taz.Berlin-Adventskalender (7): Freundlichkeit aus dem LKW-Fenster
Der Berliner Straßenverkehr überrascht einen selten mit gegenseitiger Rücksichtnahme. Schön, wenn einem da der Lkw-Fahrer einfach mal den Tag rettet.
Vorweihnachtshektik, unter coronabedingten Masken noch anonymer, Begegnungen finden in Eile und mit Sicherheitsabstand statt. Und dann öffnet sich plötzlich doch manchmal eine Tür: eine freundliche Geste, eine Hilfeleistung, ein Gespräch. Die taz.berlin berichtet in ihrem Adventskalender 2021 von solchen Türchen, die die Anonymität einen Moment vergessen lassen.
Auf dem Weg in die Redaktion mit dem Rad, die Stadt ist voll, zu viele Autos, zu viele Radler auf der Schönhauser Allee, von allem zu viel – ich bin schon genervt, bevor der Tag so richtig losgeht. Die Tatsache nervt mich erst recht. Da, auch noch ein Lkw-Fahrer, der auf der Charlottenstraße irgendetwas anliefern will, frisch gewaschene Bettwäsche für ein Hotel? Ich schaue nicht so genau hin. Links vom Lkw stauen sich bereits die Autos, die auch vorbei wollen, genau wie ich. Der erste ist allerdings geradewegs in den Gegenverkehr geraten, jetzt hupen sich die Verkehrsteilnehmer gegenseitig an.
Ich manövriere mein Rad auf den Gehweg, nicht okay, ich weiß, aber ich hab’s eilig. Bin auch ganz vorsichtig, liebe FußgängerInnen. Ist es eigentlich okay, Schadenfreude zu empfinden, frage ich mich, als ich an dem ganzen Blech vorbeifahre, das sich da festgefahren hat?
Ist das meine Tasche?
Da hupt es hinter mir. Mist, bin ich irgendeinem Außenspiegel zu nahe gekommen? Innerlich schon bereit, aus Prinzip zurückzumotzen, auch wenn ich im Unrecht sein sollte (16 Jahre Verkehrsschule Berlin), gucke ich mich um. Ist das meine Tasche, die da auf dem Gehweg liegt? Ich habe gar nicht gemerkt, dass sich die Aufhängung vom Gepäckträger gelöst hat. Mein Portemonnaie ist da drin, mein Handy auch. Und in meinem Handy ist mein Kalender und ohne den weiß ich gar nichts – nicht, wann Kind 1 morgen beim Zahnarzt sein muss oder wann das Fußballspiel von Kind 2 anfängt oder wen ich wann anrufen muss heute.
Ich steige vom Fahrrad, schiebe zurück. Der Lkw-Fahrer beugt sich in aller Seelenruhe aus dem Fenster, grinst freundlich: „Ist doch Ihre, oder?“ Ich bin ein bisschen perplex, so viel Freundlichkeit aus einem Lkw-Fenster heraus wird meinem Fahrrad und mir sonst eher nicht entgegengebracht.
„Ja, ähm, danke“, sage ich. Und dass er mir gerade den Tag gerettet hat. Auf dem Gehweg schiebe ich mein Fahrrad um den kleinen Stau herum. Aus Rücksicht auf die Fußgänger. Die sollen auch einen schönen Tag haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr