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talk of the townMedien spielen Justiz

Ein französisches Magazin berichtet, der Umweltminister habe vor 20 Jahren eine Frau vergewaltigt. Die Beweise sind dünn, selbst die Betroffene wollte den Text verhindern

Regierungsliebling, Umweltaktivist, Medienopfer? Minister Nicolas Hulot Foto: Denis Balibouse/reuters

Aus Paris Rudolf Balmer

Im Nachhinein wollten alle französischen JournalistInnen in Paris davon gehört haben: Laut zirkulierenden Gerüchten soll der Medienstar in Emmanuel Macrons Regierung, Umweltminister Nicolas Hulot, in der Vergangenheit sexuell übergriffig gewesen sein. Analog zur weltweiten #MeToo-Kampagne fiele seine Tat unter den französischen Hashtag #BalanceTonPorc, was übersetzt so viel wie „Verpfeif dein Schwein“ heißt. Da niemand Genaueres über die Gerüchte wusste, wurden sie bisher nicht publiziert – bis ein neues Magazin, Ebdo, den Skandal platzen ließ: Zwei Frauen hätten Hulot beschuldigt. In einem Fall sei es sogar um eine Anzeige wegen Vergewaltigung gegangen.

Beim Lesen des Artikels, der wie ein Bombe einschlug, suchte man handfeste Ergebnisse einer umfassenden Recherche allerdings vergeblich. Im Nachhinein erwies sich der Informationsgehalt des als Enthüllungsstory angekündigten Artikels als so mager und das journalistische Vorgehen als so fragwürdig, dass nun aus der „Affäre Hulot“ ein Medienskandal wird.

Der heutige Staatsminister für Energiewende und Klimawandel ist nicht nur Nummer drei der Regierung. Dank seiner früheren Fernsehsendung „Ushuaia“ und seinem langjährigen Engagement für Umweltfragen gehört er zu den populärsten Franzosen. Das schützt ihn natürlich keineswegs vor dem Verdacht, sondern exponiert ihn in besonderem Maße. Nur müssten so gravierende Vorwürfe dann eben auf ernsthaften Nachforschungen und nicht auf Gerüchten beruhen.

In Ebdo fand sich ein einziger nachprüfbarer Fakt: 2008 zeigte eine Frau Hulot wegen Vergewaltigung bei der Polizei an. Hulot wurde vorgeladen. In der Vernehmung bestritt er, dass die sexuellen Beziehungen, die er 1997 mit einer damals 20-Jährigen hatte, gegen ihren Willen gewesen sei. Da der Vorfall zudem verjährt war, stellten die Behörden die Ermittlungen ein. Die widersprüchliche Darstellung bleibt ungeklärt.

Was hingegen ein echtes berufsethisches Problem ist: Ebdo berichtete über die Anzeige der Frau, ohne dass sie eingewilligt hatte – vermutlich aus Sensationsgier. Zwar wurde ihr Name nicht genannt, sondern nur erwähnt, dass es sich um die Enkelin eines früheren Staatsmanns handelte. Innerhalb weniger Stunden war der Name aber recherchiert: Die Betroffene ist Pascale Mitterrand, die Enkelin von François Mitterand, der von 1981 bis 1995 französischer Staatspräsident war. Eine zweite von Ebdo als angebliches Hulot-Opfer angeführte Frau hat kategorisch dementiert, vom heutigen Minister belästigt oder angegriffen worden zu sein. Sie verwehrt sich dagegen, für einen Skandal instrumentalisiert zu werden. Ebdo mutmaßt, ohne Beweise, die Frau sei womöglich von Hulots Stiftung für ihr Schweigen bezahlt worden.

Die Glaubwürdigkeit der Medien als Sprachrohr für Opfer hat gelitten

Noch bevor das Magazin am Kiosk erhältlich war, ging Hulot ins Radio, um sich gegen alle Anschuldigungen zu verteidigen. Kein leichtes Unterfangen, denn seine Rechtfertigungen drohten sich in dieser „Medienjustiz“ ins Gegenteil zu verkehren: Wer sich nichts vorzuwerfen habe, brauche sich doch nicht zu rechtfertigen.

Die sehr engagierte Ministerin für Frauenrechte, Marlène Schiappa, hatte im Unterschied zu anderen Regierungsmitgliedern mit einer Stellungnahme abgewartet. Jetzt hat sie in ihrer Reaktion von einem „unverantwortlichen Artikel“ gesprochen, der indirekt der #MeToo-Kampagne und generell dem Kampf der Frauen gegen sexuelle Gewalt schade, weil er in fahrlässiger Weise die Glaubwürdigkeit von Aussagen untergrabe.

Die Wahrheit ist ein kostbares Gut, nicht nur für die Medienschaffenden. Was genau 1997 zwischen Hulot und der Fotografin Mitterrand war, kann die Justiz nicht beurteilen. Der hässliche Fleck auf seiner Weste aber bleibt. Was schlimmer ist: Der Ruf der Medien wurde geschädigt und ihre Glaubwürdigkeit als Sprachrohr der Opfer von Gewalt geschwächt.

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