zahl der woche: 2062: In 60 Jahren übersteigen Klimaschäden das Welt-BIP
Offener Brief eines Konservativen an einen konservativen Kanzlerkandidaten
Lieber Edmund Stoiber, soeben haben die Chefmathematiker der Münchner Rück darauf hingewiesen, dass die klimabedingten Schäden in 60 Jahren, also im Jahr 2062, höher sein werden als das weltweite Bruttosozialprodukt, wenn der „Schadensverlauf witterungsbedingter Naturkatastrophen weiter so steigt wie in den letzten 20 Jahren“. Was aber sagt der deutsche Kanzlerkandidat zu dieser großen politischen Herausforderung für das 21. Jahrhundert? An den Ursachen ist Deutschland als drittgrößte Industriemacht ganz wesentlich beteiligt. Warum schieben Sie die zentrale Überlebensfrage der Menschheit so an den Rand Ihrer Politik? Warum heizen Sie Rot-Grün nicht ein, wenn es demnächst heißer zu werden droht als in den letzten 16.000 Jahren?
Dass eine Bundesregierung im Wahlkampf verteidigt, überrascht nicht. Aber dass ein Herausforderer ein „Kompetenzteam“ vorstellt und acht Wochen vor der Wahl keinen Umweltminister vorzuweisen hat, ist unbegreiflich. Ach, wären die Konservativen unter Edmund Stoiber doch endlich konservativ und würden nicht nur von der „Bewahrung der Schöpfung“ reden, sondern sagen, wie eine zukunftsweisende ökologische Wirtschaft aussehen und wer sie gestalten soll.
Lieber Edmund Stoiber, zurzeit sterben täglich bis zu 100 Tier- und Pflanzenarten aus. Wir blasen 100 Millionen Tonnen Treibhausgase in die Luft, wir verlieren 86 Millionen Tonnen fruchtbaren Boden, und wir werden jeden Tag 220.000 Menschen mehr auf diesem Planeten. Ich frage Sie vier Wochen vor dem Gipfel in Johannesburg, den Ihr Parteifreund Klaus Töpfer entscheidend mit vorbereitet: Wo ist das Umweltkonzept der sich christlich nennenden Parteien im Wahlkampf? Werden Sie erneuerbare Energien fördern? Eine Verkehrswende organisieren, um die Klimaschutzziele zu erreichen? Was wird aus dem ökologischen Landbau? Gibt es mit Ihnen als Kanzler eine konsequentere ökologische Steuerreform, wie sie Töpfer fordert? Was halten Sie von Töpfers Devise: „Umweltschutz ist kein Arbeitsplatzkiller, sondern der Arbeitsplatzknüller im 21. Jahrhundert“?
Allein durch erneuerbare Energien sind seit 1992 in Deutschland 120.000 Arbeitsplätze entstanden. Edmund Stoiber, verschlafen Sie nicht das beginnende Solarzeitalter. Kohle, Gas, Öl und Atomenergie sind Auslaufmodelle.
Es gibt sie nur noch auf wenige Jahrzehnte, sagt der Weltenergierat. Wollen Sie allen Ernstes die vorgestrige Atomenergie reaktivieren und neue AKW bauen? Auf diese Frage hätte ich gern eine Antwort. In der Schule Ludwig Erhards hätten Konservative, die diese Namen verdienen, heute die Chance, die zweite Stufe des Wirtschaftswunders zu organisieren, nämlich ein ökologisches.
Ihr FRANZ ALT
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