taz-Talk zum Enteignen-Volksentscheid: Der Terrier unter den Initiativen
Debatte mit Tiefgang statt Argumenten-Hopping: In der taz klärten Initiativen-Sprecher Taheri und Grünen-Chef Graf, was ein „Ja“ bedeuten würde.
Oder wie es Rouzbeh Taheri, Sprecher des Bündnisses Deutsche Wohnen und Co enteignen, am Montagabend beim taz Talk in der Kantine der Zeitung ausdrückte: „Es wird ein Signal um die ganze Welt gehen: Berlin ist riskant für Spekulanten.“
Im Falle eines erfolgreichen Volksbegehren würden Spekulant:innen um Berlin erstmal einen großen Bogen machen, führte Taheri weiter aus auf dem Podium mit dem Landeschef der Grünen, Werner Graf, und taz Berlin-Leiter Bert Schulz. Die letzten Umfragen sahen eine knappe Mehrheit für Enteignungen.
Es entspann sich eine sachliche Debatte mit Tiefgang und Ausredenlassen – mal ganz schön nach multithematischem Kratzen an der Oberfläche in den TV-Triellen für die Bundestagswahl. Aber obwohl auch Graf sagte, dass er für Enteignungen stimmen werde – anders als Annalena Baerbock, grüne Spitzenkandidatin im Bund – arbeitete sich das Podium permanent an Gegenargumenten ab.
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Ein Gespräch mit Initiativen-Sprecher Rouzbeh Taheri und Werner Graf, Landesvorsitzender der Berliner Grünen. Live gestreamt am 20.09.2021.
Etwa am Giffeyʼschen Mantra: „Von Enteignungen entsteht keine einzige neue Wohnung.“ Richtig, ebenso wenig Wohnungen also wie durch abgeschriebene Doktor- oder Masterarbeiten einer potenziellen Wissenschaftssenatorin und Regierenden Bürgermeisterin. Werner Graf sagte dazu: „Ich finde es falsch, das eine gegen das andere auszuspielen. Wir müssen bauen, weil Wohnungen fehlen, und wir müssen trotzdem die Mieten im Bestand senken.“ Taheri ergänzte: „Neubau und bezahlbare Wohnungen sind zwei Beine der sozialen Wohnraumversorgung – man kann nur auf zwei Beinen stehen.“
Auch mit dem anderen schlagenden Argument, den vermeintlich hohen Kosten, wurde bisher jedes Volksbegehren konfrontiert, so Taheri: „Beim Tempelhofer Feld sollte die Nichtbebauung – warum auch immer – angeblich 500 Millionen Euro kosten. Die Maßnahmen des Mietenvolksentscheids sollten 3 Milliarden kosten. Letztlich kosteten sie lediglich 200 Millionen.“ Jedenfalls Graf teilte dann auch dessen Auffassung, dass Enteignungen günstiger als zum spekulativen Marktpreis erfolgen könnten.
Dass die Finanzierung kein Problem sei und auch dank niedriger Zinsen langfristig haushaltsneutral möglich ist, unterstrichen beide. Unfreiwillige Argumentationshilfe lieferte dafür nicht zuletzt das jüngste Wahlkampfgeschenk der SPD an ihre Wähler:innen: Denn während die Sozialdemokraten das Enteignungsvolksbegehren ablehnen, hat sich Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) exakt dieses Finanzierungskonzept zu eigen gemacht, um im Wahlkampf 2,4 Milliarden Euro für knapp 15.000 Wohnungen in die Hand zu nehmen. Und – man ahnt es – auch durch diese nicht ganz geringe Investition ist keine einzige neue Wohnung entstanden.
Rouzbeh Taheri, DW Enteignen
Dass die Grünen ihrerseits nicht eindeutig sind in der Enteignungsfrage, kam auch zur Sprache: Spitzenkandidatin Jarasch hatte einen Mietenschutzschirm vorgestellt, den sie mit dem Damoklesschwert Enteignung nach einem positiven Ausgang der Volksentscheids unter Beteiligung der privaten Wohnungswirtschaft durchsetzen will: Welcher Wohnungskonzern nicht kusche und sich sozialen Zielen verpflichte, werde schließlich enteignet, so der Plan, den auch Graf verteidigte. In Berlin bekennt sich lediglich die Linke ohne Abstriche zu den Zielen des Volksbegehrens.
Rouzbeh Taheri sagte dazu: „Ich habe ein Problem damit, dass man unsere Initiative benutzt, um eine solche Einteilung einzuführen“, womit er den grünen Mietenschutzschirm meinte. Ziel des Volksbegehrens sei es, große Player aus dem Markt zu nehmen, die sich aufgrund ihrer Übermacht kaum regulieren ließen. Man stelle erstmals die Eigentumsfrage von unten. Das sei zwar gewissermaßen revolutionär, aber man beziehe sich ja ausdrücklich auf das Grundgesetz. Deswegen sei es in den vergangenen Wochen schon komisch gewesen, dass man im Wahlkampf das Grundgesetz gegen CDU und FDP habe verteidigen müssen, so Taheri.
Was allerdings werde man tun, falls die in den Umfragen führende SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey, Volksbegehren hin, direkte Demokratie her, einen erfolgreichen Entscheid ignorieren würde? Man werde sich festbeißen, bekräftigte Taheri, sich weder mit Zeitschinderei noch absichtlich schlechten Gesetzesentwürfen abspeisen lassen: „Wir kennen die Tricks mittlerweile. Ein Terrier ist nichts gegen uns.“
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