: Bakterien als Sensibelchen
Ein trilaterales Forschungsprojekt gegen die Ölpest: Die junge Oldenburger Globalisierungkritikerin Verena Reineke gewinnt ausgerechnet beim „Study-Award“ des Shell-Konzerns einen Sonderpreis
Zunächst war sich Verena Reineke gar nicht sicher, ob sie sich überhaupt um den „Shell-Study-Award“ bewerben sollte. Schließlich war der Wettbewerb von Shell ausgeschrieben worden, einem Konzern, dem die 25-Jährige überaus skeptisch gegenübersteht. Trotz ihrer Bedenken entschloss sich Reineke, die sich in einer attac-Hochschulgruppe gegen Globalisierung und die Ungerechtigkeiten der Weltwirtschaft engagiert, dann aber doch zur Teilnahme. Mit Erfolg: Für ihre Examensarbeit zum „biologischen Abbau von Erdölkohlenwasserstoffen durch Cyanobakterienmatten aus dem Wadi Gaza“ erhielt sie den mit 500 Euro dotierten Sonderpreis.
Eine besondere Erfahrung war für die gebürtige Wolfsburgerin, dass ihre Forschungsarbeit in ein trilaterales Projekt eingebunden war: Deutsche, Israelis und Palästinenser machten sich gemeinsam daran, das Geheimnis der Cyanobakterien zu entschlüsseln. Die Mikroorganismen waren bereits 1991 an der Saudi-Arabischen Golfküste entdeckt worden: Wo sie sich tummelten, schien die durch den Golfkrieg verursachte Ölverschmutzung schneller zu schwinden. Ein ähnliches Phänomen war auch im Wadi Gaza zu beobachten. „Wir haben versucht herauszufinden, was die Bakterien da eigentlich treiben“, erklärt Reineke die Zielsetzung der Forschungsarbeit. „Es war zunächst unklar, ob sie einfach resistent genug sind, dort zu überleben, oder ob sie vom Öl angezogen werden.“ Die Überlegung, eine Ölpest durch Mikroorganismen zu bekämpfen, wurde bereits angestellt, als die „Exxon Valdez“ 1989 vor Alaska verunglückte.
Die Preisträgerin findet die Vorstellung von Bakterien, die Ölteppiche vernaschen, zwar durchaus attraktiv. Allerdings sind die Zusammenhänge dermaßen komplex, dass sie eine Realisierung dieses Traumes in näherer Zukunft kaum für möglich hält. „Man müsste an jedem Ort auf die Organismen zurück- greifen, die sich dort ohnehin finden, sonst würde das gesamte Ökosystem gefährdet“, gibt sie zu bedenken. „Außerdem kann man die Bakterien aus Alaska nicht einfach an den Golf bringen, weil es ihnen da viel zu warm wäre.“
Cyanobakterien sind anscheinend kleine Sensibelchen: Nicht nur, dass sie sich auf ein bestimmtes Klima versteifen, jede der vielen Bakterienarten, die sich in einer Matte finden, kümmert sich nur um einen Bruchteil des Erdöls. Die dickflüssige Energiequelle aber setzt sich aus Tausenden von Komponenten zusammen. „Einige Bakterien“, so Reineke, „bauen fünf Bestandteile ab, mit viel Glück schafft eine Art 70 Komponenten. Das richtige Mischverhältnis zu finden ist also sehr schwierig“.
Ungeheuer schwierig gestaltete sich auch die trilaterale Zusammenarbeit. Ein geplantes Projekttreffen in Israel musste aufgrund der angespannten Lage im Nahen Osten nach München verlegt werden. Überhaupt war die Politik allgegenwärtig. Die Palästinenser hatten oft Probleme bei der Ausreise, weißes Pulver konnte wegen der Angst vor Anthrax-Anschlägen nicht verschickt werden. Häufig telefonierten die palästinensischen Wissenschaftler lieber mit Jürgen Rullkötter, dem Oldenburger Projektleiter, als mit ihren israelischen Kollegen. „Sie hatten Angst sich für diese Kooperation mit dem Feind rechtfertigen zu müssen“, erklärt die quirlige Bakterien-Expertin, die gerade wieder einen Auftritt mit ihrer Band „Pushing up the Daisies“ – zu deutsch „Die Radieschen von unten anschauen“ – absolviert hat.
Trotz der intensiven Beschäftigung mit politischen und ökologischen Problemen wirkt sie keineswegs desillusioniert. Verena Reineke hat sich ihren Idealismus bewahrt. Vielleicht wird sie sich bald als Englisch- und Chemielehrerin an einem Gymnasium darum bemühen, Engagement für Gesellschaft und Umwelt wachzurufen. Vielleicht aber wird sie auch an der Universität bleiben und weiter der Erdöl-Erkundung nachgehen. Zunächst jedenfalls will Reineke ihre Doktorarbeit schreiben, eine „Untersuchung zur Struktur der gaschromatographisch unaufgelösten komplexen Kohlenwasserstoffgemische im Erdöl“. Klingt doch wieder preisverdächtig, oder? Christoph Kutzer
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