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Männer und FeminismusDie männliche Identitätskrise

Kommentar von Robert Schwerdtfeger

Mansplaining, Manspreading, #metoo: Männlichkeit ist vor allem negativ konnotiert. Das Vakuum an positiven Männlichkeitsidealen muss gefüllt werden.

Historische Aufnahme, starker Mann, Artist, ca. 1915 Foto: Rosseforp/imagebroker/picture alliance

B loß nicht noch mehr toxische Männlichkeit! So fiel das Medienecho erwartungsgemäß aus, nachdem Mark Zuckerberg vor zwei Wochen mehr „maskuline Energie“ und „ein bisschen mehr Aggressivität“ gefordert hatte. Die einseitigen Reaktionen darauf offenbaren vor allem, woran die Debatte über Männer seit vielen Jahren krankt.

Denn natürlich sind wir erst mal geneigt, „maskuline Energie“ als Gender-Esoterik und Mark Zuckerberg als reaktionären Tech-Boss abzutun. Wir sind geneigt, von #metoo und Gisèle Pelicot, von Incels und Andrew Tate zu reden und deshalb zu behaupten, dass ausgerechnet männliche Energie nun wirklich das Letzte sei, von dem es auf der Welt noch mehr bräuchte.

Statt unseren spontanen Neigungen nachzugeben, könnten wir uns aber auch ein paar Fragen stellen. Warum weckt „maskuline Energie“ gerade diese negativen Assoziationen? Warum wird das Wort „Männlichkeit“ in progressiven Kreisen ironisch und in Anführungszeichen oder aber in Kombination mit „toxisch“ verwendet? Warum lässt sich mit Mansplaining, Catcalling oder Manspreading männliches Fehlverhalten präzise bezeichnen, während immer weniger Richtlinien darüber zu existieren scheinen, wie man es als Mann richtig machen kann?

Das Vakuum an positiven Männlichkeitsidealen spiegelt eine Entwicklung, die als „masculinity crisis“ erst allmählich in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gelangt: Viele Männer suchen in den vermeintlichen Trümmern des Patriarchats nach sich selbst – und finden nichts. Schon gar nicht „maskuline Energie“. Sie fühlen sich nutzlos und überflüssig, einsam und desorientiert.

Arbeit, Mann!

Dabei sind es nach wie vor meist Männer, die an der Spitze von Regierungen stehen. Es sind meist Männer, die in DAX-Vorständen sitzen. Es sind Männer, die für die gleiche Arbeit mehr Geld bekommen. Es gibt keine Macht­umkehr im Verhältnis der Geschlechter. Aber: Es gibt eine tiefgreifende männliche Identitätskrise.

So verrät schon ein Blick auf den Arbeitsmarkt, dass das Gefühl der Nutzlosigkeit kein Produkt der Einbildung ist: Muskelkraft, oft assoziiert mit Männlichkeit, ist in Industrie und Landwirtschaft heute weitestgehend durch Maschinen ersetzt. Bergmann und Schlachter gelten mittlerweile in manchen Kreisen als exotische Berufe, während immer mehr Community-Manager und Servicekräfte gebraucht werden. Auch die traditionelle Rolle des Ernährers bröckelt. Immer mehr Frauen erreichen ökonomische Unabhängigkeit.

Anders gesagt: Das Lebensmodell des stumpfen Ehemanns, der trotzdem geliebt wird, solange er nur regelmäßig die Lohntüte nach Hause bringt, gehört (glücklicherweise) der Vergangenheit an. Wer heute als Mann nichts darüber hinaus anzubieten hat, findet erst gar keine Frau.

Angesichts der Tatsache, dass Männer jahrtausendelang Frauen unterdrückt haben, mag das Mitleid des ein oder anderen sich in Grenzen halten: Sollen die Männer eben schauen, wo sie bleiben! Man würde es sich allerdings entschieden zu leicht machen, wenn man glaubte, es wäre ein reines Männerproblem, dass ein positiver Männlichkeitsentwurf fehlt. Das Problem betrifft alle.

Denn während in progressiven Milieus vor allem kritisch über Männlichkeit gesprochen wird, hat man anderswo längst Sinnangebote für Männer parat: Manosphere-Influencer bilden ihre Follower zu frauenverachtenden „Alpha Males“ aus, und rechtsextreme Parteien buhlen erfolgreich um Männer, die statt vereinsamter Gamer lieber tapfere Soldaten der Festung Europa wären. „Echte Männer sind rechts – dann klappt’s auch mit der Freundin“, brachte AfD-Mann Maximilian Krah 2023 auf der Plattform Tiktok diesen Zusammenhang propagandistisch geschickt auf den Punkt.

Es ist höchste Zeit, dass Männer ein positives Männlichkeitsideal entwickeln. Eines, das nicht hinter den aktuellen Gender-Diskurs zurückfällt, aber nicht bei Ratlosigkeit und schlechtem Gewissen stehen bleibt.

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6 Kommentare

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  • klar, positive Ideale sind ja total hilfreich. So wie 90-60-90, lange Beine, braves Dauerlächeln, gut kochen können u.v.m. als positive Ideale auch total gut und hilfreich waren/sind, nicht war.

    Oder wäre es vielleicht das Beste, auf Männlichkeits- oder Weiblichkeitsanforderungen einfach komplett zu verzichten und Menschen einfach Menschen sein zu lassen?

  • Echt jetzt? 'Es ist höchste Zeit, dass Männer ein positives Männlichkeitsideal entwickeln.'?

    Weniger als Mann und vor allem als Mensch interessiere ich mich null für irgendwelche Männlichkeitsideale oder andere als 'Leichtkultur' verkaufte Ideale. Mich interessiert, wie es die Menschen schaffen können, endlich ihre ungeteilte Verantwortung für alle Menschen, für zukünftige Generationen und für die Welt als mit anderen Arten geteilten Lebensraum wahrnehmen können. Ob Mann nun Karriere als Macho macht oder den Hausputz und die Kinder hütet, wenn er dabei auf den Rest der Welt pfeift und nur sich und den seinen ein schönes Leben machen will, ist er für mich an der einzigen Aufgabe des Lebens gescheitert: So zu leben, dass weiteres Leben möglich ist.

    Das Gegenteil sind diese liberalen VOCELs (voluntary celibates), die immer nur nach Selbstverwirklichung und Selbstbefriedigung streben und diese Monisten, die sich mit ihrem Wollen die ganze Welt erklären und zum Untertan machen wollen.

  • Zwei Punkte dazu:



    1. Ich glaube, dass die positiven Aspekte in Bezug auf Männlichkeit ja bereits innerhalb des Artikels (indirekt) benannt werden: Kein toxisches, selbstsüchtiges A*loch zu sein, gemeinschaftlich-solidarisch zu denken und zu handeln, seine Vulnerabilität nicht als Schwäche sehen etc.pp.



    2. Man müsste (an-)erkennen, dass die negativen Formen von Männlichkeit, ebenso wie bestehende patriarchale Strukturen nicht alleine von Männern geschaffen und gestützt werden, sondern sollte sich an die seit den 1980er Jahren geführten Debatten erinnern, die zeigen, dass auch Frauen/Nicht-Männer in Teilen vom Erhalt solcher Strukturen profitieren. In diesem Sinne ist dem Artikel zuzustimmen, dass uns diese Umarbeitung alle angeht; es zeigt aber auch, dass es sich dabei um eine gemeinsame und nicht per se gender-exklusive Praxis handeln muss.

  • Als alter weißer progressiver Mann lasse ich die negative Konnotation der Männlichkeit nicht an mich heran und leide aus diesem Grund auch an keiner Identitätskrise. Ich habe insoweit auch kein schlechtes Gewissen oder Ratlosigkeit.

    Im Gegenteil, bestimmte oben als toxisch beschriebene Verhaltensmuster stören mich ebenfalls und wenn diese dann wegkommen, dann befürworte ich das voll und ganz.

    Allerdings brauche ich auch kein postives Männlichkeitsideal und komme selbst bei der Erziehung meiner Kinder voll und ganz ohne klar. Mir tun allenfalls die Kinder leid, die bereits im Kindergarten oder Grundschulalter mit diesem ganzen Genergedöns überzogen werden und damit - zumindest im Schulumfeld meiner Kinder - augenscheinlich vollkommen überfordert sind.

  • Ich finde wir brauchen weder "Männlichkeit" noch "Weiblichkeit".



    Hinter solchen Worthülsen steckt schlicht Sexismus.



    Wir brauchen Moral.



    Allgemeingültig, Geschlechtsunspezifisch und gesellschaftlich anerkannt.



    Daran kann man sein Handeln messen.



    Wir brauchen keine Idole, es reicht wenn die Leute welche Reichweite besitzen sich weniger wie A****löcher benehmen, egal als was die Person sich sexuell identifiziert.



    Jeder ist genau soviel Mann/Frau/Divers wie er das möchte, das von außen zu beurteilen ist schlicht übergriffig und arrogant, egal aus welcher Ecke.



    Jedoch würde das den Aktivismus die Grundlage entziehen, aber eben auch diesen ewig gestrigen Rollengelaber und Ansprüchen an sich selbst (kann man machen) und die Umwelt (sollte man lassen).

    Ist aber nur meine Meinung.

  • Wie wahr. Mitleid wollen wir nicht, aber Sinnstiftendes um die Leere zu füllen. Sonst bleibt nur die (Rück-) Besinnung auf physische Stärke, Diskursdominanz o.ä. und das führt langfristig nach rechts wenn dabei die Grundlage flöten geht.