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starke gefühleDie Jugend von heute ist unglücklich, und das ist politisch. Auf Lösungen warten wir schon zu lange

Die Blüte des Lebens kommt erst im Herbst. Kurz vor dem Lebensende ist das Leben am schönsten, also, sofern man alt genug wird, es zu erleben. Denn am zufriedensten sollen die meisten Menschen mit ihrem Leben mit 70 Jahren sein. Das ist ein Ergebnis einer großangelegten Studie zu Wohlergehen, der Global-Flourishing-Studie. Vergangene Woche veröffentlichte das Team um Tyler J. VanderWeele seine Zwischenergebnisse im Fachmagazin Nature Mental Health. 200.000 Menschen aus 22 Ländern, darunter Deutschland, die USA, China, Kenia und Indonesien, hatten Forschende seit 2022 zu ihrem Wohlergehen befragt. Die Studie läuft noch bis 2027.

Gut zu wissen, dass es nur besser werden kann. Aber warum eigentlich warten? Sollte nicht eigentlich auch die Jugend mit Wohlergehen erfüllt sein? Sollte sie nicht eine Phase des Ausprobierens sein? Lange Zeit konnten Wis­sen­schaft­le­r*in­nen beobachten, dass sich Wohlergehen im Lauf der Jahre verändert wie ein freundliches Lächeln. Das Glück verteilte sich U-förmig über das Leben, Menschen in jungem und im höheren Alter blühten auf, während die dazwischen im Mid-Life-Dip im Bauch des U festhingen. In den vergangenen Jahren und auch mit der neuen Studie mehrt sich die Evidenz für einen anderen Verlauf in Deutschland und anderen Ländern mit hohen Pro-Kopf-Einkommen. Nur noch der eine Mundwinkel zeigt steil nach oben, nur die Zufriedenheit der Älteren ist geblieben – bei den Jungen schwächt sich die Glückskurve ab.

Die Studie reiht sich ein in ein Bild, dass es jüngeren Menschen – zwischen 18 und 29 – heute wesentlich schlechter geht. Die Depressionsraten steigen seit 2014 unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen; und das zeigt sich nicht nur, weil die Krankheit inzwischen weniger stigmatisiert ist. Ex­per­t*in­nen gehen auch davon aus, dass die psychische Belastung zugenommen hat.

Nur politisch scheint diese Gefühlswelt nicht zu interessieren, es passiert zu wenig. Zwar richtet sich, seit die AfD bei einigen Wahlen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen besonders gut abgeschnitten hat, immer wieder der Blick auf sie. „Are the kids all right?“, fragt sich so manche*r. Deshalb sind auch die Erkenntnisse der Global-Flourishing-Studie so frustrierend, weil auch diese wohl bis zur nächsten Wahl, Kriminalstatistik oder Studie, in der die Jungen auffallen, wieder ignoriert werden.

Die Ursachen klärt auch diese Studie nicht genau. Wie sehr hat Corona alles verschlimmert? Liegt es – wie zuletzt diskutiert – an zu hoher Bildschirmzeit und hohem Social-Media-Konsum? Daran, dass Junge etwa auf Tiktok einige Konflikte, wie den Krieg in Gaza, näher und anders als der Rest der Gesellschaft erleben? All das diskutieren Forschende, finale Antworten haben sie nicht. Auch die aktuelle Studie kann nicht sagen, ob nur diese Befragten betroffen sind oder ob sich dauerhaft etwas verschiebt.

Doch das ändert nichts daran, dass es politische Antworten auf diese Probleme braucht. Bildungspolitische, sozialpolitische, medienpolitische Antworten. Die Forderungen und die Klagen aus der Jugend­arbeit sind seit vielen Jahren unüberhörbar. In Kitas und Schulen sind Päd­ago­g*in­nen an der Belastungsgrenze. So­zi­al­ar­bei­te­r*in­nen überlegen, ihren Job zu schmeißen, oder haben es längst getan, weil sie zu wenig Gehalt bekommen und Gelder fehlen, um wirklich Projekte zu gestalten.

Die Debatte kreist zu viel um Handyverbote an Schulen. Mehr analoge Räume für Jugendliche braucht es

Und auch ohne abschließend beurteilen zu können, inwieweit soziale Medien Teil des Problems sind: Dass die Debatte so sehr um Handyverbote an Schulen kreist, ist vielsagend. Wir sollten über mehr analoge Räume für Jugendliche sprechen, in denen Kreativität möglich ist, soziale Kontakte entstehen, in denen sie erkunden können, wofür sie brennen. Dann verläuft der linke Bogen des U vielleicht auch wieder steiler.

Adefunmi Olanigan

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