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orte des wissensEin Haus gegen die Zerstreuung

Das Forum für Künstlernachlässe hat jetzt ein eigenes Heim: Im Stadtteil Niendorf erhält es das Erbe von Hamburgs Kunstschaffenden und erforscht es

Es ist ein schöner, lichter Platz geworden, ein geräumiger Innenhof zwischen zwei „Gebäudegeschwistern“: Wo bislang Wellblechbaracken standen, kann man neuerdings zwischen dem Hamburger Künstlerhaus Sootbörn in einem Bauhaus-Schulgebäude der 1920er-Jahre und dem bauhausartigen Neubau des Forums für Künstlernachlässe wandeln.

Diese architektonische Parallele ist ebenso gewollt wie die Tatsache, dass das neue Gebäude – hanseatisch dezent – dem alten den Vortritt lässt. So liegt der Neubau etwas zurückgesetzt, gibt den Blick auf das Eckfenster des Künstlerhauses frei – um dann seinerseits ein Eckfenster zu präsentieren, ein kleines, feines Zitat.

„Künstlerhaus und Neubau sollen sowohl baulich als auch inhaltlich als Kulturzentrum hier in Hamburg-Niendorf wahrgenommen werden“, sagt Gora Jain, Professorin für Kunstgeschichte und Direktorin des Vereins „Forum für Künstlernachlässe“. Er wurde 2003 gegründet und hatte seinen Sitz bislang im Künstlerhaus. Gora Jain muss also nur über den Hof gehen, um ihr neues Büro in dem schneeweißen eingeschossigen Gebäude zu beziehen.

Dort werden, wenn mal alles eingeräumt ist, auf 680 Quadratmetern Nachlässe von bislang 100 Hamburger Künst­le­r*in­nen lagern. Die Positionen reichen von Gemälden über Fotos, Zeichnungen und Skizzenbücher bis zu Skulpturen. Alma del Banco, 1919 Mitgründerin der Hamburgischen Sezession, die der Deportation durch die Nazis 1943 durch Suizid entging, ist ebenso vertreten wie die 2009 verstorbene Konzeptkünstlerin Margrit Kahl, die den 1988 eingeweihten Gedenkort Bornplatz-Synagoge gestaltet hatte sowie der 2007 mit nur 28 Jahren tödlich verunglückte Włodek Bzówka.

Neben zwei großen Archivräumen bietet der Neubau zwei Büros und ein Areal für kleine Konzerte, Theater- und Filmvorführungen. Auch eine kleine Bibliothek zu Hamburger Kunst ist geplant. Große Kunstpräsentationen wird es weiterhin im Ausstellungsraum des benachbarten Künstlerhauses geben. In einigen der dortigen Ateliers lagerten bislang etliche Künstlernachlässe, die nun in den Neubau ziehen. Wie viele Archivalien es genau sind, kann Gora Jain gar nicht sagen, über 10.000 auf jeden Fall. Etliche davon sind schon digitalisiert, aber noch nicht veröffentlicht. Das solle im Zuge der schon länger bestehenden Zusammenarbeit mit der Datenbank DigiCult geschehen, sagt Jain.

Studierende können hier konkret mit Kunstwerken arbeiten und das Ausstellungshandwerk üben

Gora Jain, Professorin für Kunstgeschichte

In Papierform sind große Teile der Bestände aber schon erfasst, wie die Kataloge zum zehn- und 20-jährigen Bestehen des Vereins zeigen. Auch seien schon zwei Magisterarbeiten über einzelne Künstler entstanden, inklusive kleiner Ausstellungen, sagt Jain, „Das wollen wir gemeinsam mit der Hochschule für bildende Künste fortführen. Unser großer Vorteil ist ja, dass Studierende hier konkret mit Kunstwerken arbeiten und als Kuratoren auch das Ausstellungshandwerk üben können.“

Finanziert hat den zwei Millionen Euro teuren Neubau großteils eine Stiftung, gegründet vom Hamburger Kunsthistoriker und -mittler Thomas Sello. Für deren Grundstock hatte Sello ein Gemälde des Expressionisten Max Pechstein aus dem Familienbesitz verkauft. Weitere 800.000 Euro schoss Hamburgs Kulturbehörde zu. Den Rest erbrachten eine Benefiz-Auktion und diverse Sponsoren. Das Grundstück überließ die Stadt dem Verein kostenlos in Erbpacht – als Gegenleistung für den Neubau. „Und erstmals nach 22 Jahren Ehrenamt kann auch ich auf einer 30-Prozent-Stelle bezahlt werden“, sagt Gora Jain. „Dazu kam und kommt weitere ehrenamtliche Arbeit sowie das riesige Engagement des Architekten Andres Horlitz. Sonst hätten wir den Bau nicht binnen eines Jahres stemmen können.“ Öffentlich zugänglich ist er samstags von 11 bis 16 Uhr. Petra Schellen

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