: Höfe verlieren ihr Flair
Noch lebt in den Hackeschen Höfen die Mischung von Arbeit und Wohnen. Noch. Denn bald läuftder Mieterschutz für kleine Läden und Handwerker aus. Manche suchen schon nach neuen Räumen
von KATHRIN SCHRADER
Burkhard Voiges nimmt eine Zigarette. Er zündet sie nicht an, sondern klopft mit dem Filter nervös auf die grüne Schachtel. Am Fenster des Foyers bleibt er stehen und wirft einen kurzen Blick hinüber zu Starbucks. Dann läuft er weiter auf und ab. In wenigen Minuten beginnt im Kino Hackesche Höfe die Nachmittagsvorstellung, doch es ist ruhig im Foyer. „Die Höfe leiden unter dem Tourismus“, sagt Burkhard Voiges. „Die Berliner vermeiden es, hierher zu kommen.“
Noch immer dreht er seine Zigarette nervös zwischen den Fingern. Voiges, der Geschäftsführer des Kinos, sieht den ursprünglichen Charakter der Höfe gefährdet. Besondere Sorge macht ihm das Jahr 2004. Denn dann läuft die 1994 zwischen Senat, Eigentümern und Mietern getroffene Sanierungsvereinbarung für die Hackeschen Höfe aus.
Die Vereinbarung garantiert unter anderem mietgeschützte Bereiche für die Designer und Manufakturen und legt fest, in welcher Mischung sich Handel, Gastronomie und kulturelle Einrichtungen in den Höfen ansiedeln sollten. Mitbestimmt wurde dieser Vertrag von der Gesellschaft Hackesche Höfe, deren Konzept zur Förderung urbanen Lebens vorsah, dass alle Restaurants und Läden inhabergeführt sein müssen.
Jetzt hält der amerikanische Kaffeeriese Starbucks die Front der Höfe besetzt. „Die Vermietung an Starbucks war ein Kardinalfehler“, sagt Burkhard Voiges. Er zündet seine Zigarette endlich an und nimmt einen tiefen Zug. Der untersetzte, in Schwarz gekleidete Mann raucht hastig, während er einen Bogen vom Kaffeekapitalisten Starbucks zu den immer zahlreicheren Bustouristen schlägt, denen doch hier gar nichts geboten würde, die nur kommen, gucken und enttäuscht wieder abzögen.
Burkhard Voiges sähe die Hackeschen Höfe gern als das Auge des Taifuns, in dem es ruhig bleibt. „Das größte Geschäft mit den Höfen wird sowieso in den Nebenstraßen gemacht“, sagt er. „Der Döner-Mann gegenüber ist schon ein Jahr nach Eröffnung mit einem Mercedes hier vorgefahren.“ Die dunklen Augen hinter der Fünfziger-Jahre-Brille huschen hin und her.
Doch nicht nur Starbucks und die Bustouristen erklärt Burkhard Voiges zu den Feinden der Höfe. „Der Berliner Sumpf beginnt hier, bei unserem Wachpersonal, das sich von Kleinkünstlern bestechen lässt, die in den Höfen musizieren wollen.“ Selbst wenn den Musikanten der Zutritt zu den Höfen verwehrt bleibt – Ruhe wird bis auf weiteres nicht einkehren. „Ab 2004 sind den Spekulanten Tür und Tor geöffnet“, sagt Burkhard Voiges.
„Das ist formal richtig“, bestätigt David Kastner, Gesellschafter der Hofverwaltung Pentanex, die Sorge des Kinobesitzers. „Nach 2004 besteht das theoretische Recht des Eigentümers, frei zu reagieren, und in Einzelfällen wird man davon Gebrauch machen.“ Dieser einstudierte Satz sagt alles und nichts, außer dass der junge Hofmanager vorsichtig sein muss, obwohl er das große Interesse an den Höfen genießt und gern Hofgeschichten erzählt.
In seinem Büro ist er den Mietern nahe. Er steht auf, tritt ans Fenster und beobachtet den Mann im Pyjama, der in der Küche gegenüber seine Kaffeemaschine in Gang setzt. „Solange ich etwas zu sagen habe, wird es hier keine Douglas-Parfümerie geben“, sagt Kastner.
Auch wegen der Büromieter, die für das exklusive Umfeld in Berlins Mitte kräftig zahlen, möchte er die Authentizität der Höfe bewahren und insbesondere das Hackesche Hoftheater und das Varieté Chamäleon schützen. Beide Einrichtungen arbeiten ohne staatliche Subventionen. „Es würde dem Ganzen etwas fehlen“, sagt der Hofmanager und fügt anerkennend hinzu: „Die schuften wirklich.“
Auch in Zukunft soll es in den Hackeschen Höfen nur inhabergeführte Läden geben, deren Produkte vor Ort erdacht und hergestellt werden und in ihrem Segment eine überdurchschnittliche Qualität aufweisen. Doch um diesem Anspruch gerecht zu werden, sind die Designer und Handwerksläden in den Höfen weiterhin auf geschützte Mieten angewiesen.
Karin Jordan führt in Hof acht ein Modeatelier. Ihre Entwürfe werden ausschließlich vor Ort produziert. „Wir sind ein Team von Idealisten“, sagt die Designerin. „Aber wir genießen die Kultur unserer Arbeit.“ Hof acht ist eine Sackgasse. Die Blicke der Touristen wandern die Wände hinauf und wieder hinunter und bleiben an der Stange Strickkleider hängen, die Karin Jordans Nachbarin in den Hof gestellt hat. Ein Pappschild baumelt vor den Kleidern. Jedes Stück 100 Euro.
Karin Jordan glaubt, dass ihre Stammkunden nicht gern hierher kommen. Sie hat sich bereits nach einem neuen Atelier umgesehen, doch in den Straßen in Mitte explodieren die Mieten, und schon eine geringe Erhöhung ihrer Kosten würde sie zwingen, die Produktion hier aufzugeben.
Vom Konferenzraum aus kann der Hofmanager David Kastner den Tänzern zuschauen, die ein Stockwerk tiefer trainieren. Die Miete der staatlichen Ballettschule ist ebenfalls geschützt. „Mal sehen, ob sie heute üben.“ In Nachbarschaft mit den Balletteleven müht er sich um einen anderen Spagat.
Das Mietgefälle in den Hackeschen Höfen liegt mittlerweile bei 300 Prozent. Der teuerste Büroquadratmeter kostet 20 Euro. Das Hackesche Hoftheater zahlt ein Viertel dieses Preises. Laut David Kastner bringt die Immobilien-Verwaltung Pentanex die Höfe in diesem Jahr erstmalig in die Gewinnzone.
In der Tür der Druckerei lehnt ein Mann und nickt David Kastner zu. Ein Touristenpaar betrachtet andächtig Wäscheleinen und Efeu. Der Springbrunnen plätschert.
„Ich habe nichts gegen Berlinbesucher“, sagt der Hofmanager. „Berlin war schon immer eine offene Stadt. Viele hier in den Höfen profitieren doch vom Tourismus. Das Mosern kommt doch immer von denen, die keine Berliner sind. Der Voiges vom Kino ist ein alter Brubbelkopf, nett, aber der hat immer was zu meckern. Dabei ist das Kino keineswegs gefährdet. Was wollen wir denn? Die Cash-Cow reinnehmen oder in Schönheit sterben? Starbucks zahlt eine Schweinemiete.“
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