zahl der woche: Sondermüll deutscher Konzerne landet auf Äckern
Der fränkische Giftbauer
Idyllisch liegt das Dorf in der mittelfränkischen Hügellandschaft westlich von Nürnberg. Neuendettelsau ist nach nordbayerischen Maßstäben sogar ein Städtchen, mit einer evangelischen Uni – und einem Giftbauern. Der gute Mann hatte ganz legal eine Biogasanlage errichtet, von wegen erneuerbare Energien und so. Darüber hinaus wollte er noch ein paar Extra-Mark machen: Er ließ sich in die „Verwerter-Datenbank“ des Bayerischen Landesamtes für Umweltschutz eintragen, weil in so einer Biogasanlage nicht nur Stallmist oder Essensreste vergären, sondern eventuell auch bestimmte Abfälle der organischen Chemie.
Daraufhin trat der Agrarier in Kontakt mit verschiedenen Firmen – mit Erfolg und teilweise sehr bekannten Geschäftspartnern. Die Lufthansa Technik karrte 50 Tonnen öl- und fetthaltiger Stoffe heran, Reste der Flugzeugwäsche des Flughafens Frankfurt/Main. Agfa-Gaevert lieferte rund 140 Tonnen Abwässer aus einem Fotochemikalienwerk und die Fordwerke in Saarlouis entsorgten über ein Mittelsunternehmen 99 Tonnen wässrige Lösung mit Lacken in Neuendettelsau. Insgesamt 4.400 Tonnen Industrieabfälle gingen laut der Staatsanwaltschaft in der Kreisstadt Ansbach innerhalb der vergangenen zwei Jahre an den Bauern, mehr als 80.000 Euro soll er dafür kassiert haben.
Inzwischen sitzt der 35-jährige Schlaumeier allerdings in Untersuchungshaft. Denn seine Biogasanlage konnte bei weitem nicht alle gelieferten Gifte verarbeiten. Laut dem grünen Landtagsabgeordneten Johann Schamman hatte der Mann sogar ein Biogaslabor beauftragt, ein Gutachten über die Vergärbarkeit anzuferteigen. Als das Labor prompt vor einer „Problemlawine“ warnte, kam der Neuendettelsauer Bauer anscheinend auf eine im wahrsten Sinne nahe liegende Idee: Er fuhr den Dreck auf seine Äcker.
Damit hatte er den Bogen aber endgültig überspannt. Unter Nachbarn im ländlichen Teil Mittelfrankens herrscht eine gewisse Toleranz getreu dem Wahlspruch „Des passt scho“. Als sich aber die Äcker rot färbten und die Gegend zu stinken begann, beschwerten sich die Neuendettelsauer doch. Nach dem Umweltskandal entwickelte sich nun der Behördenskandal: zu langsame Reaktion, nicht genügend qualifiziertes Personal in den zuständigen Ämtern, unklare Verordnungen, so Beobachter.
4.400 Tonnen Sondermüll sind so anscheinend ungehindert im Boden versickert, die Sanierung dürfte Millionen kosten. Und nach Ansicht des Abfallberatungsunternehmens Jörg Wentz in Grünstadt ist das Ganze kein Einzelfall: Es wimmele im Internet von Biogasbetreibern, die sich als Entsorgungsbetriebe anpreisen. Neuendettelsau also überall?
MARIA KLEINSCHROTH
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