Zentralratspräsident über Nahost-Krise: „Ein Gewitter reinigt die Luft“
Josef Schuster vom Zentralrat der Juden begrüßt das Einreiseverbot für Varoufakis und die Ausladung Frasers. Gegen Iran fordert er neue Sanktionen.
taz: Herr Schuster, was ist Ihnen in dem Moment durch den Kopf gegangen, als Sie die Nachricht erreicht hat, dass iranische Drohnen und Raketen im Anflug auf Israel sind?
Josef Schuster: Es war ein Moment des Schreckens und der Sorge. Denn es war ja zunächst völlig unklar, welches Ausmaß dieser Angriff hat und inwieweit sich Israel und auch befreundete Staaten auf diesen Angriff vorbereiten konnten.
geboren 1954, ist seit 2014 Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Der Würzburger Mediziner ist zudem Vize-Präsident des World Jewish Congress und des European Jewish Congress. Sein Vater und seine Mutter überlebten die NS-Verfolgung in Palästina.
Die iranische Regierung hat den Angriff als Vergeltungsmaßnahme für den Luftschlag Israels auf das iranische Botschaftsgelände in Damaskus bezeichnet. Verstehen Sie, warum der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu solche eskalierend wirkenden Militäraktionen, die eindeutig internationales Recht verletzen, durchführen lässt?
Ich glaube, wir dürfen etwas nicht übersehen: Die dem Regime in Teheran unterstellten Revolutionsgarden sind ja nun keine demokratische Armee, wie wir dies in der Bundesrepublik und Europa gewöhnt sind. Sie sind vielmehr nichts anderes als eine Terrororganisation. Der Iran ist ein Strippenzieher des 7. Oktober und steht auch hinter der Hisbollah, die aus dem Libanon immer wieder Israel angreift.
Haben Sie noch irgendeine Hoffnung, dass die Menschen in Israel in absehbarer Zeit wieder zu einem Leben in Frieden und Sicherheit zurückkehren können?
Die Hoffnung habe ich. Wie heißt es so schön: Ein Gewitter reinigt die Luft. Ich hoffe darauf, dass es nach einer Eskalation wie dieser vielleicht sogar leichter sein kann, eine Situation zu befrieden. Erfreulich war, dass die arabischen Verbündeten beim Angriff des Iran an der Seite Israels standen.
Welche Konsequenzen sollte aus Ihrer Sicht die Bundesregierung aus dem iranischen Angriff auf Israel ziehen?
Die Konsequenz sollte endlich die Einsicht sein, dass der Iran kein normaler Verhandlungspartner ist. Das Mullah-Regime führt einen Kampf gegen seine eigene Bevölkerung und neben Israel auch gegen die westliche Welt an sich; Russland führt den Krieg in der Ukraine auch mit iranischen Raketen. Die Revolutionsgarden sind eine Terrororganisation, die in Deutschland verboten sein muss und auf die EU-Terrorliste gehört. Außerdem erscheinen mir zusätzliche Sanktionen gegen den Iran erforderlich. Wobei das Sanktionen sein müssen, die in erster Linie den Staat und weniger die Menschen im Iran treffen.
Als eine Reaktion haben Politiker:innen der Grünen, der CDU und der Linken die Schließung des Islamischen Zentrums in Hamburg verlangt. Teilen Sie diese Forderung?
Ja, die Forderung teile ich. Ich bedaure, dass das nicht schon längst geschehen ist. Ich habe keine vernünftige Erklärung dafür. Das Zentrum sollte eher heute wie morgen geschlossen werden. Ich hoffe, dass den Verantwortlichen nach den Ereignissen des vergangenen Wochenendes klar wird, wie wichtig es ist, solchen Terrorpropagandisten keine Möglichkeit zu geben, auf deutschem Boden tätig zu sein.
Sie haben die polizeiliche Auflösung des Palästina-Kongresses am Freitag in Berlin begrüßt. Sind Sie nicht der Meinung, dass eine Demokratie auch solch antiisraelische Veranstaltungen aushalten kann und Protest dagegen vielleicht besser wäre als ein Verbot?
Es geht nicht um die Frage, ob eine solche Versammlung antiisraelisch ist. Das ist zwar ein Punkt. Es geht aber vor allem darum, ob sie volksverhetzenden Charakter hat. Wenn strafbare Slogans und die Vernichtung von Staaten – unabhängig von welchen – auf einem solchen Kongress propagiert werden, dann glaube ich, ist die Grenze der Meinungsfreiheit und Redefreiheit überschritten. Und dann erwarte ich von der Polizei, dass eine solche Versammlung aufgelöst wird. Und das hat man in Berlin konsequent durchgesetzt.
Wie stehen Sie zu dem Einreiseverbot für Yannis Varoufakis?
Nach den Äußerungen, die er getan hat und die erneut zu erwarten gewesen wären von ihm, war es die genau richtige Maßnahme.
Unterstützen Sie auch die Kölner Ausladung der jüdischen US-Philosophin Nancy Fraser?
Da geht es mir ebenfalls weniger um die Frage, wer etwas sagt, sondern: was wird gesagt.
Welche Äußerungen meinen Sie konkret?
Es geht um die Frage des Existenzrechts Israels, das von ihr in Frage gestellt wird, und ihre BDS-Nähe. Ich glaube, das ist ein Punkt, der die Grenze der legitimen Kritik am Staat Israel, an der Politik der israelischen Regierung überschreitet. Wer zudem den Boykott von israelischen Universitäten fordert ist für eine wissenschaftliche Einrichtung kein glücklicher Gast.
Bis heute ist der Anschlag auf die Synagoge in Oldenburg vom 5. April nicht aufgeklärt. Wie bewerten Sie das?
Ich habe die Hoffnung, dass hier von den Sicherheitsbehörden alles unternommen wird, die Täter zu ermitteln. Der Anschlag auf die Synagoge in Oldenburg ist extrem verwerflich. Unabhängig davon, welchen konkreten Hintergrund die Tat hat, dürfen die Täter nicht im Dunkeln bleiben, sondern müssen gefasst werden.
Wie schätzen Sie generell derzeit die Sicherheitslage der jüdischen Einrichtungen in Deutschland ein?
Insbesondere nach dem Attentat von Halle 2019 haben die jüdischen Einrichtungen in Deutschland einen deutlich verbesserten Sicherheitsstandard. Die polizeilichen Schutzmaßnahmen sind hoch. Insoweit müssen sich Jüdinnen und Juden auch weiterhin keine größeren Sorgen machen, eine jüdische Einrichtung aufzusuchen. Erheblich problematischer ist es in manchen Teilen, speziell in Berlin oder auch in Nordrhein-Westfalen, sich als Jude erkennbar auf der Straße zu bewegen, also zum Beispiel mit einer Kippa oder einem Davidstern. Das ist eine Situation, die ich mir in dieser Form vor zehn Jahren nicht habe vorstellen können. Allerdings ist das eine Entwicklung, die nicht nur Deutschland betrifft, sondern leider viele europäische Staaten. Es ist ein generelles Problem. Aber deshalb darf man den Kopf nicht in den Sand stecken. Und ich habe die Erwartung, dass seitens der Sicherheitsbehörden alles Mögliche getan wird, um diese Situation zu verbessern.
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