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orte des wissensHier lernt Doktor KI, die künftige Assistenzärztin

Am Institut für medizinische Informatik der Uni Lübeck trainiert ein Forscherteam künstliche Intelligenz: Sie soll künftig echte Me­di­zi­ne­r*in­nen unterstützen – vor allem in der Diagnose

Zappeln kann ein Zeichen für Gesundheit sein. Nämlich dann, wenn ein knapp ein halbes Jahr altes Baby „­Fidgety Movements“ macht, leicht rotierende Bewegungen mit Hals, Gliedmaßen und Rumpf. Die meisten Babys machen diese Bewegungen. Aber bei einigen fehlen sie, und dann haben sie mit einer hohen Wahrscheinlichkeit eine neurologische Funktionsstörung. Diese Babys brauchen eine Therapie – wenn die Störung denn rechtzeitig erkannt wird.

Die meisten Kin­der­ärz­t*in­nen können die Fidgety Movements nicht lesen. Weil sie sehr subtil sind, braucht es dafür eine spezielle Ausbildung. Eine spezialisierte KI absolviert sie nun. Mit sehr sensiblen Kameras und Sensoren am Körper beobachtete sie die Bewegungsmuster von 200 Babys mit oder ohne Fidgety Move­ments. Bei jedem Baby lernt sie etwas dazu.

Kin­der­ärz­t*in­nen und Mit­ar­bei­te­r*in­nen des Instituts für Medizinische Informatik der Uni Lübeck arbeiten in dem Projekt zusammen. Es gehört zu dem neuen Forschungsbereichs „KI für Assistive Gesundheitstechnologien“, den es seit Juni 2024 am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz gibt. Der Forschungsbereich vereint 20 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen, vor allem aus der Informatik und Medizin. Ihr Leiter, der Medizininformatiker Marcin Grzegorzek, versteht sich als Vermittler und Übersetzer zwischen den Fachgebieten – auch im wörtlichen Sinn: „Was wir in der Informatik Genauigkeit nennen, heißt zum Beispiel in der Medizin Spezifität oder Sensitivität.“

Geforscht wird für vier Bereiche: die Dia­gnostik und die Therapie bei Menschen, die erkrankt sind, die Pflege alter oder erkrankter Menschen und die Prävention, also die Verhütung von Krankheit bei Gesunden. Hier arbeiten die Forschenden zum Beispiel an personalisierter Ernährung, also der Vorbeugung oder Heilung von Krankheiten durch eine spezielle Diät.

Wie viel Einfluss gerade das Essen auf die Gesundheit hat, erfuhr Grzegorzek am eigenen Leib. Er litt unter einer nichtalkoholischen Fettleber. Als Medikamente keine Heilung brachten, maß er zwei Wochen lang seinen Blutzucker und stellte fest, dass er auf Kohlen­hydrate extrem stark reagierte. „Ich stellte meine Ernährung um, und nach drei Monaten war die Fettleber geheilt“, sagt er. So könnte personalisierte Medizin mit KI-Unterstützung zum Beispiel eine Neigung zu Diabetes erkennen, lange bevor die Krankheit auftritt, und durch eine angepasste Ernährung ihren Ausbruch verhindern.

„Ich bin für das Gesundheitssystem nicht interessant, wenn ich keine konkrete Krankheit habe“

Marcin Grzegorzek, Professor am Lübecker Institut für Medizinische Informatik

Prävention sei wichtig, sagt Grzegorzek. „Aber ich bin für das Gesundheitssystem nicht interessant, wenn ich keine konkrete Krankheit habe. Für uns dagegen schon.“ In Forschungsprojekten analysieren die Wis­sen­schaft­ler*in­nen des Bereichs bei Probanden eine bestimmte Frage, zum Beispiel die Bewegungen der Babys mit und ohne Fidgety Movements.

Sie anonymisieren deren Daten und gewinnen daraus einen überindividuellen Sinn. Dann werden die Daten für Grundlagenforschung oder angewandte Forschung genutzt und schließlich an Unternehmen gegeben, die sie von Anfang an begleitet haben, weiterentwickeln und vermarkten. Sie machen dann zum Beispiel aus der KI mit den Bewegungsdaten der Babys eine App, die sich Kin­der­ärzt*in­nen herunterladen können – damit sie eines Tages alle Babys bei einer U-Untersuchung testen kann. Friederike Grabitz

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