taz-Serie „Was macht eigentlich?“ (2): Lauter Fachleute am Werk
Gute Nachricht aus dem Kino International. Die im Mai gestartete Sanierung liegt im Zeitplan. Auch böse Überraschungen gibt es nicht. Ein Rundgang.
Das denkmalgeschützte Gebäude an der Karl-Marx-Allee in Mitte, von der Yorck-Kinogruppe betrieben, ist geschlossen. Hier laufen derzeit keine Filme. „Auf Wiedersehen“ steht in drei Sprachen über dem Eingang, genau da, wo sonst die Filme beworben wurden. Das Haus wird aufwendig restauriert und denkmalgerecht instandgesetzt. Die Arbeiten sind im späten Frühjahr 2024 gestartet und sollen zwei Jahre dauern. Zeit also für einen Baustellenbesuch.
Hinein ins Kino geht es durch eine einfache Baustellentür aus Sauerkrautplatten, die eigentlichen Türen aus Glas sind sorgsam mit Holz verkleidet. Das Foyer ist kaum wiederzuerkennen. Und es wirkt kleiner, als man es in Erinnerung hatte. Thore Horch bestätigt die Wahrnehmung. „Manche Räume wirken leer geräumt größer, andere dagegen kleiner.“ Ab und an sind Bohr- und andere Baugeräusche im großen Gebäude zu hören, stören aber nicht weiter, sie geben den Sound für diesen Baustellenrundgang vor.
Thore Horch arbeitet seit 2013 im Kino International, hat dort seine Ausbildung zum Veranstaltungskaufmann absolviert und ist heute für Premieren und Events zuständig. Und nun eben für die Generalsanierung. Der 32-Jährige kennt sich vom Keller bis zum Dach bestens aus.
Die meisten Geschichten enden nicht einfach, nachdem in der taz darüber berichtet wurde. Deshalb haken wir noch einmal nach: In unserer Serie „Was macht eigentlich …?“ rund um den Jahreswechsel 2024/25 erzählen wir einige Geschichten weiter.
Am nächsten Tag ging es los
Der 13. Mai war der letzte Spieltag im Kino International, erzählt er. Gleich am nächsten Morgen ging es los mit den lang geplanten Arbeiten. Als Erstes wurden die Stühle ausgebaut, zeitgleich im Haus aufgeräumt und auch ausgemistet. „Ende Mai ging es dann richtig los, die Baustelle wurde eingerichtet.“ Dazu wurden im Foyer zum Schutz alle Wände mit Holz verkleidet.
Ebenso der alte Terrazzofußboden, der aus 1963, dem Baujahr des Kinos, stammt, wie so vieles hier. Holzwände und Fußboden werden später, nach Abschluss der anderen Arbeiten, gereinigt. Nur in den Aufgängen, die nach oben führen, ist der Teppich auf den Stufen nicht geschützt: Der kommt später eh raus und wird komplett durch einen neuen ersetzt.
Vieles ist mit dem Haus verbaut, erklärt Horch, kann nicht einfach ausgebaut und muss deshalb an Ort und Stelle restauriert werden. Nur ein paar Elemente wie die Tresen an der Garderobe zum Beispiel konnte man zu Beginn der Bauarbeiten ausbauen und in die Werkstatt eines Holzrestaurators in Weißensee bringen. „Ich war dort zu Besuch und habe Fotos gemacht und konnte am Ende kaum einen Unterschied an den Stellen erkennen, die ausgebessert wurden.“ Da gibt es nun stückweise neues Holz neben altem Holz, aber eben restauriert mit ein paar weniger Kratzern als zuvor – so bleibt Patina erhalten. „Dort wird ganz liebevoll gearbeitet“, schwärmt Horch.
Das mit dem „liebevoll“ gilt auch für die „Golddecke“. Thore Horch zeigt im Foyer mit dem Finger nach oben. Hier leuchten sonst 242 LED-Birnen und sorgen mittels Messingplatten, die natürlich längst eingelagert sind, für den namensgebenden goldenen Schimmer. Sämtliche Fassungen sind noch die originalen von 1963, aus Porzellan und hochwertig. „Sie „haben sich gut gehalten und wurden alle neu verkabelt“, sagt Horch. Die aufgearbeiteten Messingplatten kommen später wieder an die Decke.
Im hinteren Raum, der Bibliothek, liegt neben Heizkörpern ein riesiges Paket auf dem Boden, gut verpackt. „Staubfrei“, sagt Horch auf ein Etikett verweisend. „Kino International Premierenvorhang / Vorhang rechts vom Publikum aus / verpackt am 24.06.24“ ist darauf zu lesen. „Den haben sechs Textilfachleute in liebevoller Kleinstarbeit zusammengefaltet.“ Die Ausschreibung für die spezifischen textilen Restaurationsarbeiten läuft noch. Im Kino arbeiten Fachleute für die Restauration von Glas, Metall, Holz und Stein. „Das mit den Steinen können wir uns eben mal anschauen gehen.“
Das meiste ist Handarbeit
Dazu nehmen wir die Treppe mit dem alten, abgewetzten Teppich nach oben. Links und rechts an den Wänden sind wohl Tausende schmale, gelbe Klinkersteine zu sehen und hier und da freigelegte Schneisen, in denen schon neue Kabel verlaufen, um die Treppenlampen später mit Strom zu versorgen. Weil auf der anderen Seite der Wand die Toiletten mit alten Kacheln liegen, konnte man von hinten nicht einfach durchbohren.
Also Steine raus, Stück für Stück die Wand aufgestemmt, die Kabel rein, danach müssen die wieder eingesetzten, sorgsam aufgearbeiteten Steine neu verputzt werden. Doch die neuen Fugen sind kaum von den alten aus den 1960er-Jahren zu unterscheiden, zum Teil werden die neuen Fugen eingefärbt. „Hier sind halt Fachleute am Werk“, sagt Thore Horch. „Das hat auch das Landesdenkmalamt bei der Abnahme einer ersten Musterfläche überzeugt.“ Diese Abnahme erfolgt weiter abschnittsweise Schritt für Schritt.
Heike Zapf vom Baugeschäft Michael Fischer GmbH aus Berlin ist gerade bei der Arbeit und hat einen der Steine in der Hand. „Wir machen viel Restaurationen“, sagt sie, „natürlich auch Neues, aber am liebsten sind mir die alten Sachen.“
Und wie ist das so, an einem Denkmal zu arbeiten? „Schön“, sagt sie lächelnd, „ich mag das. Manche hassen so eine Arbeit ja, weil das hier wirklich kleinteilig ist.“ Man merkt Heike Zapf an, dass sie mit Leidenschaft bei der Sache ist. „Je weniger man von meiner Arbeit sieht, umso besser.“
Wie lange wird sie zu tun haben, zählt sie Steine mit? „Ich kann nicht sagen, wie lang dass dauern wird“, antwortet Heike Zapf. „Unten, da, wo wir schon fertig sind, kleben Zettel mit Zahlen drauf. Zusammengezählt wird zum Schluss. Die Hälfte lag wohl bei 1.500 Steinchen.“
Ein paar Treppen höher stehen wir in der leer geräumten Panorama-Bar, die Bar ist komplett verschwunden und wird andernorts restauriert. An den Wänden wurden die Holzpaneele aus den 1960er-Jahren entfernt, das schon neue Dämmmaterial ist zu sehen, hier und da auch kleine Wanddurchbrüche für die Kanäle der neuen Lüftung, die in den Kinosaal führen. Gerade wird es höllisch laut, ein Bauarbeiter fräst ein Stück des Bodens auf. Also schnell in den riesigen Saal.
Der Anblick dort ist – gelinde gesagt – irritierend. Die Bestuhlung ist gänzlich verschwunden, auch die Vorhänge fehlen. An den Wänden Gerüste über Gerüste, auch mitten im Raum. In großen Holzverschlägen sind die rund 4.000 Holzlamellen – sorgsam nummeriert – eingelagert. Nach und nach werden sie restauriert und kommen später wieder an die Wände.
Die Wände liegen gerade offen, neue Lüftungsrohre glänzen silbern. Im Keller stehen schon die neuen Lüftungsgeräte. „Frische Luft wird es damit auch im mittleren Bereich des Kinosaals geben, wo es früher immer stickig war – dank Weitwurfdüsen“, erklärt Daniel Dickmann die Vorzüge der neuen Lüftung. Der Architekt ist gerade vor Ort. „Das alles hier ist aufwendig“, sagt er.
Das Haus ist eine Herausforderung, der Denkmalschutz sowieso: „Die Heizung wird komplett erneuert. Auch die ganze Elektrik wird ausgetauscht, es bleibt kein einziger Stecker verkabelt, ich muss überall an alles heran, und am Ende darf man davon nichts sehen.“
Und die gewellte Decke? Die ist weder unter einer Plane verschwunden noch abgebaut. Es handelt sich um eine dünne Konstruktion, eine Rabitz-Decke. Rabitz ist die Bezeichnung für Drahtputz, der aus einer tragenden Unterkonstruktion und dem Putzmörtel besteht. Diese wurde 1963 so vor Ort geschaffen. Sie hängt mittels Drähten vom Dachstuhl herunter.
„Da machen wir nicht viel, außer sie zu überholen“, erklärt Dickmann und blickt nach oben. „Da geht der Maler einmal rüber, dann ist sie fertig.“ Die einzige Herausforderung wäre eine handwerkliche: Es muss ohne Abkleben gehen. „Das ist hier verboten“, sagt Dickmann, „da brauche ich einen Maler, der das aus der Hand machen kann.“ Denn weil es schon mehrere Farblagen gibt, könnte beim Lösen von Klebeband ein Schaden entstehen.
Gab es bei den Arbeiten Überraschungen? Vielleicht ein paar Schadstoffe. Nein. Nichts Schlimmes, kein Asbest oder Ähnliches, ist aufgetaucht, was den Bauablauf hätte beeinträchtigen können. „Hier wurde ja lange geplant“, sagt Dickmann. „Dennoch muss man hier und da improvisieren“, fügt er hinzu. Und das passt dann doch gut zu diesem DDR-Bau. „Man kann überall improvisieren, weil alles handwerklich robust und gut gemacht ist.“ Das ist ein Lob an die Bauleute und Handwerker von einst. Und auch ressourcensparend, sagt Dickmann.
„Das Kino lässt sich sehr gut sanieren“, fasst er zusammen.„Das hier ist kein Projekt von der Stange, so ein Kino ist schon ziemlich einmalig“ und so gesehen eine „tolle Referenz“ für das Architektenbüro Dickmann und Richter. Außerdem hat er eine gute Botschaft parat: „Im Moment sind wir auf einem guten Weg, was den Zeitplan anbelangt.“ Im zweiten Quartal 2026 sollen die Arbeiten abgeschlossen sein.
Und das Geld? Ist die Instandsetzung des Kinos in irgendeiner Form von den nun beschlossenen Einsparungen betroffen, die die Berliner Kulturlandschaft hinnehmen muss? „Nein“, versichert Thore Horch, „das tangiert die Instandsetzungsarbeiten in keinster Weise, die werden abgeschlossen wie geplant, da es sich um Mittel aus den Landes- und Bundeshaushalten vergangener Jahre handelt.“
Die Arbeiten werden zudem von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz gefördert. Die hat das Kino schon in den letzten Jahren bei der Sanierung der Fassade mit den Reliefs unterstützt und jetzt erneut die Förderung für die Restaurierung der Holzlamellen mit noch einmal 100.000 Euro für 2025 zugesagt.
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