Serie „Die Affäre Cum-Ex“: Milliardenfacher Steuerraub, einfach erklärt
„Die Affäre Cum-Ex“ entwirrt einen der größten Finanzskandale. Handwerklich aber bleibt die Serie unambitioniert – und das ist beinahe tragisch.

Am Anfang von „Die Affäre Cum-Ex“ erklärt Steuerfachanwalt Bernd Hausner (Justus von Dohnányi) das Vorgehen anhand einer Pfandflasche: Er spricht mit süffisanter Arroganz davon, wie man den Automaten dazu bringt, sich das Pfand mehrfach auszahlen zu lassen – und somit Gewinn zu machen. Natürlich geht es ihm aber eigentlich um weitaus größere Summen.
Mit seiner Analogie will Hausner seinen Zuhörern die systematische, überaus lukrative künstliche Verwirrung europäischer Staaten über den tatsächlichen Eigentümer von Aktien schmackhaft machen, die später als „Cum-Ex-Skandal“ bekannt wurde: Durch das schnelle Verschieben von Wertpapieren zwischen mehreren Beteiligten konnte der Staat nicht mehr feststellen, wer tatsächlich Steuern gezahlt hatte und erstattete sie mehrfach – obwohl sie nur einmal abgeführt wurden.
Banken, Anleger und Anwälte haben die europäischen Steuerbehörden so um nahezu 150 Milliarden Euro geprellt – beziehungsweise jeden einzelnen EU-Bürger, vom Kleinkind bis zum Rentner, um 326 Euro, wie zu Beginn der Serie vorgerechnet wird. Showrunner Jan Schomburg, der mit Astrid Øye und Pål Sletaune das Drehbuch zu „Die Affäre Cum-Ex“ verfasste, geht es spürbar um Aufklärung. Die Vorgänge der Finanzwelt werden verständlich erklärt und das Gros der Figuren basiert auf realen Vorlagen.
So auch Hausner, der die Betrugsmasche 2005 in seiner Kanzlei (fälschlich) als „absolut legal“ anpreist. Er ist dem mittlerweile mehrfach wegen Steuerhinterziehung in besonders schweren Fällen verurteilten Hanno Berger nachempfunden. Der tat sich mit Kai-Uwe Steck zusammen, der sich seit Ende letzten Jahres ebenfalls vor Gericht verantworten muss. In der Serie wird er zu Sven Lebert (Nils Strunk), einem jungen Kollegen aus ärmlichen Verhältnissen, der in Hausners Vortrag die Chance auf das große Geld wittert und mit ihm nach London geht, um finanzkräftige Investoren anzuwerben.
Wichtiges Ansinnen, schwächelnde Umsetzung
Bis zur Hälfte der achtteiligen Erzählung steigen Hausner und Lebert zum Duo Infernale des wahrscheinlich größten Steuerraubs der europäischen Geschichte auf, und häufen für sich und ihre zahlkräftigen Kunden einen immensen Reichtum an. „Die Affäre Cum-Ex“ hat es allerdings nicht nur auf die Erklärung eines (überaus umfangreichen) Einzelfall abgesehen. Die Serie will empören, wachrütteln und auf bis heute überdauernde Probleme aufmerksam machen: Darauf, dass der Markt sehr wohl die begünstigt, die bereits über Macht und Mittel verfügen – und staatliche Kontrollmechanismen gerade bei den ganz großen Fischen versagen.
Dafür werden Nebenfiguren wie Sven Leberts Vater (Thorsten Merten) in Stellung gebracht: Ein Handwerker, der im Zuge der Lehman-Pleite 2008 all sein sauer erspartes Geld verliert – eine Summe, die der Anzugtäter-Sohn mittlerweile in nur einer Woche verdient. Vor allem aber widmet sich der zweite, in der dänischen Steuerbehörde angesiedelte Handlungsstrang den großen Gerechtigkeitslücken. Die Finanzbeamtin Inga Brøgger (Karen-Lise Mynster) und ihr Kollege Niels Jensen (David Dencik) kommen dort dem Steuerdiebstahl auf die Schliche, finden bei ihren Vorgesetzten, die lieber den Bürokratieabbau vorantreiben und keinen Staub aufwirbeln wollen, aber kein Gehör.
Routinierte Thriller-Inszenierung
Noch bevor es die Strippenzieher trifft, landet der eigentlich aufrichtige Jensen, der sich gemeinsam mit einem Freund schließlich selbst der Betrugsmasche bedient, vor Gericht. Den zentralen Akteuren geht es erst an den Kragen, als sich in der zweiten Hälfte öffentlicher Druck formiert, vor allem dank mutiger Journalisten und Einzelkämpfer, wie der ehemaligen Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker aus Köln, die in der Serie als Lena Birkwald (Lisa Wagner) vorkommt. Einige, wie Olaf Scholz, dessen Rolle hier ebenfalls thematisiert wird, bleiben hingegen unbescholten.
Anders ausgedrückt: Wovon „Die Affäre Cum-Ex“ erzählt, ist von enormer gesellschaftlicher Dringlichkeit – die Serie selbst entwickelt eine solche wegen gehöriger handwerklicher Schwächen aber nicht. Nach einem einfallsreichen Auftakt verfällt die Regie von Dustin Loose und Kaspar Munk in eine routinierte TV-Thriller-Inszenierung. Belanglose Nebenschauplätze bremsen das Tempo zusätzlich, machen die Erzählung zäh und eintönig.
Und das ist, angesichts des wichtigen Ansinnens dieser Serie, beinahe tragisch: Bei Veröffentlichung der „Cum-Ex Files“ blieb der große Aufschrei in den Sozialen Medien zunächst aus, stattdessen beschäftigte sich die Öffentlichkeit lieber mit einem Bild, das Politikerin Sawsan Chebli mit einer teuren Uhr zeigte. Womöglich, weil die bedeutenden Systemfehler selten mit einem Gesicht versehen, zu weit weg oder schlicht zu komplex sind, um einen ähnlichen Shitstorm auszulösen. „Die Affäre Cum-Ex“ ändert das, macht selbst komplexe Finanzvorgänge verständlich und den Skandal nachvollziehbar – aber ob das Publikum dieses Mal interessierter hinschaut, bleibt fraglich.
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