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taz-adventskalender „24 stunden“ (12)12 Uhr in der Suppenküche

Drei Mal pro Woche versorgt eine Charlottenburger Suppenküche Bedürftige mit einem warmen Mittagessen. Im unwirtlichen Berliner Winter ist der Andrang groß.

Warme Mahlzeit an kalten Tagen. Archivbild aus einer Berliner Suppenküche Foto: Paul Zinken/dpa

Stressig und chillig, hässlich und schön, herzerwärmend und abstoßend: Berlin hat viele Seiten, rund um die Uhr. In diesem Advent hangeln wir uns durch 24 Stunden Hauptstadtleben und verstecken jeden Tag aufs Neue 60 Minuten Berlin hinter unserem taz-berlin-Kalendertürchen. Heute: ab 12 Uhr in der Suppenküche.

Viertel nach 12 – die Glocke läutet. Ein grauhaariger Mann mit Schürze tritt in die Mitte des Saals. „Heute gibt’s Rührei mit Spinat und Kartoffeln“, verkündet er feierlich. „Guten Appetit!“. Kaum ausgesprochen, strömen die Gäste zur Essensausgabe, an der drei gutgelaunte ehrenamtliche Mit­ar­bei­te­r*in­nen großzügige Portionen aus den dampfenden Töpfen schöpfen.

Die Suppenküche der Kirchengemeinde Am Lietzensee in Charlottenburg ist in der Kältehilfesaison – zwischen Anfang November und Ende März – montags bis mittwochs von 12 bis 14 Uhr für Menschen geöffnet, die sich kein Mittagessen leisten können. Nicht alle sind wohnungslos. „Manche leben in Notunterkünften, andere in einer Laube, wieder andere können ihre Wohnung nicht sauber halten und die Küche nicht betreten“, erzählt die Koordinatorin, Hanna Meyer.

Zu den Bedürftigen gehört auch Frau Marx. Die 74-Jährige mit grauen Haaren und nur noch zwei verbliebenen Zähnen sitzt an einem weihnachtlich geschmückten Tisch und erzählt: „Ich bin seit 24 Jahren obdachlos.“ Seit 2 Jahren wohnt sie in der Notübernachtung in Wannsee, die sie jedoch morgens um halb 8 verlassen muss. Zum Mittagessen kommt sie daher in die Suppenküche. „Hier bekomme ich nicht das, was ich mir zu Hause kochen würde“, sagt sie. „Aber das Essen ist gut.“ Am liebsten mag sie Schnitzel.

Das Essen wird von der Graefewirtschaft geliefert, einem sozialen Essenslieferanten, der Geflüchtete einstellt, die keinen Zugang zum primären Arbeitsmarkt haben. Jeden Tag geben sie 60 Mahlzeiten aus, berichtet Meyer. „Häufig reicht das Essen vorne und hinten nicht.“ Dann wird Eintopf warmgemacht.

Betrieb im Sommer nur dank Spenden

Als Teil der Berliner Kältehilfe erhält die Suppenküche einen Zuschuss vom Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf. Damit können die Kosten für das Essen inzwischen gedeckt werden, erzählt Meyer. Allerdings sei es nicht genug, um den Betrieb auch in den Sommermonaten aufrechtzuerhalten. In den vergangenen zwei Sommern sei dies aber durch Spenden möglich gewesen. „Das ist enorm wichtig, denn es bietet den Gästen Kontinuität“, sagt Meyer. Montags ist immer das Berliner Arbeitslosenzentrum BALZ zur Sozialberatung vor Ort. „Wenn so eine Anlaufstelle monatelang wegfällt, stellt das unsere Gäste vor große Herausforderungen.“

Auch, dass die Notunterkünfte nur in der Kältehilfesaison geöffnet sind, kritisieren einige Gäste. Ein älterer Herr mit Schal und Mütze, der Frau Marx gegenübersitzt, schimpft: „Der Staat ist unvernünftig!“ Die Rente reiche nicht aus. Das frustriert auch Frau Marx, die früher als Einlassaufsicht im Palast der Republik gearbeitet hat: „Ich habe immer gearbeitet, ich war nie faul. Und jetzt sitze ich hier und bekomme kaum eine Rente. Das ist doch kein Leben“, sagt sie, während ihr Tränen in die Augen steigen. „Ich will endlich Leben!“

Seit 10 Jahren würden immer mehr Rent­ne­r*in­nen in die Suppenküche kommen, berichtet Leona, die hinter dem Kaffee- und Kuchenbuffet steht. „Die Rente reicht vorne und hinten nicht.“ Zudem sei die Zahl von Menschen mit psychischen Erkrankungen, die zu ihnen und in ihre Partnereinrichtung, das Nachtcafé in Westend komme, dramatisch angestiegen.

Leona ist ein Urgestein der Suppenküche. Seit 1993 engagiert sie sich in der inzwischen 33 Jahre alten Einrichtung. „Bis zur Pandemie habe ich die medizinische Betreuung übernommen“, erzählt sie. Für Gäste ohne Krankenversicherung ist montags ein Arztmobil der Caritas für medizinische Behandlung vor Ort. „Seit 2 Jahren bin ich die Kaffeemamsell“, sagt sie und lässt zufrieden ihren Blick über den Saal schweifen: „Es ist eine sehr nette Gruppe. Es gibt wenig Randale.“

Die Winterzeit sei für viele Gäste sehr anstrengend. „Sie hangeln sich von Teestuben über City-Stationen zur Suppenküche. Manche haben abends das Glück in eine Notunterkunft gehen zu können, andere nicht: Sie müssen unter die Brücke.“

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