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"Gleitflug statt Sturzflug"

■ Die nordrhein-westfälische Umweltministerin Bärbel Höhn (Bündnisgrüne) zur Steinkohlesubvention: Die Bergleute können sich auf Geld aus der Landeskasse verlassen

taz: Ihr Parteifreund und Ministerkollege Michael Vesper hat die Absicht der Bundesregierung, die Subventionen für die Steinkohle drastisch zu reduzieren, als „Skandal“ bezeichnet. Warum? Auch in Ihrem Programm steht, innerhalb der nächsten 20 Jahre soll die Steinkohlehilfe auslaufen.

Bärbel Höhn: Das sind zwei verschiedene Punkte. Jetzt geht es doch um die Frage, inwieweit die Bundesregierung ihre Zusagen aus dem Artikelgesetz zur Steinkohlefinanzierung einhält. Bis zum Jahr 2000 sind pro Jahr allein für die Verstromung der Steinkohle sieben Milliarden zugesagt. Doch davon will Bonn nun nichts mehr wissen. Ebenso wie die Bergbaugewerkschaft IGBE glauben wir, daß ein Abbau des Steinkohlebergbaus nicht zu verhindern ist. Aber wir wollen die Finanzhilfen nicht im Sturz-, sondern im Gleitflug herunterfahren. Da ziehen wir mit den Sozialdemokraten an einem Strang.

Kanzler Kohl will die Gesamtsubventionen bis 2005 von heute 10 Milliarden Mark auf rund 5 Milliarden Mark halbieren – einschließlich der Landesmittel. Das ist doch genau die grüne Richtung.

Ob die von Ihnen genannten Mittel aus Bonn tatsächlich zugesagt werden, ist noch sehr die Frage. Die FDP, Teile der CDU/CSU und die von der Union regierten süddeutschen Bundesländer wollen viel schneller auf Null gehen. Während Bonn eine Politik des Wortbruchs und der Verunsicherung gegenüber den Bergleuten betreibt, haben wir uns als Landesregierung verpflichtet, unseren Anteil in Höhe von jährlich 1,2 Milliarden Mark bis zum Jahr 2005 zu halten. Das ist die gemeinsame Zusage von SPD und Bündnisgrünen. Und die gilt.

Die SPD will den „Langfristbergbau“ – auch über das Jahr 2015 hinaus. Sie wollen aussteigen. Da liegen Sie doch näher bei der FDP als bei der SPD.

Nein. Die FDP will ja möglichst schnell gar nichts mehr zahlen. Das ist ein Katastrophenkurs. Der Vorschlag der Bergbaugewerkschaft, bis zum Jahr 2005 die Finanzierung auf etwa 6,5 Milliarden herunterzufahren, würde zu einer Halbierung der heute noch 90.000 Arbeitsplätze im Bergbau führen. Mehr ist auch unserer Meinung nach in diesem Zeitraum nicht zu verkraften. Der zweite große Dissens zur FDP und zur Bonner Koalition liegt darin, daß wir als Bündnisgrüne die Finanzmittel in den nächsten Jahren umschichten, nicht aber einsparen wollen. Freiwerdende Mittel aus der Kohleförderung müssen eingesetzt werden, um Neues zu fördern, wenn das Alte stirbt. Es geht uns darum, den Strukturwandel zu fördern und neue, zukunftsfähige Arbeitsplätze zu schaffen.

Wo könnten die entstehen?

Eine Möglichkeit liegt im Ausbau der Fernwärmenetze, um die Abwärme der Industrie als Heizenergie nutzen zu können. Dafür bieten sich gerade im dichtbesiedelten Ruhrgebiet große Chancen. Durch eine solche Politik entstünden zum einen neue Arbeitsplätze – auch für Bergleute – und zum anderen ließen sich dadurch die Kohlendioxidemissionen erheblich reduzieren. Ein zweites Feld zur Umstrukturierung bietet der Verkehrssektor. Hier könnte man durch massive Investitionen in den öffentlichen Nah- und Fernverkehr neue Arbeitsplätze schaffen und gleichzeitig Umweltbelastungen reduzieren.

Starke Kräfte in der Bundesregierung wollen die Zusage zur Kohleförderung mit der Atommüllentsorgungsfrage verknüpfen. Wie weit gehen Sie diesen Weg mit?

Keinen Schritt. Zu einer solchen Verknüpfung darf es aus grüner Sicht auf keinen Fall kommen. Ein solches Tauschgeschäft – Kohlesubventionen gegen Endlager für Atommüll – lehnen wir vollkommen ab. Wir werden uns dem widersetzen, denn wir wollen die verhängnisvolle Atomstromproduktion nicht dadurch verlängern, daß wir der Atomlobby ihr Entsorgungsproblem nehmen. Nein, darauf lassen wir uns nicht ein. Da kann es auch eine Differenz zu einigen Sozialdemokraten geben. Interview: Walter Jakobs

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