: Wir schalten um!
Fernsehgeschichte I: Die Ausstellung „Fernsehen macht glücklich“ erinnert an 50 goldene TV-Jahre – und die noch immer blockierte Mediathek
aus Berlin TILMAN BAUMGÄRTEL
Wie Seerosen liegen die Monitore unter der dunklen Wasseroberfläche und zeigen langsame Bilder: bizarre Wassertiere, nächtliche Straßenkreuzungen, vorbeiziehende Wolkenformationen, ein Kaminfeuer, ein Aquarium – Pausenbilder aus den Fernsehen, aus einer Zeit, als es noch einige Minuten dauern konnte, bis von einem Sender zum anderen umgeschaltet worden war. Selbst die Kanarienvögel, die bis in die 80er-Jahre auf stilisierten Stromkabeln für den Südwestfunk herumhüpften, fehlen nicht.
Zu sehen sind die lang versendeten Bilder in der Ausstellung „Fernsehen macht glücklich“, die seit einer Woche im Berliner Filmmuseum läuft. Sie will die goldenen Jahre des deutschen Fernsehens dokumentieren. In fünf Räumen zeigt die Ausstellung auf dutzenden von Monitoren Ausschnitte aus Erfolgsprogrammen, aber auch komplette Sendungen, vor denen man auf kissenübersäten Sofas als Couchpotato zusammensacken kann. 20 Stunden Fernsehen haben die Kuratoren Peter Paul Kubitz und Gerlinde Walz zusammengetragen: Zlatko verlässt noch einmal den „Big Brother“-Container und wird von tausenden Fans umjubelt, in der „Schwarzwaldklinik“ eskalieren die Streitigkeiten zwischen Chefarzt und seinen Assistenten, Mutter Beimer bringt ihrem Sohn Orangensaft ans Krankenbett, Harald Schmitt mit ausgewachsener Föhnfrisur scherzt in „Schmidteinander“ mit Herbert Feuerstein, das HB-Männchen geht in die Luft, und in einer Gala des DDR-Fernsehens begleitet Hanns Eisler am Klavier Gisela May, die sein Lied über die „Schwesterstädte“ Berlin und Moskau singt.
„Fernsehen macht glücklich“ scheut weder die Höhen noch die Tiefen des Fernsehens, und zeigt „Die Manns“ neben Tele-Shopping-Blöcken, tiefsinnige „Fernsehessays“ aus den 50er-Jahren neben „Raumschiff Orion“.
Sinn für Camp
Die Ausschnitte sind zum Teil mit einem cineastenhaften Sinn für Camp ausgesucht: In einer Szene aus „Mit Schirm, Charme und Melone“ durchsucht John Steed umständlich einen Kleiderschrank, bis er in einem Schächtelchen eine Schere aus Gummi findet. Und dann mit einer schnellen Geste die Schranktür einem herbeistürmenden bad guy ins Gesicht schlägt, der bewusstlos zusammenbricht –eine Actionsequenz von choreografischer Eleganz. In einem „Kommissar“ aus den frühen 70er-Jahren wechselt die Kamera mit veränderter Tiefenschärfe zwischen den verschiedenen Protagonisten einer Szene hin und her, als wäre man in einem Orson-Welles-Film. Und unter welcher Droge standen die Übersetzer, die die Dialoge aus „The Persuaders“, als „Die Zwei“ ins Deutsche übertragen haben?
Vieles wirkt einigermaßen provisorisch an der Ausstellung: die Architektur ist wirkungsvoll, aber karg, hier und da liegen noch Kabel oder Lampen in der Ecke, und auch das ein oder andere Rohr ist noch nicht hinter einem Wandpaneel verschwunden oder wenigstens gestrichen. Was daran liegt, dass die Ausstellung in sehr kurzer Zeit aus dem Boden gestampft wurde. Eigentlich werden die Räume, in denen die Präsentation jetzt zu sehen ist, seit Eröffnung des Sony Centers am Potsdamer Platz für die Deutsche Mediathek freigehalten. In der sollte eine ständige Ausstellung über das Fernsehen in Deutschland mit Zugriff auf die Höhepunkte aus dessen Archiv zu sehen sein.
1987 hatte der Dokumentarfilmregisseur Eberhard Fechner in der Berliner Akademie der Künste zum ersten Mal öffentlich die Idee einer Mediathek vorgetragen, nachdem er feststellen musste, dass der NDR einige seiner frühen Filme schlicht gelöscht hatte. Über 15 Jahren lang mäanderte das Projekt durch die Feuilletonseiten, Fernsehtagungen und Sendergremien der Republik. In diesem Jahr schien es nun endlich so weit: sowohl die öffentlich-rechtlichen wie auch die großen Privatsender hatten nicht nur ihre Zustimmung gegeben, sondern auch Zugang zu ihren Archiven und finanzielle Unterstützung versprochen. Dann kam die Kirch-Pleite, und Sat.1 und ProSieben zogen sich aus dem Projekt bis auf weiteres zurück. Die Mediathek schien am Ende, bevor sie überhaupt eröffnet hatte.
Erfreuliche Institution
Statt einfach zu kapitulieren, entschieden sich die Kuratoren im September dafür, mit den übrig gebliebenen Mitteln eines Sponsors wenigstens eine zeitweilige Ausstellung zu organisieren, „damit man auf den Geschmack kommen kann“, wie Kurator Kubitz sagt. Und tatsächlich: Wenn die Deutsche Mediathek angesichts der allgemeinen Wirtschaftsflaute nun wohl einige Zeit auf sich warten lassen dürfte – im Filmmuseum bekommt man einen Eindruck davon, was für eine wichtige und erfreuliche Institution sie werden könnte. In einem Land, in dem Politiker in Sonntagsreden gern „mehr Medienkompetenz“ für Kinder und Jugendliche fordern, fehlt sie bis auf weiteres.
Auch wenn die Ausstellung ausgesprochen hastig zusammengestellt wurde und es nicht einmal für die Produktion eines Katalogs gereicht hat, kann man sich schon jetzt vorstellen, dass Berlin mit der Mediathek endlich ein Museum bekommen würde, das so interessant wie populär wäre. Kubitz, der 1996 die legendäre TV-Ausstellung „Der Traum vom Sehen“ im Gasometer Oberhausen auf die Beine gestellt hat, möchte künftig neben der Dauerausstellung auch auf aktuelle Entwicklungen im Fernsehen eingehen. So könnte man zum Bespiel die Fernsehkarriere von Günther Netzer vom Kicker zum TV-Manager mit Archivmaterial dokumentieren, oder die Entwicklung des Reality TV aufzeigen. Und das geht dann „über das hinaus, was ein Arte-Themenabend leisten kann“, sagt er.
„Fernsehen macht glücklich“ läuft bis zum 30. März 2003 im Filmmuseum Berlin/Sony Center, Potsdamer Straße 2 (Potsdamer Platz), Di.–So. 10–18 Uhr, Do. 10–20 Uhr, Informationen im Internet unter www.fernsehglueck.de
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