Debatte die Grünen und Sozialpolitik: Jenseits der Gutverdiener
Zwischen Habeck und Lindner liegt nicht viel. Denn die Grünen vergessen beim Kampf fürs Klima soziale Fragen und Solidarität mit Marginalisierten.
D ie Grünen lösen die Sozialdemokraten bald als neue Volkspartei ab. Die größte Herausforderung, der Klimawandel, kann jetzt nicht mehr ignoriert werden. Lautes Aufatmen, Erleichterung, Hoffnung. Allerdings nur für das Klima. Für die deutsche Innenpolitik könnte der Wahlerfolg der Grünen fatal sein, gerät ihre Neoliberalität doch gerne in Vergessenheit.
Die Grünen haben sich als mitgestaltende Regierungspartei etabliert, jetzt erleben sie den größten Aufschwung seit ihrer Gründung. Ihre Klimapolitik, entstanden in den 80er und 90er Jahren, verhilft ihnen jetzt zum Status einer neuen Volkspartei. Bei aller Freude darüber: Womit sonst assoziiert man die Grünen eigentlich?
Das Vorurteil über die linksgrünen Weltverbesserer existiert noch immer. Aber die Grünen sind in ihrer Haltung alles andere als links. Der Grünen-Wähler ist meist bürgerlich und gehört zur Mittelschicht. Das geht aus dem „Handbuch Parteienforschung“ von Probst aus dem Jahre 2013 hervor. Es passt zum Parteibild: gebildet, aber über alles erhaben, vor allem über jene unterhalb der Mittelschicht.
Das war nicht immer so. Es begann aber mit der Abkehr vom Pazifismus durch die rot-grüne Regierung unter Schröder, die dem Kampfeinsatz der Bundeswehr im Kosovokrieg zustimmte. „Grüne Anpassung an die Realität“ nannten sie das.
Die grüne Kritik an Diversität
Angepasst haben sich die Grünen auch im Umgang mit Geflüchteten und Asyl. Weil sie regieren wollen. Winfried Kretschmann sprach letztes Jahr davon, „junge Männerhorden“ aus den Städten zu jagen. Baerbock möchte „konsequent durchgreifen“ und straffällige Flüchtlinge direkt abschieben – in Länder, in denen mit deutschen Waffen Familien ermordet werden. „Eine grüne Integrationspolitik schafft Rechte und Chancen in der Gesellschaft. Für uns gilt: Jeder Einzelfall zählt“, heißt es im Parteiprogramm.
Einzelfälle innerhalb der Partei, wie der des Boris Palmer, zählen jedoch nicht. Es ist normal, dass grüne Politiker sich über Diversität in der Werbung rassistisch äußern und sich dann als Opfer inszenieren. Innerparteilicher Druck auf Boris Palmer, nachdem er auf Twitter seine Gedanken zur Werbung der DB mit verschiedenen Ethnien kundtat, blieb aus. „Welche Gesellschaft soll das abbilden?“, hatte er gefragt. Ein kleiner rassistischer Vorfall eben, das sollten Marginalisierte wohl aushalten können. Sie sind nämlich nicht die Zielgruppe der Grünen.
Wer das Klima retten will, will oft vor allem sich selbst retten. Der Zyklon in Mosambik hat die Politik jedenfalls nicht erschüttert. Auch nicht die starke Luftverschmutzung in anderen Ländern, auch Folge dessen, dass in Deutschland „Concsious“-T-Shirts von H&M getragen werden können, während wir über Kernkraftwerke diskutieren. Gegen die klimazerstörende Autoindustrie wird ebenso wenig gnadenlos gewettert. Parteispenden von BMW, bis zum letzten Jahr auch von Daimler nehmen die Grünen gern an. So viel „grüne Anpassung“ muss sein auf dem Weg nach oben.
„Ökologisch, sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei“, das war also einmal. Einzig „ökologisch“ und „basisdemokratisch“ sind – in Grundzügen – noch geblieben. Aus Jamaika wurde schließlich deshalb nichts, weil Lindner nicht falsch regieren wollte. Und nicht etwa, weil die Grünen nicht mit der CDU hätten koalieren wollen. Konservatismus ist für die Grünen keine Hürde, sondern ein Anknüpfungspunkt.
Habeck und Lindner: super männlich
Die peinliche Rivalität zwischen Robert Habeck und Christian Lindner offenbart auch, wie nah sich die beiden eigentlich sind. Der eine setzt zwar auf liberale Wirtschaft, der andere auf Klimaschutz, aber beide auf männliche Wirkung. Nur über Enteignungen sind sie sich nicht so einig. Vielleicht der letzte Strohhalm, an den sich sozialpolitisch links orientierte Grünen-Wähler klammern können.
Die Bilanz der schwarz-grünen Regierung in Baden-Württemberg offenbart die gleiche Stagnation wie die Groko. „Erfolge im Klimaschutz“, „Erhöhung der Wohnraumförderung“ und „Wandel der Automobilindustrie zur Elektromobilität“ – aber was können die Grünen sonst vorweisen? Nichts, wie der Abschlussbericht der Regierung in Baden-Württemberg zeigt. Gähnende Innovationslosigkeit.
Baden-Württemberg zeigt, wie Schwarz-Grün auf Bundesebene aussehen könnte. Die Themen überschneiden sich. Großes, fundamentales Umdenken in der Umweltpolitik? Gute Sozialpolitik? Nirgends zu finden. Nur den Beleg eine Status-quo-Partei im Süden zu sein, kann sie vorweisen. Das sollte ein Alarmsignal sein.
Der Wechsel von links zu konservativ wurde insbesondere angetrieben von dem Wunsch, sich von der SPD zu distanzieren. Dabei haben sich die Grünen kein eigenes sozialpolitisches Profil erarbeitet, sondern sich einfach an eine neue Partei angepasst, um regieren zu können.
Weniger Inlandsflüge helfen nicht gegen Rechts
Es liegt aber in der Verantwortung der Grünen, bei einem so erfolgreichen Wahlergebnis nicht nur die Wähler der Mitte abzuholen. Sie müssen sich auch für gute Politik jenseits der Klimapolitik aussagekräftig positionieren. Die Gesellschaft besteht nicht nur aus gut verdienenden Gutbürgern.
Die Partei muss sozialpolitisch verantwortlicher werden, denn insbesondere durch rechtspopulistische Kräfte erfahren alle Marginalisierten Angst und Ausgrenzung. Und dagegen hilft eine Reduzierung der jährlichen Inlandsflüge leider nicht.
Einzelne Politiker wie etwa die Landtagsabgeordnete Aminata Touré wissen das. Sie hielt im Februar eine Antirassismuskonferenz ab, um zu sensibilisieren. Habeck sowie Kretschmann hingegen plädierten im Juli 2018 noch für mehr Gelassenheit gegenüber der AfD. Solidarität klingt anders.
Wohin diese Attitüde führen kann, zeigt der rechtspopulistische Ruck bei den EU-Wahlen. Die Grünen lassen sich immer noch als Ökopartei lesen. Aber sie müssen alle ansprechen, denn die umweltbewusste Ethik sieht schwach aus neben dem Mangel an sozialer Ethik.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen