pressefreiheit: Moderate Pragmatiker in Afghanistan
Ende vergangenen Jahres stellte der Menschenrechtsgerichtshof der Europäischen Union abermals klar, dass Afghaninnen innerhalb der EU per se asylberechtigt seien. Aufgrund der Repressalien des Taliban-Regimes würden Geschlecht und Nationalität ausreichen, um als Geflüchtete anerkannt zu werden.
Trotzdem versuchen weiterhin Millionen von Mädchen und Frauen im Land, unter den Taliban zu überleben. Unter ihnen befinden sich auch die Journalistinnen des von Frauen geführten Radiosenders Begum, der im März 2021 am Internationalen Frauentag auf Sendung ging.
Wenige Monate später übernahmen die militant-islamistischen Taliban die Macht und viele Journalisten und Medienmacher mussten fliehen. Doch zu jenen, die blieben, gehörte auch Radio Begum. Der Sender berichtete über die Situation der afghanischen Frau und sah sich gleichzeitig seitens der Taliban unter Druck gesetzt.
Kein Wunder, denn nahezu im Wochentakt erließen die extremistischen Machthaber neue Dekrete. Heute ist klar, dass in Afghanistan keine Pressefreiheit mehr herrscht. Ein Großteil der Berichterstattung aus dem Land wird kontrolliert und reguliert, Frauen stehen meist nur noch, wenn überhaupt, hinter der Kamera und auch Begum musste seinen Sendebetrieb einstellen. Der Vorwurf: Kollaboration mit ausländischen Medien, die vom Regime sanktioniert wurden.
Doch nun gibt es einen kleinen Hoffnungsschimmer. Vor wenigen Tagen hieß es seitens des Informationsministeriums der Taliban, dass Begum bald wieder den Betrieb aufnehmen dürfe. Für die Mitarbeiterinnen des Senders wäre das wohl tatsächlich eine große Erleichterung. Es ist klar, dass nur die wenigsten Afghaninnen flüchten können, obwohl zahlreiche Arbeits- und Bildungsverbote bestehen und Kritiker zu Recht von einer Gender-Apartheid sprechen. Viele Frauen im Land müssen ihre Familien ernähren. Auch sie sind, wie die Journalistinnen von Begum, von ihrem Lohn abhängig.
Klar ist allerdings auch, dass die Kontrolle sowie die Repressalien der Taliban nicht verschwinden werden. Die Aufhebung des Arbeitsverbots für Begum bestätigt nur das, was viele Beobachter in den letzten Jahren immer wieder in den Raum warfen. Unter den Taliban-Köpfen in Kabul lassen sich auch moderatere Pragmatiker finden, die nicht alles in Grund und Boden stampfen und ihr düsteres Emirat der 1990er-Jahre wiederaufleben lassen wollen. Dies scheint vor allem in den Kabuler Ministerien, wo viele Taliban-Mitglieder sich mit vorgehaltener Hand gegen das Schulverbot aussprachen, der Fall zu sein.
Ein prominentes Beispiel hierfür ist etwa Sher Mohammad Abbas Stanikzai, der stellvertretende Außenminister des Regimes. Vor wenigen Wochen übte er während einer Rede scharfe Kritik am Bildungsverbot. Im Anschluss verließ er das Land. Gegenwärtig soll sich Stanikzai in den Vereinigten Arabischen Emiraten aufhalten.
Manche munkeln gar, dass er vom obersten Taliban-Führer, Haibatullah Akhundzada, zur persona non grata erklärt wurde. Emran Feroz
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