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Autoverkehr in BerlinUnentwegt über dem Limit

Kommentar von Claudius Prößer

Messungen haben bestätigt, was man eigentlich doch schon weiß. Dass Autofahrer auf Berlins Straßen zu schnell unterwegs sind, ist der Normalfall.

Nicht zu übersehen. Nur halten sich halt nicht alle an diese 30 auf Deutschlands Straßen Foto: Andreas Arnold/dpa

W er auf dem Fahrrad oder im Auto in deutschen Städten regelmäßig unterwegs ist, weiß es aus eigener Anschauung: An die innerorts herrschenden Geschwindigkeitsbegrenzungen hält sich kaum jemand – seien es die generell zugelassenen 50 Stundenkilometer oder die 30 km/h, die schon in den meisten Nebenstraßen, aber auch auf vielen Abschnitten von Hauptverkehrsstraßen gelten. Dass in sogenannten Spielstraßen tatsächlich Schrittgeschwindigkeit gefordert ist – sogar für RadfahrerInnen –, wissen viele noch nicht einmal.

Die einzigen VerkehrsteilnehmerInnen, die regelmäßig etwas anderes erleben dürften, sind PolizistInnen in Einsatzfahrzeugen: Um sie herum bilden sich zuverlässig kleine Taschen der Tempolimit-Gehorsamkeit. Und auch überall dort, wo Radarkontrollen Verstöße dokumentieren, bilden sich solche Blasen. Sei es, weil die Blitzer weithin sichtbar am Straßenrand aufgestellt sind, sei es, weil sich die Information über ihre Standorte durch autofreundliche Radiosender, Apps oder schlichte Mundpropaganda verbreitet. Das führt zu einer lokal streng begrenzten Entschleunigung, verzerrt aber das Gesamtbild.

Die regelmäßige Auswertung der Radarfallen durch die Berliner Polizei ergibt, dass nur rund 5 Prozent der VerkehrsteilnehmerInnen (in den allermeisten Fällen motorisierte) zu schnell fahren – wobei da flottes Fahren im Rahmen des berühmten Toleranzwerts schon herausgerechnet ist. Ein deutlich präziseres Bild zeichnet nun eine andere Polizeistatistik: Sie beruht auf anonymen Messungen durch unscheinbare Sensoren, die temporär Berliner Straßen scannen.

Weil praktisch niemand die Kästchen wahrnimmt und die Geräte auch gar keine Fotos schießen können, bilden sie die harsche Realität eins zu eins ab. Und die lautet, zumindest auf 148 Berliner Straßen in den vergangenen beiden Jahren: Im Schnitt mehr als ein Viertel fährt deutlich zu schnell, also oberhalb der Toleranzgrenze.

Besonders schnell durch den Wald

Tatsächlich waren es auf 25 dieser Straßen 50 Prozent Zu-schnell-FahrerInnen, auf 15 Straßen sogar zwei Drittel. Den Spitzenwert von fast 95 Prozent erreichte, auch das dürfte wenige wundern, eine Straßenverbindung durch ein Waldstück im Berliner Bezirk Pankow, auf der Tempo 50 gilt und an der auch hin und wieder ein paar Wohngebäude stehen.

Um wie viel km/h die einzelnen Fahrzeuge zu schnell fuhren, gibt die Statistik nicht her, aber das Bild ist klar, und es dürfte in vielen deutschen Städten ähnlich aussehen. Man könnte nun daraus folgern, dass ein generelles Tempolimit von 30 km/h innerorts, wie es Mobilitäts- und KlimaaktivistInnen schon lange fordern, für die Katz ist – hält sich ja in der Praxis eh keiner dran.

Das stimmt so natürlich nicht, denn jede Absenkung der zugelassenen Geschwindigkeit zieht im Schnitt auch die illegalen Überschreitungen mit nach unten. Aber ohne eine massive Ausweitung von Kontrollen wird es künftig wohl nicht gehen.

wochentaz

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In Berlin fordern die Grünen jetzt die digital unterstützte Überwachung von Tempolimits, eine deutliche personelle Verstärkung der Bußgeldstelle und saftigere Sanktionen fürs kleine Rasen nebenbei. Die verkehrspolitische Fraktionssprecherin Antje Kapek liebäugelt mit dem finnischen Modell, wo die Strafen drakonisch sind und man sogar schnell den Führerscheinentzug auf Lebenszeit riskiert.

Noch schöner wäre natürlich, bei AutofahrerInnen setzte sich die Erkenntnis durch, dass ein schwerer Fuß auf dem Gaspedal in den seltensten Fällen für große zeitliche Einsparungen in der Stadt sorgt – mit Sicherheit aber für Stress, Lärm und immer wieder schwere Unfälle.

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Redakteur taz.Berlin
Jahrgang 1969, lebt seit 1991 in Berlin. Seit 2001 arbeitet er mit Unterbrechungen bei der taz Berlin, mittlerweile als Redakteur für die Themen Umwelt, Mobilität, Natur- und Klimaschutz.
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2 Kommentare

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  • Beim Gesetzebeschließen ist man in Ditschl immer schnell. Verbieten kann man alles.



    Wo es dann hakt, ist die Überwachung. Da ist immer von allem zu wenig da, der Einsatz zu ineffektiv. Das gilt nicht nur für die Überwachung von Verkehrsregeln, sondern um schlichtere Dinge wie das Durchsetzen von Verhalten in Grünanlagen, Sperrmüll auf die Straße stellen, Essverbot im ÖPNV undundund



    Auf das "Durchsetzen von Erkenntnissen" beim Bürger sollte man nicht setzen, weil sich zeigt, dass man das nicht kann. Wenn schon die meisten nicht mit Vernunft, so doch mit Verstand ausgestattet sind, wird die Sinnhaftigkeit bestimmter Verhaltensweisen einfach nicht nachvollzogen.

  • "Die einzigen VerkehrsteilnehmerInnen, die regelmäßig etwas anderes erleben dürften, sind PolizistInnen in Einsatzfahrzeugen: Um sie herum bilden sich zuverlässig kleine Taschen der Tempolimit-Gehorsamkeit"



    Nicht so in Berlin, da ist die Polizei selbst das Problem.



    Auf der Stadtautobahn zum Beispiel, also wenn gerade mal nicht Stau ist, aber abends oder nachts zwischen BBI und der Innenstadt hänge ich mich regelmäßig mit dem Tempomat hinter eine Streife bei Tempo 100-110 km/h, wer da die erlaubten 80 fährt wird höchstens vom Rest angehupt...



    Es sind aber ALLE Verkehrsteilnehmer in Berlin. Radfahrer ohne Licht werden auch bei dunkelster Nacht, selbst in komplett schwarz gekleidet nicht von Streifen angehalten. Ich habe auch schon x-mal erlebt wie direkt vor der Polizei Radfahrer bei rot über die Kreuzung knallen.



    Reaktion der Polizei? Null.



    Touristen die auf der Museumsinsel kreuz und quer über die Karl Liebknecht schlendern und mitten auf der Straße noch für ein Foto stehen bleiben - im fließenden Verkehr, 30 Meter von der Fußgängerfurt samt Ampel entfernt und direkt daneben stehen drei Fahrradpolizisten und sehen dem Treiben vergnügt zu...🤷‍♂️



    Dit is Berlin, wa