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taz-Serie "Wohnen im Welterbe" (Teil 2)Überalterte Oase im sozialen Brennpunkt

Die Siedlung Schillerpark hat sich vom Wedding abgekapselt - daran dürfte auch die Unesco nichts ändern

WOHN-REVOLUTION

Anfang Juli entscheidet die Unesco über den Antrag des Landes, sechs Siedlungen als Welterbe unter besonderen Schutz zu stellen. Die taz stellt in einer Serie die Reformsiedlungen vor. Sie wären nach der Museumsinsel und den Preußischen Schlössern und Gärten das dritte Welterbe in Berlin.

Der Antrag umfasst die Gartenstadt Falkenberg, die Hufeisensiedlung in Britz, die Reinickendorfer Weiße Stadt, Schillerpark im Wedding, Siemensstadt und die Siedlung Carl Legien in Prenzlauer Berg. Die Architekten dieser Ensembles haben den Wohnungsbau dank ihrer sozialen Ideen revolutioniert, so das Landesdenkmalamt. "Die sozialpolitischen und wohnungspolitischen Reformansätze strahlten über Berlin und Deutschland hinaus auf die europäische Architekturdebatte." Allen voran wollten Architekt Bruno Taut und Stadtbaurat Martin Wagner weg vom Mief der Hinterhöfe, hin zu einer hellen und sauberen Lebensform. Wohnungen hatten erstmals eine Mindestgröße, Küche und Bad ein Fenster, es gab Balkone und Gärten.

Die Erfolgsaussichten für den Antrag sind dennoch ungewiss. Das Denkmalamt rechnet sich zwar gute Chancen aus, schließlich sei die Moderne deutlich unterrepräsentiert. Doch bei der Unesco gibt es laut Experten noch Überzeugungsarbeit zu leisten bezüglich des kulturellen Werts der Siedlungen. Zudem könnten die Welterbe-Wächter Deutschland für die Dresdener Diskussion um die Waldschlösschenbrücke abstrafen.

Es ist so still, dass es unglaubwürdig wirkt. Nur 200 Meter entfernt peinigt das Stimmengewirr auf der Seestraße die Ohren, trübt Verkehrslärm die Sinne. Aber hier hat die Großstadt keinen Zutritt. In dem von Häuserzeilen eingerahmten Innenareal zupfen zwei Gärtner Unkraut, ein Spielplatz liegt verwaist, die Parkbänke sind sauber, aber ungenutzt. Die Siedlung Schillerpark gehört offiziell zum Wedding. Von den sozialen Herausforderungen des Problembezirks aber hat sie sich abgekoppelt - sie ist eine Oase.

Aus heutiger Sicht mag die behütete Lage langweilig erscheinen. Kneipen, Cafés und Einkaufsmöglichkeiten - Fehlanzeige. Vor 80 Jahren aber war genau das gewollt, erklärt die Stadtsoziologin Christine Hannemann. "Ziel des Konzepts war ja im Prinzip eine Abkehr von der übernutzten Stadt der Kaiserzeit - im Fokus stand das Wohnen." Was nun als Leitmotiv im Städtebau gilt, Durchmischung und kleinteiliger Funktionsmix, war damals negativ besetzt: Wirtschaft, Arbeit und Einkaufen bedeuteten Lärm und Gestank.

Mit der von 1924 bis 1930 gebauten Schillerpark-Siedlung erprobten der Architekt Bruno Taut und die Genossenschaft "Berliner Spar- und Bauverein" erstmals das Modell einer modernen städtischen Wohnanlage mit dem Fördersystem der Hauszinssteuer. Taut zog Blockrandbauten entlang der Bristol-, Oxforder und Corker Straße hoch, innen legte er großzügige Wohnhöfe an. Die Balkone öffnen sich nach draußen, mehrere Zugänge zu den Innenhöfen lockern das Ensemble auf. Die massiven Ziegelsteinbauten mit ihren Flachdächern erinnern stark an die moderne Architektur Hollands.

Die Wohnungen selbst, knapp 600 sind im Lauf der Zeit entstanden, haben allesamt Bäder und Balkone oder Loggien. Selbst die Eineinhalb-Zimmer-Apartments sind mindestens 40 Quadratmeter groß, für die Zeit eine stattliche Größe. Die Siedlung bekam ein gemeinschaftliches Waschhaus und einen Kindergarten. Sie war perfekt für die arbeitende und gutbürgerliche Familie, die mit wenig Geld erstmals angenehm wohnen wollte.

Von diesem Aufbruchsgeist ist heute nichts mehr zu spüren. "Das ist hier ganz klar überaltert", sagt Herbert Löffelmeyer. Der Pfarrer der benachbarten Kirche St. Aloysius hat den Vergleich: Er ist auch für St. Joseph in der Müllerstraße, ganz im Herzen des Weddings, verantwortlich. Dort füllen junge Familien dutzender Nationalitäten das Gemeindeleben, im Pfarrheim am Schillerpark kredenzt nachmittags der Seniorentreff.

Die Turbulenzen aus dem Kiez auf der anderen Seite des Schillerparks schwappen höchstens am Wochenende herüber. Wenn Jugendliche abends im Grünstreifen feiern, verirre sich schon mal der eine oder andere in die potenzielle Welterbe-Siedlung, sagt Löffelmeyer. An der Tagesordnung sei das nicht.

Der katholische Seelsorger bedauert, dass das Quartier allein durch die Zuordnung zum problembehafteten Bezirk Wedding für viele indiskutabel ist. Die kämen gar nicht erst auf die Idee, hier nach einer Wohnung zu suchen - dadurch gehen wertvolle Impulse verloren. Dabei ist das Ensemble hervorragend gepflegt, "fast verträumt", wie der Pfarrer sagt. "Wir haben den Park vor der Haustür, oben gleich die Kleingärten, es ist ruhig und im Prinzip eine Toplage."

Nahezu die Hälfte der Bewohner seien älter als 60 Jahre, bestätigt Sylvia Walleczek von der Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892 (bbwo). "Es ist nicht gutbürgerlich, aber bestimmt auch nicht multikulti", sagt sie. Ein Migrantenanteil von 30 Prozent, wie im eigentlichen Wedding, wird in der Siedlung nicht erreicht. Tatsächlich wahrt schon das Genossenschaftsmodell den sozialen Standard: Wer einziehen will, muss sich zunächst einkaufen. Für eine Dreizimmerwohnung werden zum Beispiel 2.400 Euro fällig. Laut Genossenschaft wohnen im Schillerpark auch Hartz-IV-Empfänger, ihr Anteil ist aber überschaubar. Für Migranten scheint das System ebenfalls nicht attraktiv - auch in anderen Vierteln halte sich der Zuwandereranteil in Grenzen, sagt die Genossenschafts-Sprecherin.

Bei der demografischen Struktur sieht sie jedoch eine Trendwende. "Gerade die Taut-Wohnungen sind auch von jungen Familien nachgefragt." In Kürze solle ein Kindergarten eröffnet werden. Und unlängst habe ein Mediator zwischen älteren Bewohnern und Familien vermitteln müssen, weil sich einige über Fußball spielende Kinder im begrünten Innenraum ärgerten. "Kinder gibt es da also schon", so Walleczek.

Die bis heute eigenständige bbwo ist an der "Initiative Welterbe" beteiligt, die den Antrag des Landes Berlin mit einer Internet-Plattform unterstützt (siehe Kasten). Im Kiez selbst gibt es bislang kaum Anzeichen auf die bevorstehende Entscheidung. Ein einziges Plakat hängt windschief an der zur Barfusstraße gewandten Häuserzeile. "Bei uns ist das kein Thema", sagt Pfarrer Löffelmeyer. Er kann sich nicht vorstellen, dass eine Aufnahme ins Welterbe das Mit- oder Nebeneinander der Menschen in seiner Gemeinde beeinflussen würde.

Ob der besondere Schutz der Unesco auf den gesamten Problembezirk ausstrahlen würde, ist generell fraglich. "Wenn der Wedding eine Schlagzeile mit positivem Image erhält, könnte das für die kulturinteressierte Mittelschicht schon interessant werden", sagt die Stadtsoziologin Hannemann. Es wäre ihrer Ansicht nach auf jeden Fall gut für den Bezirk, über den es im aktuellen Monitoring zur sozialen Stadtentwicklung heißt: "Wedding hat Kreuzberg als Gebiet mit der höchsten Problemdichte abgelöst." Vielleicht wirke dank neuer Aufmerksamkeit ja der "Exoten-Effekt", überlegt Hannemann: "Manche denken sich womöglich, das kann man sich einmal anschauen."

Bis zu einem Umzug ins Schillerpark-Ensemble wäre das immer noch ein weiter Weg, bis zu einer Imageverbesserung des gesamten Bezirks ein noch weiterer. Mieterhöhungen und neue Bevölkerungsstrukturen dürften auch mit Welterbe-Stempel bis auf weiteres ausbleiben. "Wenn etwas an einer Stelle glänzt, sagt das noch nichts über die Kehrseite", sagt Hannemann.

Entscheidender für eine langfristige Aufwertung der Gegend seien ohnehin das Angebot an Schulen und die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr - und da ist im Wedding keine Besserung in Sicht.

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1 Kommentar

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  • HW
    Hans Wodin

    Bin auf des Suche nach Internet-Infos über die Berliner "Weltkulturerbe-Siedlungen" zufällig (über Google) auf diesen Artikel gestossen und ärgere mich über dessen miesepetrigen Inhalt.

    Viele Bewohner leben lange und zufrieden in ihren Wohnungen in der Siedlung Schillerpark und sind "mit der Siedlung gemeinsam älter geworden"; die Verwendung des Begriffs "Überalterung" zeugt von Respektlosigkeit und Unverständnis.

    Ich finde es ausgesprochen positiv, dass es hier eine "Oase" für ältere Menschen gibt, in der sie (noch)nicht von den Auswüchsen der Schimäre "Multikulti" belästigt werden. Im übrigen kommt mir die TAZ auch zunehmend "überaltert" vor, eine museale Oase des "Alt-Achtundsechsziger-Journalismus".