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personal der wahlKatherina Reiches Kompentenz

Brot und Butter

Familienpolitik war nie das Feld von Katherina Reiche, die mit 21 Jahren Mitglied der Jungen Union wurde. Vier Jahre später, als sie pünktlich zur Bundestagswahl 1998 in die CDU überwechselte, wurde sie als jüngste Abgeordnete in den Petitionsausschuss sowie in den Ausschuss „Angelegenheiten der neuen Länder“ gewählt. Als Diplomchemikerin empfahl sie sich zudem als Beauftragte für Humangenetik innerhalb der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

Wie wenig Ahnung sie von der Familienpolitik hat, bewies Katherina Reiche bei „Sabine Christiansen“, wo sie sich für eine Stärkung der Rechte Homosexueller aussprach. Es war Bundesinnenminister Schily, der sie darauf hinweisen musste, dass die Punkte, die sie zuvor angesprochen hatte, im Gesetz zur gleichgeschlechtlichen Partnerschaft schon längst enthalten sind. Ein Gesetz, gegen das ihre Partei damals noch vor dem Bundesverfassungsgericht klagte.

Katherina Reiche saß übrigens bei Christiansen, weil sie sich trotz ihrer profunden Ahnungslosigkeit für kompetent hält, die Familienpolitik der CDU/CSU zu vertreten, und zwar mit den höchsten Weihen des Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber. Reiche empfiehlt sich, wenn schon nicht politisch, so doch als existenziell kompentent: als junge berufstätige Frau (Abgeordnete) und Mutter (demnächst von zwei Töchtern).

Als Kunstkritikerin möchte man sagen, Katherina Reiches Vorgehen liege ein identitätspolitisches Konzept zugrunde. Es handelt sich um einen Ansatz, den Künstler und Künstlerinnen in den Achtzigerjahren entwickelten, wobei sie im Sinne einer Minderheiten- und Emanzipationspolitik ihre eigene Identität zum Gegenstand ihres Werks machten. Unsere Erwartung, Wolfgang Schäuble möge dem Stoiber’schen Kompetenzteam folgerichtig als Behindertenbeauftragter und nicht als Europa- und Außenpolitiker beitreten, musste notwendigerweise enttäuscht werden – seine Generation wurde noch zu Zeiten von Pop-Art sozialisiert.

Tatsächlich hat Katherina Reiche seit langer Zeit schon identitätspolitische Haltung gezeigt. Wie bei jungen ostdeutschen Paaren weit verbreitet, ist sie mit dem Vater ihrer Kinder, mit dem sie zusammenlebt, nicht verheiratet. Doch weil Joachim Kardinal Meisner so aufgebracht war, dass er der CDU das christliche C aus dem Namen streichen wollte, falls sie eine solche Schlampe ministeriabel mache, gelobte Reiche sofort zu heiraten.

Plötzlich brauchte sie den „Segen der Kirche und das Bekenntnis vor Gott“. Auch Schwulenrechte gingen ab sofort „weit über das hinaus“, was sie „zu regeln bereit wäre“. Ist das identitätspolitische Konzept der Katherina Reiche damit schon gescheitert – nicht jung, ledig, kompetent, sondern nur jung, doof und lenkbar?

Die römisch-katholische Kirche sollte sich nicht zu früh freuen: Diese Frau lässt sich nicht die Butter vom Brot nehmen. Damit arbeitet sie gegen die Politik der Kirche, die die Asymmetrie des Geschlechterverhältnisses immer weiter wahren will. Nur wenn die Frauen unten sind, bleiben die Männer oben. Das belegt jede Sonntagsmesse. Mangels Masse fiele jedes ex cathedra gedonnerte Hirtenwort zur Wahl schlicht aus – ohne die Frauen, unten im Betstuhl.

Nein, Katherina Reiche ist mit ihrem identitätspolitischen Konzept keineswegs gescheitert; sie hat ihre Lektion sofort gelernt und den Fokus insgeheim von der Familie auf das Thema weibliche Emanzipation gelenkt. Als nachgerade beispielhafte Opportunistin ist Katherina Reiche zweifellos eine große Hoffnung für die Frauen. Denn erst wenn die Karriere Vorrang vor jeder Haltung hat, werden die Frauen siegen. Erst Karrieristinnen werden die notwendigen Schritte in Richtung Vereinbarkeit von Beruf und Familie erzwingen.

Katherina Reiche sollte daher auch nicht den Fehler begehen, auf ihrer liberalen Haltung bei der embryonalen Stammzellenforschung zu beharren, dem eigentlichen Prüfstein ihres Willens zur Karriere. Als Politikerin und große Künstlerin muss sie hier abschwören. Das mag ihrem Namen in der Gemeinde der Wissenschaftler kurzfristig schaden, worum sie sich nicht kümmern muss. In the long run wird der Markt der Wissens- und Informationsgesellschaft die Sache sowieso in deren Sinn entscheiden.

BRIGITTE WERNEBURG

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