orte des wissens: Sogar Breschnew kam vorbei
Die Hamburger Ernst-Thälmann-Gedenkstätte bietet neben einer Ausstellung zum einstigen KPD-Vorsitzenden, den die Nazis 1944 ermordeten, ein riesiges Archiv zur Hamburger Arbeiterbewegung
„Was hier drinne ist, weiß niemand so genau“, sagt Udo Spengler. Der Archivar der in Hamburg-Eppendorf ansässigen Ernst-Thälmann-Gedenkstätte öffnet einen Umzugskarton, schaut auf Schnellhefter und Aktenordner, schließt den Karton schnell wieder. „Wenn ich das sehe, kriege ich die Krise“, sagt er gut gelaunt. Weil: Man müsste alles mal in die Hand nehmen, zuordnen, archivieren. Und da steht ja nicht nur ein Karton! Und um ihn herum Regale, deren Böden sich biegen. 3.000, 4.000 Bücher? So viele ungefähr seien das, schätzt er.
Wir sind im hinteren Raum der Gedenkstätte angekommen, die auch ein Archiv beheimatet, vor allem zur Geschichte der Hamburger Arbeiterbewegung, besonders in den Weimarer Jahren und dann in der NS-Zeit. Und natürlich so gut wie alles zu Ernst Thälmann bereithält. Der langjährige Vorsitzende der KPD, 1925 ins Amt gesetzt, Abgeordneter der Hamburger Bürgerschaft, dann des Reichstages, 1933 verhaftet und misshandelt, dann elf Jahre lang weggesperrt und am 18. 8. 1944 im KZ Buchenwald erschossen, hat hier im Haus gewohnt, mit Frau und Kind. Tarpenbekstraße 66, zweiter Stock, aus Sicherheitsgründen: Auf ihre Erdgeschosswohnung, zwei Straßen weiter, war vorher ein Brandanschlag verübt worden.
1969 eröffnete die Gedenkstätte. Die DKP hatte sich zuvor gegründet, die KPD war 1956 verboten worden. Immer wieder verzeichnet die Chronik, wer sich meist aus dem orthodox-kommunistischen Lager die Ehre gab. 1978 kommt gar Leonid Breschnew vorbei, damals Generalsekretär der KPdSU.
Natürlich wurden und werden sie angefeindet. „Da heißt es dann ‚Ach Thälmann, der Stalinist‘“, sagt Reinhardt Silbermann von der Gedenkstätte. Und dann immer wieder George Orwell! Einer, der es doch wissen muss, weil er selbst mal weit links stand, Kämpfer im Spanischen Bürgerkrieg, wo es auch eine Thälmann-Brigade gab. Aber wüssten die Leute, dass Orwell 100 seiner ehemaligen Genossen an den britischen Geheimdienst verraten habe? Etwas anderes bekümmert ihn: „Da treffe ich junge Antifaschisten, freue mich, und die haben noch nie was von Ernst Thälmann gehört.“
Das kann man hier sofort ändern, denn die Stätte bietet zugleich eine Ausstellung zu Thälmann, bei der man hin und her switcht zwischen dem Blick auf Privatleben, politische Karriere, Verfolgung – und dem schwer verdaulichen Pathos, das um Ernst ‚Teddy‘ Thälmann aufgebaut wurde. Bis heute finanziert sich die Stätte allein durch Spenden, lebt von ehrenamtlicher Arbeit. Und sie versteht sich nicht als neutraler Ort: „Wir arbeiten nicht nur historisch, sondern schauen auch auf die aktuellen Kämpfe“, sagt Silbermann.
Daran kann man sich festbeißen, muss man aber nicht. Man kann auch schlicht den großen Fundus schätzen, der hier bewahrt wird: von Zeitzeugenberichten über historische Broschüren und Schriften bis zu persönlichen Nachlässen einst politisch Verfolgter. Man erfährt von Niederlagen, Hoffnungen, manchmal auch vom bis heute währenden Absolutheitsanspruch der kommunistisch orientierten Linken.
„Wir haben nichts gegen kritische Fragen und Widerspruch“, sagt Spengler, der den Fall der Mauer und das Ende der DDR eine ‚Konterrevolution‘ nennt. Das Interesse an ihrer Einrichtung jedenfalls wachse derzeit spürbar, erzählen die beiden: Im Herbst jährt sich der gescheiterte Hamburger Aufstand von 1923, der von der damaligen KPD geführt wurde und in dem Thälmann sein politisches Profil schärfte, aber auch innerparteilich stark unter Druck geriet.
Und Udo Spengler dreht sich einmal um seine Achse und zeigt auf all die Schätze, die auf neugierige Blicke warten. „Wenn man nicht aufpasst, versinkt man hier zwischen den Archivalien und vergisst die Zeit“, sagt er. Frank Keil
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