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Herkunftsdebatte nach AttentatenDie Guten und die Bösen

Statt an die Opfer zu denken, wird nach Attentaten zuallererst die ethnische Herkunft diskutiert. Die rassistische Debatte kategorisiert nicht nur Täter:innen, sondern sogar Hel­d:in­nen ein.

Nach dem Messerangriff: Polizei und Spurensicherung im Einsatz nahe des Tatorts am Hamburger Hauptbahnhof Foto: Georg Wendt/dpa

Der somalische Geflüchtete Ahmed Mohamed Odowaa hielt den afghanischen Attentäter auf, der im Februar in Aschaffenburg zwei Menschen tötete, darunter ein Kleinkind. Der pakistanische Taxifahrer A. Muhammad aus Mannheim stoppte den deutschen Attentäter, der Anfang März zwei Menschen tötete und elf Verletzte. Der syrische Geflüchtete Muhammad Al Muhammad hielt am Freitagabend die deutsche Attentäterin auf, die am Hamburger Hauptbahnhof mit einem Messer 18 Menschen verletzte, vier von ihnen lebensgefährlich.

In Deutschland hat sich ein grausames Ritual eingeschlichen. Wenn Eilmeldungen eines Attentats auf dem Handydisplay erscheinen, denken nicht alle gemeinsam an die Opfer. An die Menschen, die verletzt, traumatisiert oder gar getötet wurden. Stattdessen beschäftigen wir uns mit der Frage: Welche Ethnien haben die Beteiligten? Wer ist Held, wer ist Täter, wer ist Opfer?

Die dümmste Erzählung der Menschheitsgeschichte

Die deutsche Gesellschaft ist in einem desolaten Zustand. Menschen glauben, dass die ethnische Herkunft – die „Rasse“ – etwas darüber aussagt, ob ein Mensch „gut“ oder „schlecht“ sei. Es ist die wohl dümmste und am besten widerlegte Erzählung der Menschheitsgeschichte. Leider auch eine der grausamsten.

Und so ist es verständlich, wenn nun die Geschichte von Muhammad Al Muhammad erzählt wird. Als am frühen Freitagabend eine 39-jährige Frau am vollen Hamburger Hauptbahnhof anfing, wahllos um sich zu stechen, ging der 19-jährige Syrer dazwischen und hielt die Attentäterin möglicherweise davon ab, noch mehr Menschen zu verletzen oder gar zu töten.

Man ist verleitet zu sagen: Seht ihr? Ein Araber – er heißt auch noch Muhammad – ist ein Held!

Al Muhammad sagte gegenüber dem Spiegel, dass viele Menschen plötzlich in eine Richtung gerannt seien, er aber nicht. „Ich habe mich entschieden, in die andere Richtung zu rennen und die Frau zu stoppen.“ Ein Tschetschene hat ihr ins Knie getreten, Muhammad warf sich auf sie, bis die Polizei die Frau festnehmen konnte. Von einem politischen Motiv wird nicht ausgegangen, die mutmaßliche Täterin habe sich wohl in einem psychischen Ausnahmezustand befunden.

Man ist verleitet zu sagen: Seht ihr? Ein Araber – er heißt auch noch Muhammad – ist ein Held! Kein Messer-Attentäter, kein Terrorist – er hat Menschen gerettet! Hat er das getan, weil er Syrer ist? Nein! Er hat es vermutlich getan, weil er gelernt hat, in einer Krise gefasst zu reagieren, weil er Mitgefühl in seinem Herzen trägt, weil er mutig ist.

Die Spaltung nutz den Rechtsextremen

Aber die politische und öffentliche Debatte trieft inzwischen so sehr von rassistischer Toxizität, verbreitet durch eine rechtsextreme Partei und deren Influencern in Medien und sozialen Medien, aber auch von demokratischen politischen und medialen Akteur:innen, dass es notwendig ist, die Geschichte von Muhammad Al Muhammad zu erzählen.

Medien berichten nachgewiesenermaßen unverhältnismäßig oft von ausländischen Tatverdächtigen, Po­li­ti­ke­r:in­nen nutzen Spaltung und Polarisierung als Machtinstrumente. Platz für ganz alltägliche Geschichten von eingewanderten Menschen gibt es dazwischen nicht.

Eine Gesellschaft, die sich spalten lässt in „gut“ und „böse“ und in „ausländisch“ und „deutsch“, gerät in einen gefährlichen Strudel. Sie ist leichte Beute für autoritäre Kräfte, die eine verzerrte, gelogene Realität erzeugen. Menschen können „gut“ und „schlecht“ sein, egal, wo sie herstammen. Auf welcher Seite hingegen die stehen, die anderes behaupten, das scheint klar zu sein.

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