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taz Ost: Auftakt zur Brandenburg-SerieBoomtown bei Berlin

Bernau bei Berlin: Der wachsenden Stadt geht es gut, es wird viel gebaut, sie profitiert von den Pendlern, die in Berlin arbeiten. Ein Besuch vor Ort.

Willkommen in Bernau bei Berlin. Es sind nur sieben Kilometer bis zur Stadtgrenze Berlins Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz

André Stahl steigt in seinen schwarzen Audi, am Rückspiegel baumeln Lauflernschuhe. Bernaus Bürgermeister von den Linken – der mit Frau und drei Kindern in einem Haus bei Bernau wohnt, das seiner Großmutter gehörte –, bleibt kurz am neuen Rathaus stehen, das im Februar Richtfest gefeiert hat. Oben wird es eine Dachterrasse mit Café geben, und im Inneren werden im Sitzungssaal auch Kulturveranstaltungen stattfinden, sagt Stahl, denn es soll ein Rathaus für die Leute werden. Dann geht es zu den Neubaugebieten an den Rändern in seiner kleinen Stadt.

„Da hinten entstehen gerade 53 Wohnungen“ … „da drüben 220“ … „und hier 700“, sagt Stahl im Fünfminutentakt. Sperrige Worte wie „Nachverdichtung“, „stecken gebliebene B-Plan-Gebiete“, „zu erhaltende Grünzäsuren“ und „verkehrliche Erschließung“ kommen hinterher, als hätte er sie schon im Kindergarten gelernt. Überall tanzen Baukräne am Himmel, und spätestens nach dem vierten Viertel, wo gerade schicke Ein- oder Mehrfamilienhäuser entstehen, verliert man den Überblick.

Aber Stahl ist lang noch nicht fertig. Mehr als 2.500 Wohnungen werden dann bis 2020 innerhalb der vergangenen fünf Jahre entstanden sein, gerade wurden 100 Millionen in das Gebiet rund ums Krankenhaus investiert, 26 Millionen in die Sanierung selbst. In der Nähe entstehen derzeit zwei neue Grundschulen, eine Oberschule, eine Kita, ein Jugendzentrum. Die Stadt investiere nun vor allem in die Infrastruktur.

Denn Bernau wächst, jedes Jahr ziehen rund 400 Menschen hierher, 19.000 waren es zur Wende, 10.000 kamen durch Eingemeindung hinzu, die übrigen 11.000 durch Zuzug. Im Jahr 2015 zählte die Stadt zum ersten Mal 40.000 Einwohner.

taz Ost: die Brandenburg-Serie

Am 1. September sind Landtagswahlen in Brandenburg. Mit unserer Brandenburg-Serie werfen wir bis dahin in loser Folge Schlaglichter auf das Bundesland, das Berlin umgibt, das aber manchmal weiter entfernt scheint von der großen Stadt als viele andere Bundesländer. Wir sehen dahin, wo es knirscht: Wo das Alte mit dem Neuen kämpft, wo es stagniert oder wo es boomt, wo die Menschen weggehen oder wohin sie zurückkehren, wo sie auf dem Althergebrachten bestehen oder etwas Neues versuchen. Wir schauen uns florierende und schrumpfende Orte an. Wir stellen Fragen nach Heimatverbundenheit, Engagement, Welt­offenheit und Toleranz. Alle Folgen finden sich online unter taz Ost. (taz)

23 Minuten bis zum Berliner Hauptbahnhof

Den Hauptgrund für dieses schnelle Wachstum kann man am vollständigen beziehungsweise offiziellen Namen der Stadt sehen: Bernau bei Berlin. Denn nur sieben Kilometer sind es bis zur Stadtgrenze, es gibt zwei Autobahnanschlüsse. Mit dem Regionalexpress schafft man es in 23 Minuten bis zum Berliner Hauptbahnhof. Alle 20 Minuten fährt die S2 nach Pankow, Gesundbrunnen, Potsdamer Platz. Das ist für allem für Pendler ideal, die sich die Mieten oder die Immobilienkaufpreise in der Hauptstadt nicht mehr leisten können. „Bernau war schon immer eine Stadt, in der die Ur-Bernauer in der Minderheit waren“, weiß Stahl.

Bernau ist auch schon immer eine Stadt, wie es sie nicht viele gibt in Brandenburg. Weder haben die Einwohner mit viel Arbeitslosigkeit zu kämpfen – die Quote liegt bei 3,3 Prozent – noch mit übermäßiger Segregation, wie sie etwa in Potsdam herrscht, der Stadt mit extrem Reichen und vielen Armen.

Und trotzdem knirscht es und knackt es in Bernau. Vielleicht ein wenig leiser als anderswo, aber dafür umso bedrohlicher. „Das Wachstum stößt zunehmend auf Skepsis“, fasst Stahl zusammen.

Die Dame in den Siebzigern hat graue Haare und trägt graue Kleidung dazu, sie lebt seit 30 Jahren in Bernau. „Unsere Stadt ist einfach nicht mehr so gemütlich wie früher“, sagt sie und ihr Blick geht auf die dicke Stadtmauer aus dem Mittelalter, die in großen Teilen erhalten ist, wie auch Reste der Lughäuser, Mauertürme, und eins von den Stadttoren. Gerade ruht sich die Dame auf dem Weg zur Bank im Schatten aus, neben einem der zweigeschossigen Plattenbauten, die hier seit dem Abriss der Altstadt in den 1980er Jahren das Stadtbild dominieren.

Beschauliche historische Altstadt

Die Dame in Grau hat den Kahlschlag zu DDR-Zeiten nicht miterlebt, sagt aber, dass er von vielen Bernauern begrüßt wurde. „Damals wollte keiner mehr die schiefen Fachwerkhäuser mit den niedrigen Decken und dem Plumpsklo auf dem Hof“, sagt sie. Anders als draußen, wo die Baukräne tanzen, wirkt die historische Altstadt beschaulich, trotz der Plattenbauten überall. Es gibt noch die mittelalterlichen, krummen Pflasterstraßen, schöne Cafés, gute Restaurants, und kleine Geschäfte für den alltäglichen Bedarf vom Bioladen bis zum Metzger des Vertrauens, vom Stoffladen bis zum Edeka, alles sehr liebens- und erhaltenswert.

„Ich würde Bernau nicht mehr verlassen“, sagt die Frau in Grau. Trotzdem hat sie Angst, dass die Stadt bald nicht mehr das sein wird, was sie einmal für sie war. Sie hat weder was gegen „Ausländer“ noch gegen „die Neuen aus Berlin“, wie sie sagt.

Nur manchmal, da findet sie schon, dass es ein bisschen viel wird in Bernau.

Bei den Bundestagswahlen 2017 war Bernau noch eine feste, rote Burg: Fast 35,95 Prozent wählten die Linken, 22,2 Prozent die CDU, 14,7 die SPD und 16,5 die AfD. Bei den Europawahlen im Mai dann ein anderes Bild: Die AfD wird mit 19,4 Prozent stärkste Partei, dagegen entfallen nur noch 16,6 Prozent der Stimmen auf die Linke, 14,6 Prozent auf die CDU und 13,1 auf die SPD.

Das Wachstum stößt zunehmend auf Skepsis

André Stahl, Bürgermeister

Sylvia Pyrlik in ihrer Buchhandlung Schatzinsel in der Bernauer Altstadt Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz

Die Listenvereinigung BVB/Freie Wähler …

Noch interessanter die Kreistagswahlen zur selben Zeit: Die Linke in Bernau kommt auf 18,1 Prozent, die CDU auf 14,3, die AfD auf 13,8 Prozent und die SPD auf 9,8 Prozent. Im Stadtparlament konnten die Linken von ihren elf Mandaten sieben behalten, die CDU fünf von sechs und die SPD vier von fünf. Die AfD kam erstmals ins Stadtparlament, mit vier Mandanten. Stärkste Kraft aber wurde die Listenvereinigung BVB/Freie Wähler, die acht Mandate bekam. Und Parteichef Péter Vida ist Vorsitzender der Bernauer Stadtverordnetenversammlung geworden.

„Die Leute haben immer schon gedacht, das Boot sei voll.“ Das sagt Bernd Eccarius, ein stadtbekannter Mann, geboren 1955, mit langen Haaren und kleinem Ohrring. Seine Eltern kamen aus Königsberg, groß geworden ist er in Bad Freienwalde, in den 1970er Jahren studierte er in Leipzig Geschichte, trieb sich in der Hausbesetzerszene der DDR herum, und hatte viele Freunde aus Chile.

Im Jahr 1984 kam Eccarius nach Bernau, war auch mal Stadtrat für Kultur. Heute arbeitet er fürs Heimatmuseum, führt Touristen durch ein kleines Museum im Steintor. „Auch die Hugenotten wurden hier stark angefeindet, dabei haben sie viel Know-how mitgebracht und waren bald vollständig integriert“, sagt er. „Das Dumme ist nur, dass die Ängste der Leute jetzt geschürt und benutzt werden.“ Worauf Ecaarius anspielt, ist die AfD. Worauf andere Bernauer anspielen, sind aber auch die BVB/Freien Wähler, die etwa 100 kommunale Bürgervereinigungen und Bürgergruppen bündeln.

Entstanden ist Brandenburgs Vereinigte Bürgerbewegung/Freie Wähler, so der volle Name, aus den Parteien Brandenburgs Vereinigte Bürgerbewegungen/50 Plus und dem Landesverband der Freien Wähler 2008. Involviert waren damals unter anderen der vermögende Bernauer Zahnarzt Dirk Weßlau, der 2003 als Bürgermeisterkandidat für die Schillpartei in Eberswalde angetreten ist – und dem heutigen Landesvorsitzenden Péter Vida.

Immer wieder: Péter Vida

Erklärtes Ziel war von Anfang an sachbezogene Politik für jene, die sich nicht mehr gehört fühlen, und Partei für die Enttäuschten zu sein, wie man es selbst formulierte.

Bereits 2009 trennten sich die Freien Wähler auf Bundesebene von der heutigen Partei BVB/Freie Wähler in Brandenburg – wegen des Verdachts auf Unterwanderung von rechts. Seit 2014 sitzt Vida für die BVB/Freie Wähler im Landtag Brandenburg, außerdem im Kreistag Barnim, wo die BVB/Freie Wähler sieben statt bisher fünf Sitze errungen hat.

Manche Bernauer erzählen sich, Vida sei in seiner Jugend in einer rechtsextremen Studentenverbindung gewesen, er sei wegen parteischädigenden Verhaltens aus der Bernauer CDU ausgeschlossen worden, auch habe er auf seiner Webseite Fotos mit Ungarns Staatspräsident Viktor Orbán hochgeladen, er sei nur zum Schein im Migrationsbeirat aktiv. Vida selbst wies solche Anschuldigungen stets zurück und hat als Abgeordneter keine Äußerungen gemacht, die man ihm ankreiden könnte.

Statt dessen hat er sich für die sogenannten Altanschließer eingesetzt, jene Grundstücksbesitzer, die vor der Wiedervereinigung ans Wassernetz angeschlossen wurden, dafür zahlen mussten und nun ihr Geld zurück wollen. 2014 wählten die Bernauer durch einen von Vida mitinitiierten Bürgerentscheid sogar ihren alten Bürgermeister – Hubert Handke von der CDU – ab, weil er die Alt­anschließer nicht gegen geltendes Recht entschädigen konnte. Außerdem startete Vida mit seiner Liste eine Volksinitiative zur Abschaffung der Straßenausbaubeiträge in Brandenburg. Am 10. April 2019 verwies der Landtag Brandenburg einen gemeinsamen Antrag von Péter Vida für die BVB/Freie Wähler, SPD und Linken an den Innenausschuss, die Straßenausbaubeiträge abzuschaffen. Erst vor wenigen Tagen wurde das Gesetz beschlossen.

Eine bodenständige wie weitsichtige Frau

„Es stört mich, dass Herr Vida Menschen einfängt, indem er sie beschwindelt“, sagt die gelernte Buchhändlerin Sylvia Pyrlik, geboren und aufgewachsen in Bernau, studiert in Leipzig, gearbeitet in Eberswalde und Zehlendorf. 1993 kehrte Pyrlik zurück, eröffnete die schöne Bernauer Buchhandlung Schatzinsel, ist gerade Abgeordnete für die Linken im Barnimer Kreistag geworden. „Herr Vida konnte gar nicht halten, was er den Alt­anschließern versprochen hat“, fügt Pyrlik an. „Ich habe selbst erlebt, wie die Freien Wähler den Bernauern auf der Straße erzählt haben, dass das neue Rathaus abgerissen werden sollte, als das neue gebaut wurde. Das war frei erfunden.“

Verschnaufpause in der Altstadt: Das Ehepaar Telker sitzt in Bernau vor der Stadtmauer Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz
taz ost

Sechs Wochen im Osten: Vor der Landtagswahl in Sachsen am 1. September 2019 war die taz in Dresden. Seit dem 22. Juli waren wir mit einer eigenen Redaktion vor Ort. Auch in Brandenburg und Thüringen sind bzw. waren wir vor den Landtagswahlen mit unserem #tazost-Schwerpunkt ganz nah dran – auf taz.de, bei Instagram, Facebook und Periscope. Über ihre neuesten Erlebnisse schreiben und sprechen unsere Journalist*innen im Ostblog und im Ostcast. Begleitend zur Berichterstattung gibt es taz Gespräche in Frankfurt (Oder), Dresden, Wurzen und Grimma. Alle Infos zur taz Ost finden Sie auf taz.de/ost.

Sylvia Pyrlik ist eine ebenso bodenständige wie weitsichtige Frau. Aber sind das auch die Bernauer, die Vida gewählt haben?

Als kürzlich Pläne für ein Wohngebiet mit 3.000 bis 5.000 Wohnungen publik wurden, war die Aufregung groß und auch Péter Vida zeigte sich echauffiert. In einem Artikel der Märkischen Oderzeitung antwortete Bürgermeister André Stahl, dass bisher weder die Eigentumsverhältnisse noch die Verkehrsanbindungen für das betreffende Gelände geklärt seien. Trotzdem schrieb ein Leser, dieser „Bau-Wahn“ solle „endlich ein Ende finden“.

Warum sind viele Bernauer, denen es doch so gut geht im Vergleich zu anderen Brandenburgern, so ängstlich, so argwöhnisch?

Deutschlernen in jeder freien Minuten

„Vielleicht ist es nur wegen meines Kopftuchs“, vermutet Maawia A., die mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern seit drei Jahren in Bernau lebt. Maawia A. war Allgemeinärztin in Damaskus, bevor sie aus Syrien floh. Sie will unbedingt wieder arbeiten, lernt Deutsch in jeder freien Minute, die Ergebnisse sind beeindruckend.

Weil sie die Fachsprachprüfung nicht geschafft hat, würde sie gern in einem Krankenhaus im Umkreis hospitieren, um mehr Deutsch zu sprechen, erhält aber auch trotz der Hilfe der sehr engagierten Bernauer Integrationsstelle bislang wenig Feedback. Die Familie der 35-Jährigen wohnt seit zwei Jahren in einer eigenen Wohnung, wird aber von den Nachbarn ignoriert, nicht zurück gegrüßt und manchmal sogar beschimpft. Das ältere Kind findet in der Grundschule keinen Anschluss zu den Mitschülern und hat Schwierigkeiten Deutsch zu lernen. Eine deutsche Freundin hilft ihnen bei Problemen im Alltag.

Sie fühlen sich allein, denn während in Berlin wie im bundesweiten Schnitt heute etwa ein Mensch mit syrischer auf 100 Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft kommen, sind es in Bernau nur einer auf 700. Viele suchen das Weite, sobald sie keine Wohnsitzauflage mehr haben.

„Rassismus ist so schön einfach, er kaschiert Privilegien“, so erklären sich Katrin Schudde und Robert Reichelt vom linken Jugendtreff Dosto die Lage, wo selbst jetzt, in den Ferien, an einem sonnigen Freitagvormittag einige Mädchen abhängen. Letztes Jahr haben sie hier viel über den Hambacher Forst geredet, dieses Jahr viel über Greta Thunberg, erzählen die beiden. Sie freuen sich, dass die Jugendlichen wieder ein Thema gefunden haben, für das sie kämpfen. Das ist es, wofür der Dosto seit seiner Gründung nach der Wende da ist.

Ein Stück der Bernauer Stadtmauer, die war ursprünglich mal 1.496 Meter lang war Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz

Die Somewheres und die Anywheres

Sie können sich aber auch noch gut erinnern, wie in den Neunzigern die Nazis am Bahnhof saßen, an die harten Kämpfe der Antifa. „Es ist ruhiger geworden“, sagen Schudde und Reichelt, finden das aber nicht unbedingt beruhigend. Die Rechten sind nicht mehr so greifbar wie früher. Und manche Jugendliche wissen heute gar nicht mehr, was Antisemitismus bedeutet, wenn sie zum Dosto kommen.

Und das hat natürlich auch nichts mehr mit der DDR zu tun, jenem kleinen Land, in dem sich Bernau vor 30 Jahren befand. Und auch nichts mehr mit dem oft angeführten fehlenden Training der DDR-Bürger, was den Umgang mit anderen Kulturen anging.

Der britische Journalist David Goodhart hat eine neue Ursache für den neuen Populismus ausgemacht, der sich überall ausbreitet. Eine Ursache, die über die Trennung der Gesellschaft in Arm und Reich oder in Schwarz und Weiß weit hinaus geht. Nach Goddhart haben sich weltweit zwei neue Meta-Klassen herausgebildet, zwei Lebensweisen, die eine Art Kulturkrieg gegeneinander führen. Die einen nennt er Somewheres, die anderen Anywheres.

Somewheres sind Abgehängte und Dagebliebene. Sie leben in Kleinstädten, in denen es längst keinen guten Buchladen und kein Schwimmbad mehr gibt, in Dörfern, die kein Bus mehr erreicht. Die Anywheres dagegen können jederzeit umziehen, sie sind gut bezahlte, mobile Angestellte, gebildete Kosmopoliten und Gewinner der globalen Urbanisierung.

Gibt es diese beiden Klassen in Bernau?

Ein bisschen komisch …

Robert L. ist ein Bekannter einer Bekannten, er ist um die Wende geboren, in Bernau aufgewachsen, hat in Süddeutschland studiert und ist dann nach Bernau zurückgekehrt, um Grundschullehrer zu sein. Mit den Kindern macht er Projektwochen zum Thema Programmieren oder Trendsportarten. Zweimal hat seine Klasse schon einen Forscherpreis gewonnen.

An einem Montagabend trifft Robert L. seinen alten Schulfreund Sascha M. Auch er hat woanders studiert, auch er ist zurückgekommen und fängt hier demnächst als Stadtplaner an. Sie beide mögen ihre Stadt, wollen hier was bewegen. Bislang haben sie in der Südstadt gelebt, einem Viertel, wo eher Menschen mit Migrationshintergrund und Hartz IV-Empfänger wohnen. Demnächst zieht Robert mit seiner Freundin in den Panke-Park, ins ehemalige Heeresbekleidungsamt, das sie so schick saniert haben, wo die Wohnungen jetzt schon 8,50 Euro der m2 kalt kosten und die Stadt mit 19 Hektar Fläche den größten Stadtpark Brandenburgs anlegen lässt. Ein bisschen komisch findet er das schon, mindestens.

Anja R. ist eine Zufallsbekanntschaft aus der frisch renovierten Plansche in Bernau, eine Art Freibad für Kleinkinder, wo sie an einem Freitagnachmittag mit ihrem Kind einen sonnigen Nachmittag verbringt. Ach sie ist nicht lang vor der Wende geboren, lebt seit knapp zwei Jahren in Bernau, auch in der Südstadt, aber nicht in den Platten, sondern nebenan, in einem neuen Einfamilienhaus, das nicht viel weniger gekostet hat als eine Vierzimmerwohnung in Pankow heute kosten würde, wie sie sagt. Wahrscheinlich könnten sich das nur noch die wenigsten Bernauer leisten. Sie mag Bernau, fühlt sich freundlich aufgenommen, pendelt aber täglich mit der Bahn nach Berlin zur Arbeit, sodass momentan noch wenig Zeit bleibt für einen Blick über den Tellerrand – oder gar Engagement vor Ort.

Sowohl Robert L. als auch Anja R. wissen wenig über die stärkste Kraft im Bernauer Stadtparlament, die BVB/Freien Wähler. Gewählt haben beide ganz andere Parteien. Für Leute wie sie funktioniert die Unterscheidung von Somewheres und Anywheres nicht.

Leute wie sie sind Somewheres und Anywheres zugleich. Leute wie sie findet man häufig in Bernau, und sie sind die Zukunft dieser Stadt.

„Vielleicht sollten die Leute einfach mal weniger meckern“, sagt Bernd Eccarius, der Historiker. „Vielleicht brauchen wir einfach nur eine Hochschule vor Ort“, sagt Robert L. „Und eine gute Bar und ein Programmkino.“ – Wahrscheinlich haben sie beide recht.

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