern hier nicht alleine lassen bei diesen Werbeetats und diesem öffentlichen Druck: Kinder müssen ja heute bestimmte Dinge essen, um in zu sein.
Was sagt denn die Lebensmittelindustrie dazu?
Man tauscht erst mal seine Standpunkte aus. Das Thema wird uns viele Jahre beschäftigen. Da können sie nicht einfach ein Gesetz erlassen. Solange ein Stoff nicht wissenschaftlich nachgewiesen giftig ist, kann er nicht verboten werden.
Das kann im Einzelfall ziemlich dauern – siehe Acrylamid. Wann geht es beim Pommes- und Spekulatiusgift weiter?
Da gibt es einfach noch keine belastbaren Ergebnisse – schon gar nicht im nötigen EU-Rahmen. Deswegen fahren wir ja die Minimierungsstrategie in Zusammenarbeit mit den Herstellern, bei der freiwillig die Produktion optimiert wird. Das wirkt schnell auch ohne gesetzliche Grundlage. Alle anderen EU-Länder sammeln nach wie vor nur Daten und tun sonst nichts. Auch das wollen wir ändern.
Sie dürfen keine Namen veröffentlichen, ihre grüne Kollegin Bärbel Höhn in Nordrhein-Westfalen schon, weil sie ein Landes-Verbraucherinformationsgesetz hat. Warum geben Sie Frau Höhn nicht einfach alle Werte, damit sie dort auf der Internetseite stehen können?
Das wäre wohl ein illegales Umgehungsgeschäft. Aber wer will, hat über unsere Homepage den Link zu den NRW-Ergebnissen. Die Industrie merkt allerdings auch so: Verbraucherschutz ist ein Thema, da kommt sie nicht dran vorbei. Die Branchenverbände müssen dafür sorgen, dass auch jedes ihrer Mitglieder mitzieht.
Wenn das bei Acrylamid funktioniert – ist das nicht ein Präzedenzfall für viele andere Stoffe? Merkt die Industrie da nicht auf?
(Pause, lächeln) Ist doch gut, wenn sie mitmachen.
Und was ist mit Ihrer traditionellen Klientel, den Bauern?
80 Prozent der Fläche der Bundesrepublik werden land- und forstwirtschaftlich bearbeitet. Wir wollen uns mehr um kleine und mittlere Betriebe bei den Bauern kümmern, weil wir die brauchen für die Qualität des Lebens auf dem Lande. Auch für die vielen anderen Menschen. Da müssen zusätzliche Arbeitsplätze erst einmal angeschoben werden, vom Tourismus über Erzeugergemeinschaften bis zu den erneuerbaren Energien. Und selbstverständlich wird es auch eine Minimierungsstrategie geben für Pflanzenschutzmittel in den konventionellen Betrieben.
Und woher wollen Sie dafür das Geld nehmen?
Was wir an Geld haben, reicht. Wir müssen es nur umtopfen. Es wurden ja bisher teilweise wenig umwelttaugliche Maßnahmen gefördert.
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