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the wordTrostlos: Die Geschichte des Wirtschaftsguts Fußball

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Eine Zeitschleife: Ein trostloser Novembertag, man steht im nasskalten, ungemütlichen Stadion und betrachtet einen grauenhaften Kick, die eigene Mannschaft liegt hoffnungslos hinten, und wieder stellt man sich die ewige Frage: Wann ist das Elend endlich vorbei? Nun, manchmal verhält sich das auch so mit Büchern. In diesem Fall ist das so, aus vielen Gründen. Von vorn.

Seinem Buch „Das Goldene Tor – Wirtschaftsmacht Fußball“ stellt Norbert Weiss ein angebliches „englisches Sprichwort“ voran: „Beim Fußball geht es nicht um Leben und Tod – es geht um viel mehr.“ Es ist eine beliebte Beschäftigung eingefleischter Fußballanhänger, verachtete „Modefans“ als unkundige Idioten zu enttarnen. Zuweilen aber disqualifizieren sich die Frischlinge selbst, etwa hier. Bill Shankly, legendärer Manager des FC Liverpool, war es, der in den 60ern dieses frivole Apercu servierte: „Es gibt Leute, die behaupten, der Fußball sei heute eine Sache von Leben und Tod. Ich bin anderer Meinung: Es geht um viel mehr.“

Gewiss, darüber könnte man hinwegsehen. Nur: Dieses Werk ist gespickt mit Unsauberkeiten. Ganz richtig noch das Wort des Autors, dass in der Frühzeit des deutschen Fußballs (ab 1870) Akademiker das grüne Feld beherrschten. Als personifizierten Beleg nennt er den „Erzieher“ Felix Linnemann, in Wirklichkeit Kriminologe und ein wenig später aktiv. Dann zündet Weiss, in den 80er-Jahren Littbarski-Berater, die Verwechslungsrakete: „Der Wichtigste aber ist Robert Koch, der deutsche Nobelpreisträger und Bakteriologe. 1875 übersetzt der Clausthaler die englischen Fußballregeln ins Deutsche“, so die scheinbar detailversessene Schilderung. Überaus reizvoll auch der Gedanke, mit Robert Koch sei das Phänomen Fußball früh und präzise beschrieben: „Ein lebender Mikroorganismus, also etwa die Fantasie eines Spielers, in Verbindung mit dem Spielgerät, dem Ball, als Auslöser einer Masseninfektion.“ Humbug: Der Fußballpionier hieß zwar Koch, doch mit Vornamen Konrad und kam nicht aus Clausthal, sondern aus Braunschweig. Außerdem war er kein Medizin-Nobelpreisträger, sondern Lehrer. Solche postmoderne Wahrheitsbildung setzt sich fort: Weihevoll wird das Lied gesungen vom FA-Cupfinal 1902 in Wembley, das bereits 130.000 Zuschauer in seinen Bann gezogen habe. Die Menge mag ja richtig sein, das märchenhafte Stadion Wembley jedoch, das mit seinen weißen Zwillingstürmen, wurde erst in den 20ern errichtet.

Mit der Wirkung der Weimarer Inflation, gleichzeitig der große Fußballboom, nähert sich das Buch dem eigentlichen Thema: Der Inbegriff der Anständigkeit, das Trainer-Idol Sepp Herberger, hätte durch Annahme eines illegal gezahlten Handgeldes den ersten deutschen Fußballskandal ausgelöst und, so der Autor, als Spieler seinen Verein Waldhof Mannheim verlassen müssen. Mal ganz davon abgesehen, dass solche Skandale damals üblich waren: Herberger wollte den Verein verlassen, um an das verlockende Handgeld vom Lokalrivalen Phönix heranzukommen. Sein Heimatklub Waldhof hätte den Stürmerstar liebend gern behalten.

Zugegeben, man kann diese Einwände kleinkariert, pingelig oder auch oberlehrerhaft finden, man möge aber bedenken: Dieses soll ein Sachbuch sein und kein Roman. Es fällt daher schwer, für die folgenden Kapitel einen bemerkenswerten Qualitätssprung zu vermuten. Belassen wir es hier bei einer kurzen inhaltlichen Zusammenfassung: Es folgt die arbeitsrechtliche Revolution des Fußballs durch das bekannte Bosman-Urteil, der dritte und vierte Abschnitt beschäftigen sich mit der kommerziellen Globalisierung des Fußballs sowie mit Vermarktungsstrategien der Kirchs und Kölmels, der Bertelsmänner und Murdochs (und ist im Übrigen im vor zwei Jahren erschienenen Buch „Milliardenspiel“ in weiten Teilen schon zu lesen gewesen). Es ist nicht einfach, sich auf dieses Buch einzulassen; der Beginn ist eine einzige Katastrophe, der Mittelteil weitgehend bekannt, das Finale muss man auch nicht lesen. Also doch ins nasskalte Stadion, im November. ERIK EGGERS

Norbert Weiss: „Das Goldene Tor – Wirtschaftsmacht Fußball“, München, Herbig-Verlag, 319 S., 39,90 DM

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